Biden: „Journalismus ist kein Verbrechen“ – außer für Julian Assange

Für Vertreter der Medienelite und hochrangige Politiker in Washington ist das jährliche Dinner der White House Correspondents Association eine Gelegenheit, zu plaudern und sich ihre gegenseitige Solidarität zu versichern. Üblicherweise inszenieren sie sich dabei als Verteidiger des 1. Zusatzartikels zur US-Verfassung, obwohl eine Regierung nach der anderen sie im Interesse des amerikanischen Imperialismus systematisch mit Füßen getreten hat.

Illegale staatliche Überwachung, Polizeigewalt und Verletzung demokratischer Grundsätze wie die Trennung von Kirche und Staat gehören in Amerika zum Alltag, und die bürgerlichen Medien gehen darüber im Allgemeinen stillschweigend hinweg, solange ihre eigenen finanziellen Interessen nicht gefährdet werden.

Doch das diesjährige Dinner der White House Correspondents Association am letzten Samstagabend war von mehr als dem üblichen Maß an Heuchelei geprägt. Präsident Joe Biden und die versammelten Mitglieder der politischen und medialen Elite gaben vor, die Pressefreiheit zu verteidigen – aber nur, wenn sie den außenpolitischen Interessen des amerikanischen Imperialismus dient.

Abgesehen von Donald Trump haben in den letzten Jahren alle amtierenden Präsidenten an dem Dinner teilgenommen. Die meisten Auftritte der Präsidenten waren dabei geprägt von vorbereiteten Reden, in denen sie sich über das Publikum, die politischen Gegner und Kritiker des Präsidenten und auch den Präsidenten selbst lustig machten.

Doch Biden widmete den Großteil seiner Rede einer langen Erklärung, in der er die repressiven Maßnahmen gegen Journalisten in Russland, China, dem Iran, Syrien und Venezuela verurteilte. Zudem versprach er, dass die USA sich diplomatisch dafür einsetzen werden, die Freilassung des Wall-Street-Journal-Reporters Evan Gershkovich und anderer amerikanischer Gefangener des Putin-Regimes zu erwirken. Gershkovich war vor kurzem in Russland wegen fingierter Spionagevorwürfe verhaftet worden.

US-Präsident Joe Biden bei seiner Rede beim jährlichen Dinner der White House Correspondents Association in Washington (AP Photo/Patrick Semansky) [AP Photo/Patrick Semansky]

Es war offensichtlich, dass die Länder, denen er Verletzungen der Pressefreiheit vorwarf, die gleichen Länder sind, in welchen der US-Imperialismus die Regierung schwächen und stürzen will. So erwähnte Biden beispielsweise die Ermordung des Washington-Post-Kommentators Jamal Khashoggi, der im Konsulat Saudi-Arabiens in Istanbul getötet und zerstückelt wurde, mit keinem Wort.

Khashoggi, ein ehemaliger Berater der saudischen Monarchie, der sich zu ihrem Kritiker entwickelt hatte, wurde vom faktischen saudischen Herrscher, Kronprinz Mohammed bin Salman, ins Visier genommen. Sein Sicherheitschef entsandte das Killerkommando und leitete ihre Aktion. Im Wahlkampf 2020 hatte Biden behauptet, er würde den saudischen Herrscher zum „Paria“ machen. Stattdessen begab er sich unterwürfig nach Riad, um mit dem Prinzen und Mörder über eine Erhöhung der saudischen Ölproduktion zu reden.

Doch der offensichtlichste Fall von Doppelmoral betraf die Biden-Regierung direkt: die Verfolgung von Julian Assange. Der WikiLeaks-Gründer und -Herausgeber saß fast ein Jahrzehnt lang in der ecuadorianischen Botschaft in London fest, wo er politisches Asyl gegen die Bestrebungen der USA beantragt hatte, ihn zu verhaften und in die USA zu überstellen. Dort sollte er wegen der Enthüllung von US-Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan sowie im Foltergefängnis Guantanamo Bay wegen Spionage angeklagt werden.

Vor vier Jahren stürmte die britische Polizei die Botschaft und verhaftete Assange. Seither sitzt er in Einzelhaft im Londoner Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, das eigentlich für Terroristen und Gewaltverbrecher bestimmt ist, und wartet auf die Auslieferung an die USA, wo ihm im Falle einer Verurteilung nach dem Espionage Act 175 Jahre Gefängnis drohen. Er wäre der erste Journalist, der auf der Grundlage dieses Gesetzes strafrechtlich verfolgt würde, das vor einem Jahrhundert inmitten der antikommunistischen Hysterie bei Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg verabschiedet wurde.

Julian Assange [Photo by David G. Silvers, Cancillería del Ecuador / CC BY-SA 2.0]

Drei Minuten nach Beginn seiner Rede bei der Feier am Samstag erklärte Biden: „Journalismus ist kein Verbrechen.“ Diese Äußerung wirkte wie eine perverse Wiederholung der Erklärung eines halben Dutzend großer internationaler Zeitungen, einschließlich der New York Times, vom letzten Dezember, in der sie die Biden-Regierung aufforderten, die Anklage gegen Assange fallen zu lassen, weil „Publizieren kein Verbrechen ist“.

Es ist bemerkenswert, dass weder die Times noch die Washington Post oder irgendein anderes bürgerliches Medium in ihrer Berichterstattung über das Dinner Assange erwähnte oder auf den Widerspruch zwischen Bidens Bekenntnis zum 1. Zusatzartikel und den anhaltenden Bestrebungen seiner Regierung einging, Assange auszuliefern und einzusperren. Ebenso wenig versuchten die Korrespondenten oder die Medien-Manager, die den Großteil der Gäste des Dinners stellten, das Thema anzusprechen.

Sieben demokratische Kongressmitglieder, darunter alle fünf Mitglieder der Democratic Socialists of America, haben Justizminister Merrick Garland vor kurzem in einem offenen Brief aufgefordert, die Verfolgung Assanges zu beenden. Doch keiner der fünf Abgeordneten erwähnte das Thema bei dem Dinner, das nur vier Tage vor dem Welttag der Pressefreiheit stattfand, den die Vereinten Nationen ausgerufen hatten.

Im Verlauf seiner Rede schmeichelte Biden der Presse: „Sie ermöglichen es einfachen Bürgern, Autoritäten zu hinterfragen.“ Tatsächlich haben die amerikanischen Mainstreammedien selbst den Anschein einer derartig oppositionellen Haltung gegenüber der US-Regierung aufgegeben.

Die Times, die in den amerikanischen Medien die Vorgaben für die tägliche Berichterstattung liefert, ist in Fragen der nationalen Sicherheit, insbesondere des Kriegs in der Ukraine, kaum mehr als ein Anhängsel der CIA und des Pentagons. Als der 21-jährige Pilot und IT-Spezialist der Nationalgarde, Jack Teixeira, streng geheime Pentagon-Dokumente im Internet veröffentlichte, machte die Times ihn ausfindig und veröffentlichte seinen Namen. Nur wenige Stunden später wurde er vom FBI verhaftet.

Nach Bidens Lobgesang auf die amerikanischen Medien und seinem Bekenntnis zum 1. Zusatzartikel folgten eine Reihe von offensichtlichen und banalen Witzen, größtenteils auf Kosten von Fox News, und einige Hinweise auf sein hohes Alter, als wäre es das einzige Hindernis für seine Wiederwahl.

Auch den Krieg in der Ukraine, der jeden Tag zu einem atomaren Schlagabtausch zwischen den USA und Russland eskalieren könnte, erwähnte er nicht, ebenso wenig wie die Corona-Pandemie, die weiterhin eine tödliche Gefahr für die Weltbevölkerung darstellt.

Bemerkenswert war, dass die Teilnehmer des Dinners keine Masken trugen, wie es bei anderen großen öffentlichen Ereignissen in Washington und im ganzen Land üblich ist. Es wurde nichts unternommen, um irgendjemanden, einschließlich des 80-jährigen Biden, vor der Gefahr einer möglicherweise tödlichen Infektion zu schützen.

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