Am Samstag begann die Operation Orion 2023 (kurz Orion 23) des französischen Militärs: In der südfranzösischen Region Tarn sprangen hunderte Fallschirmspringer ab. Am Sonntagmorgen wurde bei Sète an der Mittelmeerküste ein amphibischer Angriff simuliert.
An dieser ersten Phase von Orion 23, die bis Ende der Woche andauert, sind 7.000 Soldaten aus Frankreich, den USA, Italien, Spanien, Belgien und dem Vereinigten Königreich beteiligt – allesamt Mitglieder der Nato, die in der Ukraine Krieg gegen Russland führt. Im Verlauf der Woche werden sich bis zu 2.300 Militärfahrzeuge an den Manövern beteiligen, darunter 40 Kampfflugzeuge, über 100 Drohnen, 30 Kriegsschiffe und der Flugzeugträger Charles De Gaulle.
General Yves Métayer, der die Operation organisatorisch leitete, erklärte: „Wir haben noch nie eine Übung von dieser Größenordnung über einen so langen Zeitraum durchgeführt.“ Ein anderer Offizier erklärte gegenüber France3: „Die Menge an Ressourcen, die zur Verfügung gestellt wurden, und das Ausmaß der Synergie zwischen den verschiedenen Armeen hat es so noch nie gegeben, seit ich in die Armee eingetreten bin.“
Doch das Militärmanöver in dieser Woche wird nur wenige Wochen lang das größte sein, das jemals auf französischem Boden stattfand. Schon Mitte April soll in der Region Champagne die zweite Phase der Operation Orion mit mehr als 12.000 Soldaten beginnen.
In der kapitalistischen Presse wird mehr oder weniger offen zugegeben, dass Orion 23 Teil der weit fortgeschrittenen Vorbereitungen auf einen offenen Landkrieg zwischen der Nato und Russland ist. Mit der Lieferung von Offensivwaffen an die Ukraine führen die Nato-Mächte de facto bereits heute schon Krieg gegen Russland.
Die staatliche Nachrichtenagentur France24 berichtete über die Manöver: „Sie sollen das französische Militär in die Lage versetzen, sich auf einen Konflikt mit hoher Intensität gegen einen gleich starken feindlichen Staat vorzubereiten ... Im Kontext globaler geopolitischer Umwälzungen ist der Einsatz von Gewalt nicht mehr tabu und die Aussicht auf einen großen Konflikt nicht länger Science Fiction.“
Während des blutigen imperialistischen Kriegs in Mali konnte das französische Militär den Einsatz moderner Jagdbomber und Drohnen verfeinern. Doch die Bodenoperationen wurden vorwiegend von kleineren Spezialeinheiten durchgeführt. General Vincent Desportes erklärte gegenüber France24, Orion 23 sei notwendig, um „das Know-how darüber wiederzuerlangen, wie man große gemeinsame Streitkräfte führt. Wir haben es verlernt, weil wir uns in den letzten zwei Jahrzehnten auf kleine Operationen konzentriert haben.“
Die Medien berichten umfassend über das fiktive Szenario des Manövers, das diese Woche stattfindet. In einer kaum verhüllten Anspielung auf Russland hat eine feindliche Macht namens „Mercure“ einen französischen Verbündeten namens „Arnland“ überfallen. Nun soll das französische Militär einen Brückenkopf im besetzten Arnland errichten und damit beginnen, die Truppen von Mercure zurückzudrängen. Die Umsetzung eines derartigen Szenarios in der besetzten Südukraine oder auf der Krim ist zweifellos ein wichtiger Bestandteil der Nato-Schlachtpläne für eine direkte Konfrontation mit Russland.
Daneben zielt Orion 23 auch darauf ab, den französischen Staat in den Kriegsmodus zu versetzen. Mit der Orion-Operation wurde auch ein „Informationskrieg“ simuliert, in dem beide Seiten darum kämpften, die Berichterstattung über ihr Vorgehen zu kontrollieren. Dies entspricht den Bestrebungen der Nato-Mächte, die Fakten über die Rolle der ukrainischen Neonazi-Milizen im Krieg gegen Russland vor der Öffentlichkeit geheim zu halten und die Kriegsverbrechen der ukrainischen Streitkräfte zu beschönigen.
Laut der Website des französischen Verteidigungsministeriums beteiligen sich an der Übung auch mehrere zivile Ministerien. Das Manöver soll „die Energien von zivilem und militärischem Personal zusammenbringen, die gemeinsam am Zusammenhalt der französischen Nation arbeiten“. Mit anderen Worten, Polizei und andere nominell zivile Teile des französischen Staatsapparats bereiten sich auf Propaganda-Operationen und eine verschärfte Unterdrückung von Streiks und Protesten im Falle eines umfassenden Kriegs vor.
Operation Orion findet vor dem Hintergrund einer Explosion des Klassenkampfs in Frankreich statt. Millionen demonstrieren gegen Präsident Macrons Rentenreform, die er mit der Behauptung rechtfertigt, es sei „kein Geld mehr da“.
Doch wenn es um die Verfolgung der imperialistischen Ambitionen der französischen herrschenden Klasse und ihrer Nato-Verbündeten geht, schmeißt man mit hunderten Milliarden Euro um sich, als sei es Kleingeld. Die Organisation von Orion 23 hat 35 Milliarden Euro gekostet, dazu kommt Kriegsgerät im Wert von weiteren Milliarden Euro, und das ist nur Teil einer weitaus größeren französischen Aufrüstung. Im Januar hat Macron angekündigt, bis 2030 nicht weniger als 413 Milliarden Euro für das französische Militär auszugeben (während es in der Zeitspanne 2020–2025 weniger als 300 Milliarden Euro sind). Letzten Oktober wurde ein Ergänzungsantrag angenommen, der die Militärausgaben für 2023 um drei Milliarden Euro aufstockt.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Frankreich hat seit Beginn des Konflikts rund zwei Milliarden Euro für Waffenlieferungen und andere Hilfen an die Ukraine ausgegeben. Im Januar 2023 hat Macron als erster Nato-Staatschef der Ukraine die Lieferung von Dutzenden von leichten Panzern des Typs AMX-10 RCR zugesagt. Dieses Jahr liefert Frankreich der Ukraine die letzten von 30 selbstfahrenden Haubitzen zum Stückpreis von 7,5 Millionen Euro. Daneben werden derzeit 2.000 ukrainische Soldaten auf französischem Boden ausgebildet.
Angesichts der Tatsache, dass Millionen gegen Macrons verhasste Rentenreform demonstrieren und weitere französische Waffenlieferungen an die Ukraine gegen Russland zutiefst unpopulär sind, wirft die Aufrüstung des französischen Militärs zwangsläufig die Frage auf: Wie kann Macron so unverfroren hunderte Milliarden für das Militär bereitstellen und einen blutigen Krieg gegen Russland vorbereiten?
Der Präsident kann seine Politik nur dank der Unterstützung der pseudolinken Parteien und der Gewerkschaftsbürokratie umsetzen. Der Vorsitzende der pseudolinken Partei France Insoumise (Unbeugsames Frankreich), Jean-Luc Mélenchon, leugnet den Zusammenhang zwischen der Finanzierung des Kriegs und Macrons Angriff auf die Arbeiterklasse. Mit seiner NUPES (Neue ökologische und soziale Volksunion) baut er eine Koalition mit französischen Sozialdemokraten und Stalinisten auf.
Mélenchon und die Gewerkschaften unterstützen die Waffenlieferungen an die Ukraine schon seit Beginn des Krieges. Sie leugnen nach wie vor, dass es jahrelange bewusste Bemühungen der Nato waren, die Putin vor einem Jahr zu seinem reaktionären Einmarsch in die Ukraine provoziert haben.
Die gleichen Kräfte unterstützen auch massive Investitionen in die französische Aufrüstung. Anfang Februar forderte Jean-Luc Mélenchons NUPES-Koalition gemeinsam mit Anna Pic, Mitglied der Parti Socialiste, in einem parlamentarischen Bericht, noch mehr Gelder für Manöver aufzubringen, um Frankreich auf die „Hypothese eines schweren Konflikts“ vorzubereiten.
Das beispiellose Ausmaß von Orion 23 muss als Warnung verstanden werden: Die Vorbereitungen auf einen totalen Krieg in Europa und eine weitere umfangreiche Eskalation des Nato-Kriegs gegen Russland sind weit fortgeschritten. Sie könnten zu einem globalen Flächenbrand zwischen Atommächten führen. Was die Finanzoligarchie angeht, die Frankreich und die anderen Nato-Mächte regiert, so sollen die Verluste und die Kosten des Kriegs überwiegend von der Arbeiterklasse getragen werden. Arbeiter und Jugendliche, die Rentenkürzungen, Austerität und andere Angriffe auf die Arbeiterklasse ablehnen, müssen sich deshalb auch gegen den Nato-Krieg gegen Russland wenden.