Das Treffen der EU-Verteidigungsminister am Dienstag und Mittwoch in Stockholm stand ganz im Zeichen der Nato-Kriegseskalation gegen Russland. Es ging darum, der ukrainischen Armee zügig massive Mengen an Munition zur Verfügung zu stellen, um die russischen Armee an der Front in der Ostukraine zurückzuschlagen und zur Gegenoffensive überzugehen.
Bezeichnenderweise nahm an dem Treffen auch der ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow teil. Er forderte die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union auf, der Ukraine eine Million Geschosse im Wert von vier Milliarden Euro bereitzustellen, damit sich Kiew „weiter verteidigen kann“.
Die EU-Minister verständigten sich in Stockholm darauf, Kiew Munition zu liefern. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell sprach von einer „Grundsatzeinigung auf ein Verfahren“. Er schlug vor, zunächst eine Milliarde Euro aus der sogenannten Europäischen Friedensfaszilität locker zu machen, um der Ukraine Geschosse aus eigenen Beständen zu liefern.
Gleichzeitig werden hinter den Kulissen bereits weitere Schritte vorbereitet. „Um der Ukraine zu helfen, muss die EU frisches Geld in die Hand nehmen, und zwar schnell“, forderte der estnische Verteidigungsminister Hanno Pevkur. Und der schwedische Verteidigungsminister Pal Jonson versprach nach dem Treffen: „Wir werden rasch handeln, um den Bedarf der Ukraine an Munition zu decken“.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der an dem Treffen teilnahm, erklärte, man arbeite daran, die Munitionsproduktion massiv hochzufahren. „Die Nato-Länder haben mit der Rüstungsindustrie Vereinbarungen zur Steigerung der Produktion getroffen“, und verschiedene Nato-Länder hätten sich bereits auf „gemeinsame Projekte zur Beschaffung verschiedener Munitionstypen, aber auch zur Lagerung von Munition“ geeinigt, verkündete er in Stockholm. „Der Bedarf“ sei „enorm“ und die „derzeitige Verbrauchs- und Produktionsrate von Munition nicht tragbar“.
Berichten zufolge werden in Europa jährlich etwa 300.000 Artilleriegeschosse vom Kaliber 155 Millimeter hergestellt. Das sind ungefähr so viele, wie die ukrainische Armee innerhalb von drei Monaten verschießt. Um den Bedarf sicherzustellen, die eigenen Bestände aufzufüllen und sich auf einen langen und umfassenden Krieg gegen Russland vorzubereiten, gehen die europäischen Staaten nun dazu über, eine regelrechte Kriegswirtschaft zu organisieren.
Dieses Ziel wurde in Stockholm offen formuliert. Um die Kapazitäten hochzufahren, solle die Rüstungsindustrie in den „Modus der Kriegswirtschaft“ wechseln, forderte EU-Kommissar Thierry Breton. Borrell äußerte sich ähnlich. Es tue ihm leid, das zu sagen, aber man müsse sich eine „Kriegsmentalität“ zulegen, erklärte er. Schließlich befinde man sich in „Kriegszeiten“.
Der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sagte zunächst, er mache sich „den Begriff der Kriegswirtschaft definitiv nicht zu eigen“. Die EU und Deutschland befänden sich „nicht im Krieg“ und „Kriegswirtschaft“ würde heißen, „dass wir alles der Produktion von Waffen und Munition unterordnen“.
Tatsächlich passiert genau das. Und daran ließ auch Pistorius in seinen weiteren Ausführungen in Stockholm keinen Zweifel. U.a. bezeichnete er es als „überlegenswert“, die Verteidigungsbranche beim Hochfahren der Munitionsherstellung zu subventionieren. „In der Tat, die Rüstungsindustrie verdient gerade richtig Geld, das ist makaber, aber in Kriegszeiten ist es halt so, dann steigt die Nachfrage, und dann steigen auch die Umsätze“, erklärte er zynisch. Deshalb sei „es umso wichtiger, dass jetzt flexibel reagiert wird“.
Insbesondere der deutsche Imperialismus treibt die massive Aufrüstung in Europa und die Umstellung auf Kriegswirtschaft voran. In seiner Regierungserklärung zum Jahrestag der Zeitenwende am vergangenen Donnerstag prahlte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Pistorius und er redeten aktuell mit der Verteidigungsindustrie „über einen echten Spurwechsel hin zu einer schnellen, planbaren und leistungsfähigen Beschaffung von Rüstungsgütern für die Bundeswehr und andere europäische Armeen“. Das erfordere „eine laufende Produktion von wichtigen Waffen, Geräten und Munition“ und „langfristige Verträge und Anzahlungen, um Fertigungskapazitäten“ und „hier in Deutschland eine industrielle Basis“ aufzubauen.
Hinter dem Rücken der Bevölkerung werden diese Pläne aggressiv vorangetrieben. Im vergangenen November trafen sich Vertreter der Rüstungsindustrie im Bundeskanzleramt mit den zuständigen Spitzenbeamten der Bundesregierung zu einem sogenannten „Rüstungs- und Munitionsgipfel“, um die Produktion zu erhöhen. Berichten zufolge plant Deutschland in den nächsten Jahren allein 20 Milliarden Euro für Munition auszugeben.
Dabei reiben sich die gleichen Konzerne die blutigen Hände, die bereits eine zentrale Rolle in der Kriegswirtschaft der Nazis gespielt und die Wehrmacht binnen weniger Jahre für den Zweiten Weltkrieg hochgerüstet hatten. Bereits kurz vor dem berüchtigten Gipfel im Kanzleramt verkündete Rheinmetall die Übernahme des spanischen Konkurrenten Expal Systems für 1,2 Milliarden Euro. Expal Systems gehört mit einem Jahresumsatz von 400 Millionen Euro zu den größten Munitionsproduzenten in Europa.
Seitdem geht es Schlag auf Schlag. Aktuell baut Rheinmetall am Standort Unterlüß in der Lüneburger Heide eine neue Munitionsfertigung für das sogenannte Mittelkaliber (20 bis 35 Millimeter) auf. Aus Sicherheitsgründen sei die geplante Jahreskapazität geheim, aber das Ziel sei, „die Munitionsversorgung in Deutschland wieder prinzipiell unabhängig von ausländischen Fertigungsstätten aufzustellen“, erklärte ein Unternehmenssprecher.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Der Standort Unterlüß, in dem während des Zweiten Weltkriegs tausende Zwangsarbeiter eingesetzt wurden, ist mit über 55 Quadratkilometern Fläche bereits jetzt der größte Rheinmetall-Munitionsstandort. Gegenwärtig wird dort großkalibrige Munition produziert, z.B. für den Kampfpanzer Leopard, den die Bundeswehr an die Ukraine liefert. Auch die bisherige Produktion wird massiv hochgefahren.
Als Pistorius Ende Februar das Werk besuchte, prahlte Rheinmetall-Chef Armin Papperger, dass speziell in Unterlüß die Produktion gesteigert worden sei – im Schnitt um das Doppelte, in manchen Bereichen sogar um das Dreifache. Man laufe „auf Volldampf“ und werde die Produktion mit einer weiteren Schicht sogar noch steigern. Pistorius pries die Rüstungsindustrie und erklärte, dass die „Zeitenwende“ – ein Euphemismus für die Rückkehr des deutschen Militarismus – ohne diese „nicht möglich“ sei.
Um die Atommacht Russland – nach den fürchterlichen Verbrechen zweier Weltkriege – in einem dritten Versuch zu besiegen, plant der deutsche Imperialismus sogar die Produktion von Kampfpanzern direkt in der Ukraine. Man sei „bereit, auch in der Ukraine ein Werk für die Fertigung des Panthers zu errichten“, verkündete Papperger jüngst im Handelsblatt. Die bisherigen Zusagen von Kampfpanzern erhöhten zwar die „Schlagkraft“ der Ukraine, würden aber „nicht reichen“. Russland verfüge „über ungleich größere Reserven“. Weitere „Hilfe“ sei „daher erforderlich, auch und gerade bei Kampfpanzern“.
Die Kosten für den Kriegswahnsinn, der bereits jetzt täglich das Leben von hunderten russischen und ukrainischen Soldaten kostet und im Falle einer nuklearen Eskalation das Überleben der gesamten Menschheit bedroht, trägt auch in finanzieller Hinsicht die Arbeiterklasse. Bereits im vergangenen Jahr, als das Sondervermögen in Höhe von 100 Milliarden Euro beschlossen wurde, gab es massive Kürzungen im Bereich Gesundheit und Soziales. Nun fordert Pistorius den Kriegshaushalt jährlich um zehn zusätzliche Milliarden aufzustocken, was weitere Angriffe nach sich ziehen wird.
Doch in Deutschland und überall in Europa wächst der Widerstand gegen diese ultra-militaristische und reaktionäre Politik, die letztlich von der gesamten EU verfolgt wird. Aktuell beteiligen sich in Deutschland täglich zehntausende Arbeiter im Öffentlichen Dienst an Warnstreiks. 120.000 Postarbeiter votierten am Donnerstag für einen Vollstreik. In Frankreich gingen am Mittwoch mehrere Millionen gegen die geplante Rentenreform auf die Straße, in Griechenland protestierten Hunderttausende nach der tödlichen Zugkatastrophe, und auch in anderen europäischen Ländern entwickeln sich umfassende Streiks und Proteste.
Die Stimmungen, die Millionen Arbeiter und Jugendliche auf dem ganzen Kontinent in den Kampf treiben, tragen zunehmend einen antikapitalistischen, antimilitaristischen und sozialistischen Charakter. Die entscheidende Aufgabe besteht darin, die Bewegung in eine bewusste Bewegung für den Sozialismus zu verwandeln. Das bedeutet, den Kampf gegen Krieg mit dem Kampf gegen seine Wurzel, den Kapitalismus, zu verbinden und die europäischen Sektionen der Vierten Internationale – in Deutschland die Sozialistische Gleichheitspartei – als neue revolutionäre Parteien der Arbeiterklasse aufzubauen.