Die internationale Redaktion der World Socialist Web Site verurteilt die Verhaftung des französischen Verlegers Ernest Moret auf der Grundlage der Antiterrorgesetze, die mit seiner Teilnahme an den Massenprotesten in Frankreich gegen Macrons Rentenkürzungen gerechtfertigt wurde.
Moret (28) arbeitet als Manager für Auslandsrechte des französischen Verlags Éditions La Fabrique. Er kam am Montagabend um 19:15 Uhr mit dem Eurostar am Londoner Bahnhof Saint Pancras an, wo er von Beamten der Terrorismusbekämpfung in Zivil angehalten wurde. Sie beriefen sich auf Anhang 7 des Terrorism Act 2000 und forderten von ihm die Passwörter zu seinem Handy und seinem Computer, was er ablehnte.
Er wurde sechs Stunden lang auf der Polizeiwache Islington im Norden Londons verhört und laut der London Metropolitan Police am Dienstag wegen „des Verdachts auf vorsätzliche Behinderung einer Untersuchung nach Anhang 7, was gegen Absatz 18 des Terrorism Act 2000 verstößt“, in Haft genommen.
Am Dienstagabend kam es zu Protesten vor dem French Institute in London und der britischen Botschaft in Paris. Medienberichten zufolge wurde er mittlerweile auf Kaution freigelassen.
Anhang 7 erlaubt es der Polizei, Personen ohne Angabe von Gründen an Grenzübergängen zu durchsuchen, um die Verwicklung in Terrorismus zu untersuchen. Morets Kollegin und Reisepartnerin, Stella Magliani-Belkacem, erklärte gegenüber dem Guardian, die Polizeibeamten „behaupteten, sie hätten das Recht, ihn zu den Demonstrationen in Frankreich zu befragen“.
Éditions La Fabrique und sein britischer Partner Verso Books veröffentlichten am Dienstag eine kurze Pressemitteilung, in der sie bestätigten: „Die Polizisten behaupteten, Ernests Teilnahme an Demonstrationen in Frankreich sei eine Rechtfertigung für ihr Vorgehen – eine für einen britischen Polizeibeamten bemerkenswert unangemessene Äußerung, die eindeutig auf eine Komplizenschaft zwischen den französischen und britischen Behörden in dieser Angelegenheit hindeutet.“
Die Verlage verurteilten die „empörenden und ungerechtfertigten Verstöße gegen die Grundprinzipien der Meinungsfreiheit, die ein Beispiel für den Missbrauch von Antiterrorgesetzen sind“.
„Wir sind der Ansicht, dass dieser Angriff auf die Meinungsfreiheit eines Verlegers ein weiterer Ausdruck des Abgleitens in repressive und autoritäre Maßnahmen ist, welche die derzeitige französische Regierung angesichts der weit verbreiteten Unzufriedenheit und Proteste der Bevölkerung ergreift.“
Die politischen Differenzen zwischen der WSWS und den Traditionen der Frankfurter Schule und der Postmoderne, auf denen ein Großteil der Werke von Verso Books und Éditions La Fabrique beruhen, sind umfassend dokumentiert. Die WSWS steht jedoch in prinzipientreuer und unversöhnlicher Opposition zu diesem drakonischen Angriff auf demokratische Rechte.
Morets Verhaftung ist der Akt eines britischen Polizeistaats und hat schwerwiegende Auswirkungen auf die demokratischen Rechte. Millionen von Menschen haben in Frankreich gegen die Anhebung des Rentenalters protestiert, die Präsident Emmanuel Macron gegen den Willen der Bevölkerung und ohne Abstimmung im Parlament durchgesetzt hat. Sind sie nach den „Antiterror“-Gesetzen nun allesamt Verdächtige?
Der Einsatz der Antiterrorpolizei gegen einen Verleger steht in Einklang mit der rasanten Entwicklung hin zu immer autoritäreren Formen der Herrschaft auf beiden Seiten des Ärmelkanals und im Rest der Welt. Die französische Polizei ist in den letzten Wochen mit extremer Gewalt gegen Streiks und Proteste vorgegangen. Innenminister Gérald Darmanin hat das Vorgehen der Polizei mehrfach verteidigt und der „extremen Linken“ vorgeworfen, „die Republik angreifen“ zu wollen.
Es ist nicht das erste Mal, dass in Großbritannien mithilfe der Antiterrorgesetze Menschen eingeschüchtert werden, die in Opposition zur Regierung stehen. Im Jahr 2013 wurde David Miranda, der Partner des Journalisten Glenn Greenwald, von der Polizei unter den gleichen Umständen wie Moret verhaftet. Greenwald war zuvor an der Enthüllung der staatlichen Massenüberwachung durch Edward Snowden beteiligt gewesen.
Miranda wurde neun Stunden lang festgehalten, ihm wurden das Recht auf einen Anwalt und das Schweigerecht verweigert. Sein Eigentum, einschließlich journalistischen Materials, wurde beschlagnahmt, außerdem wurde er aufgefordert, seine Passwörter zu nennen.
Miranda erklärte damals gegenüber dem Guardian: „Sie zwangen mich, ihnen die Passwörter für meinen Computer und mein Handy zu verraten. ... Sie behaupteten, ich sei verpflichtet, alle ihre Fragen zu beantworten. Sie drohten mir ständig und behaupteten, ich käme ins Gefängnis, wenn ich nicht kooperiere.“
Der High Court entschied später, dass die Polizei rechtskonform gehandelt hat.
Den Herausgeber und Gründer von WikiLeaks, Julian Assange, hält die britische Regierung seit 2019 im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh fest. Zuvor hatte sie ihn fast sieben Jahre lang gezwungen, in der ecuadorianischen Botschaft zu bleiben, wo er politisches Asyl beantragt hatte. Assanges „Vergehen“, für das er von den USA unter dem Espionage Act verfolgt wird, war die Enthüllung der Verbrechen und demokratiefeindlichen Intrigen des US-Imperialismus und seiner Verbündeten im Irak, Afghanistan und anderen Ländern.
In den letzten Monaten hat das britische Parlament eine Reihe von Gesetzen verabschiedet, welche die grundlegendsten demokratischen Rechte aushöhlen, einschließlich des Rechts auf Streik, Proteste und freie Meinungsäußerung. Das Gesetz über die öffentliche Ordnung (Public Order Bill) verbietet Proteste, die „ernsthafte Störungen für zwei oder mehr Personen oder eine Organisation“ verursachen, wobei ernsthafte Störungen auch „Lärm“ bedeuten. Es erweitert die Befugnisse der Polizei, Personen anzuhalten und zu durchsuchen, und gibt ihr das Recht, Personen die Teilnahme an Protesten für bis zu zwei Jahre zu verbieten und sie mit elektronischen Fußfesseln zu versehen.
Das Gesetz über Streiks (Minimum Service Levels) wird einen Mindestanteil an Arbeitern in sechs Bereichen dazu zwingen, während eines Arbeitskampfs weiterzuarbeiten, und erlaubt es Arbeitgebern, Personen anzuordnen, die Streikposten zu missachten.
Das Gesetz über die nationale Sicherheit (National Security Bill) erweitert das Gesetz über das Amtsgeheimnis (Official Secrets Act) um noch weitergehendere und drakonischere Bestimmungen, welche die journalistische Tätigkeit stark einschränken.
Morets Verhaftung durch die britische Polizei bestätigt, dass sich diese repressiven Gesetze letzten Endes gegen den Widerstand der Arbeiterklasse richten. Angesichts der Proteste und Streiks gegen die Sparmaßnahmen der Regierung und des zutiefst unpopulären Nato-Kriegs gegen Russland in der Ukraine greift die herrschende Klasse immer unverhohlener zu staatlicher Unterdrückung.
Im Jahr 2019 erschien ein Bericht der staatlichen Kommission zur Abwehr von Extremismus (CCE), in dem große Teile des linken Meinungsspektrum als „extremistisch“ gebrandmarkt und „revolutionäre Ansichten der Arbeiterbewegung“ mit Sympathie für „gewalttätige extremistische Taktiken“ in Verbindung gebracht wurden. Zu den Beispielen für Ansichten, die kriminalisiert werden sollen, gehören: „Wir sollten streikende Arbeiter immer unterstützen“, „Dieses Land braucht revolutionäre Veränderungen“ und „Proteste gegen die Regierung machen die Welt zu einem besseren Ort“.
Im Jahr 2020 wurde ein Leitfaden zur Terrorismusbekämpfung geleakt, in dem Organisationen wie die Stop the War Coalition, die Campaign for Nuclear Disarmament (CND), Greenpeace, Extinction Rebellion, PETA, Stop the Badger Cull, die Socialist Workers Party, Stand Up to Racism und die Socialist Party aufgeführt wurden.
Im Jahr 2021 kündigte die britische Regierung einen „Meilenstein“ bei der Bewertung von „Linksextremismus“ an.
Morets Verhaftung wegen Terrorismus in Zusammenhang mit den Protesten in Frankreich verdeutlicht vor allem die nagende Angst der britischen herrschenden Klasse, dass sich die Bewegung ausbreiten und die Streiks der französischen und britischen Arbeiter, die sich im Grunde um die gleichen Fragen drehen, vereinen könnten. Diese Sorge plagt die herrschende Klasse überall angesichts des wachsenden Widerstands der Arbeiterklasse gegen ihre Politik der Massenverarmung und des Kriegs.
Doch der internationale Klassenkampf lässt sich nicht an einer Landesgrenze aufhalten, egal wie diktatorisch die verhängten Gesetze sind. Die Arbeiter müssen Moret und alle anderen verteidigen, die von kapitalistischen Regierungen attackiert werden, um Präzedenzfälle für eine breitere Unterdrückung zu schaffen.