Bundesinnenministerin Faeser will Radikalenerlass verschärfen

Ein von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) eingebrachter Gesetzentwurf soll es künftig erleichtern, Beamte wegen „extremistischer Verfehlungen“ aus dem Staatsdienst zu „entfernen“. Zu diesem Zweck werden deren demokratische Rechte in Disziplinarverfahren massiv eingeschränkt. Damit soll der Staatsapparat für politische und soziale Konflikte gewappnet werden.

Demonstration gegen Berufsverbote 1977 in Westberlin [Photo by W. Hermann / Fotostab am IfP / CC BY-SA 3.0]

Bislang galt: Beamter – ob nun in Rathäusern, Polizeistationen, Schulen oder Universitäten – wird jemand auf Lebenszeit, d.h. er ist grundsätzlich unkündbar. Anders als andere Beschäftigte muss er auch nicht in die Sozialversicherung einzahlen, sondern erhält Gesundheits- und Altersversorgung über den Staat. Ein Beamter ist zwar weisungsgebunden, muss aber willkürliche oder rechtswidrige Weisungen nicht befolgen, sondern ist Gesetz und Verfassung verpflichtet. Daher – so die Theorie – soll er wirtschaftlich und rechtlich abgesichert sein.

Ein wesentlicher Ausfluss davon war, dass nur unabhängige Gerichte einen Beamten aus dem Dienst entfernen können. Damit soll es nach Faesers Willen nun vorbei sein. Statt Disziplinarklage vor dem Verwaltungsgericht zu erheben, sollen die Behörden künftig sämtliche Disziplinarmaßnahmen mittels Verfügung selbst anordnen.

Zwar kann der Beamte dagegen klagen. Doch er oder sie steht erst einmal vor vollendeten Tatsachen. Nicht mehr der Staat, sondern der Beamte trägt das Prozessrisiko und für die Zeit bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Klage die wirtschaftlichen und sozialen Unsicherheiten und Nachteile der Entlassung. Auch der gerichtliche Rechtsschutz gegen „Disziplinarverfügungen“ soll soweit wie möglich beschränkt werden. Die Berufung soll nur ausnahmsweise statthaft sein, wenn sie vom Verwaltungsgericht als zulässig erklärt wird.

Dazu kommt, dass ein „rechtskräftig wegen Extremismus aus dem öffentlichen Dienst entfernter“ Beamte die während des Disziplinarverfahrens gezahlten Bezüge zurückzahlen muss. Er setzt sich damit einem Risiko aus, wenn er sich gegen die Entlassung zur Wehr setzt, denn je länger das Verfahren dadurch dauert, desto mehr muss er im Fall einer Niederlage vor Gericht zurückzahlen.

Daneben sieht der Gesetzentwurf eine erleichterte Beendigung des Beamtenverhältnisses bei einer strafrechtlichen Verurteilung wegen Volksverhetzung vor. Künftig soll bei einer Volksverhetzung bereits eine rechtskräftige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von sechs statt bisher zwölf Monaten zum Verlust der Beamtenrechte oder der Versorgungsbezüge führen.

Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Ampelkoalition den Volksverhetzungsparagrafen gerade drastisch verschärft hat: Er wurde durch einen Absatz ergänzt, wonach es mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft werden kann, wenn man „öffentlich oder in einer Versammlung“ Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen „billigt, leugnet oder gröblich verharmlost“. Auch wer entsprechende Kriegspropaganda der Regierung kritisiert, läuft daher Gefahr, aus dem Staatsdienst entlassen zu werden.

Faeser orientiert sich dabei nach eigenen Angaben an einer Regelung, die seit 2008 in Baden-Württemberg gilt. In dem Bundesland werden sämtliche Disziplinarmaßnahmen durch eine Disziplinarverfügung angeordnet. Das Bundesverfassungsgericht hat die grundsätzliche Zulässigkeit einer derartigen Regelung 2020 bestätigt. Kurz darauf vereinbarte die Ampelkoalition nach den Bundestagswahlen 2021 im Koalitionsvertrag, „Verfassungsfeinde schneller als bisher aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen“.

Die gesetzliche Regelung, dass die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis allein durch Richterspruch möglich ist, war 1932 kurz vor dem Ende der Weimarer Republik für ganz Deutschland eingeführt worden. Seit Kriegsende galt sie dann für die Bundesrepublik, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner – nicht einstimmigen – Entscheidung 2020 einräumte.

Es ist wieder einmal die SPD, die dabei vorangeht, den Staatsapparat von politisch unzuverlässigen Elementen zu säubern. Sie knüpft damit an den Radikalenerlass von 1972 an, der unter SPD-Bundeskanzler Willy Brandt zustande gekommen war.

Am 28. Januar 1972 hatten Brandt und die Ministerpräsidenten der Länder „Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst“ vereinbart. Ziel dieses „Ministerpräsidentenbeschlusses“ war es, den öffentlichen Dienst von Bund und Ländern in einem einheitlichen Verfahren von angeblichen „Verfassungsfeinden“ zu säubern.

Bewarb sich jemand um eine Stelle im öffentlichen Dienst, fragten die Einstellungsbehörden im Normalfall bei den Verfassungsschutzämtern nach („Regelanfrage“), ob „Erkenntnisse“ über den Bewerber vorlägen. Oft genügte dafür der Besuch einer Veranstaltung oder Demonstration, die der Geheimdienst als „verfassungsfeindlich“ einstufte.

Gab es solche „Erkenntnisse“, musste der Bewerber in sogenannten Anhörungsgesprächen Stellung dazu nehmen; konnte er die Zweifel nicht ausräumen, erfolgte in der Regel eine Ablehnung. Dagegen konnte geklagt werden, wegen der Berufungsmöglichkeiten erstreckten sich entsprechende Verfahren aber meist über viele Jahre, in denen der Bewerber keine Anstellung erhielt.

Laut offiziellen Regierungsangaben gab es von Anfang 1973 bis Mitte 1975 aufgrund des Radikalenerlasses 450.000 Anfragen bei den Nachrichtendiensten. Daraus ergaben sich in 5700 Fällen „Erkenntnisse“ und 328 Ablehnungen. Die Organisation „Weg mit den Berufsverboten“ zählte sogar 1250 Ablehnungen.

Auch rund 260 bereits verbeamtete oder angestellte Personen wurden entlassen. Zum allergrößten Teil waren Lehrer (rund 80 Prozent) und Hochschullehrer (rund 10 Prozent) betroffen; daneben gab es auch Fälle in der Justiz, bei Bahn und Post. Trotz der offiziellen Behauptung, der Radikalenerlass richte sich gleichermaßen gegen „Extremisten von rechts wie links“, waren fast ausschließlich Angehörige oder Unterstützer linker Organisationen betroffen.

Im Verlauf der 1980er Jahre wurde die Regelanfrage nach und nach abgeschafft. In den meisten Bundesländern wird aber bis heute eine sogenannte Bedarfsanfrage beim Verfassungsschutz durchgeführt, wenn Zweifel an der Verfassungstreue eines Bewerbers bestehen.

Eine Untersuchungskommission der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) kam im Februar 1987 zu dem Ergebnis, dass die Durchführung des Erlasses gegen das Verbot der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf verstoße. Ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg vom 26. September 1995 zum Fall einer Lehrerin aus Niedersachsen, die 1986 wegen ihrer Mitgliedschaft in der DKP aus dem Schuldienst entlassen worden war, sah darin einen Verstoß gegen das Recht auf Meinungs- und Vereinigungsfreiheit der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Die aktuelle Gesetzesverschärfung knüpft an die Tradition des Radikalenerlasses an. Wie üblich wird sie vor allem mit der Notwendigkeit begründet, Rechtsextremismus zu bekämpfen. Zuletzt gaben Razzien gegen ein Terrornetzwerk aus der „Reichsbürger“-Szene in begrenztem Maße Einblick, wie durchsetzt der Staatsapparat von faschistischen Elementen ist.

Doch hier sollte man sich nicht täuschen lassen. Leo Trotzki hatte bereits 1938 gewarnt: „Die Theorie und die historische Erfahrung zeigen gleichermaßen, dass alle und jede Beschränkung der Demokratie in der bürgerlichen Gesellschaft letztlich unweigerlich gegen das Proletariat geht.“

Die Tatsache, dass der Inlandsgeheimdienst, der die „Verfassungstreue“ von Beamten überprüft, jahrelang vom Rechtsextremen Hans-Georg Maaßen geführt wurde, hat erneut deutlich gemacht, dass sich politische Repressionsinstrumente, gleich wie ihre Einführung begründet wird, letztlich immer gegen Linke richten. Rechtsradikale Professoren wie Jörg Baberowski erhalten selbst nach physischen Angriffen auf ihre politischen Gegner keine Disziplinarmaßnahmen, sondern die Rückendeckung ihrer Vorgesetzen gegen ihre Kritiker.

Gegner des Kapitalismus wie die die Sozialistische Gleichheitspartei SGP werden dagegen mit dem Segen der Verwaltungsgerichte als „linksextremistisch“ verleumdet, wenn sie mit demokratischen Mitteln für eine egalitäre, demokratische und sozialistische Gesellschaft streiten. Die SGP hat dagegen Verfassungsbeschwerde eingelegt und ruft alle Leser der WSWS auf, sie zu unterstützen.

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