In der Nacht zum Mittwoch hat der bundesweite Streik der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) gegen die Deutsche Bahn AG begonnen. Im Kampf um bessere Löhne und eine Arbeitszeitverkürzung von 38 auf 35 Wochenstunden werden Lokführer, Zugbegleiter, Fahrdienstleiter und andere Eisenbahner den Streik bis Freitagabend fortsetzen.
Erfolglos hat der Bahnvorstand versucht, den Streik in erster und zweiter Instanz gerichtlich zu verbieten. Der Klage schloss sich auch die private Bahn- und Busgesellschaft Transdev an, die ebenfalls bestreikt wird. Doch der Antrag von DB und Transdev auf einstweilige Verfügung gegen den Streik wurde am späten Dienstagnachmittag vor dem Hessischen Landesarbeitsgericht (LAG) zurückgewiesen. Praktisch zeitgleich begann um 18 Uhr der Streik im Güterverkehr. Die Lokführer im Passagierverkehr nahmen den Arbeitskampf um 02:00 Uhr früh am Mittwochmorgen auf.
Die Unzufriedenheit unter den Bahnbeschäftigten ist mit Händen zu greifen. Nach zwei 24-stündigen Warnstreiks im November und Dezember hat die Urabstimmung der GDL kurz vor den Feiertagen eine Zustimmung von 97 Prozent für einen unbefristeten Streik ergeben. „Wir streiken nicht nur für Lohnerhöhungen, sondern für bessere Arbeitsbedingungen und Planungssicherheit“, brachte ein Lokführer die Stimmung auf den Punkt.
Besonders die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung ist sehr populär. Seit dem letzten Streik vor drei Jahren hat sich in dieser Hinsicht nichts verbessert, ganz im Gegenteil. Nach wie vor sind die Fahrer bei höchst unregelmäßigen Schichten Tag und Nacht im Einsatz, ohne dass die Bahn dies angemessen honoriert.
Ein junger ICE-Lokführer aus Norddeutschland erklärte der ZEIT: „Ich arbeite bis zu sechs Tage die Woche. Eine Schicht dauert bei uns bis zu zwölf Stunden. Manchmal haben wir dann nur einen halben Tag Pause, dann geht es direkt wieder los. Die Schichten können auch mal um drei Uhr morgens starten. Häufig gibt es kurzfristige Änderungen, weil zu wenig Personal da ist. Das ist psychisch sehr belastend.“ Er fuhr fort: „Es kommt immer noch vor, dass man montags eine Frühschicht hat, dienstags eine Spätschicht und mittwochs eine Nachtschicht. Das bringt den Biorhythmus völlig durcheinander.“ Er verdiene im Monat zwischen 2.350 und maximal 2.600 Euro netto, sagte er weiter. Dabei fahren Lokführer wie er die ICEs sicher durch die ganze Republik und tragen die Verantwortung für bis zu 1.000 Passagieren: „Da haben wir einfach mehr verdient!“
Das Angebot des Bahnvorstands ist dagegen eine Provokation: Eine 35-Stundenwoche mit vollem Lohnausgleich lehnt Personalvorstand Martin Seiler rundheraus ab. Am 5. Januar trat er erneut vor die Presse und erklärte, die Bahn werde künftig zulassen, dass Lokführer frei wählen könnten, ob sie ihre Arbeitszeit auf 35 Stunden reduzieren. Das ist eine üble Irreführung der Öffentlichkeit, denn das neue „Angebot“ bedeutet, dass bei jeder Stunde weniger den Beschäftigten 2,6 Prozent vom Lohn abgezogen werden – sie sollen also die Arbeitszeitverkürzung selbst finanzieren!
Als die GDL-Mitglieder davon hörten, bezeichneten viele das als Witz: „Hätte die GDL das angenommen, dann wäre aber was los gewesen!“ sagte ein GDL-Mitglied im Ruhrgebiet der WSWS. Mit seinem provokativen „Angebot“ hat der Personalvorstand, der sich selbst Gehälter und Boni in Millionenhöhe genehmigt, die Wut und Streikbereitschaft eher noch gesteigert. Gleichzeitig bleibt die Bahn dabei, als Lohn-„Erhöhung“ elf Prozent anzubieten – auf ganze 32 Monate bezogen, was pro Jahr nicht mehr als 3,7 Prozent ergibt. Das ist angesichts der horrenden Inflation eine massive Reallohnsenkung.
Hinter dem Vorstand der DB AG steht die Bundesregierung als Eigentümerin der Deutschen Bahn. Und offenbar hat die Regierung der Bahn für diese Tarifrunde ein festes Budget vorgeschrieben, das nicht überschritten werden darf. So sind Lokführer und Eisenbahner tatsächlich nicht nur mit dem Bahnvorstand, sondern auch mit der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP konfrontiert, die angesichts der Haushaltskrise massive Sozialkürzungen durchsetzen will.
Mit der selben Brutalität mit der die Bundesregierung den Völkermord in Gaza unterstützt, geht sie auch gegen die arbeitende Bevölkerung hier und die Bahnbeschäftigten vor. Sie liefert endlos Waffen und Munition an Israel und die Ukraine und finanziert eine gigantische Aufrüstung der Bundeswehr. Zeitgleich mit Beginn des Lokführerstreiks reisten Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck (beides Grüne) einmal mehr in den Nahen Osten, um den Krieg anzuheizen. Die Kosten dafür werden der Bevölkerung und den Bahnbeschäftigten aufgebürdet. Deshalb ermutigt die Bundesregierung ihre Funktionäre und Manager im Bahn-Vorstand, die Lebensinteressen und berechtigten Forderungen der Lokführer und Eisenbahner mit Füßen zu treten.
Mit diesem Gegner haben es die Streikenden zu tun. Um ihn zu besiegen, ist ein Kurswechsel im Arbeitskampf notwendig. Weselsky nutzt jede Gelegenheit, um zu betonen, er werde unter allen Umständen einen unbegrenzten Vollstreik verhindern. Warum? Er will eine Konfrontation mit der Regierung verhindern und bereitet einen faulen Kompromiss und Ausverkauf vor. Deshalb ist es notwendig, die Diktatur der GDL-Führung zu durchbrechen und den gegenwärtigen Streik zum Auftakt für eine breite Mobilisierung aller Bahn-Beschäftigten und darüber hinaus aller Verkehrsarbeiter zu machen.
„Nehmt den Streik selbst in die Hand!“ heißt es in einem Aufruf, den das Aktionskomitee Bahn, ein Zusammenschluss von Eisenbahnern mit und ohne Gewerkschaftsbuch, an die GDL-Mitglieder richtet. Das Aktionskomitee tritt dafür ein, den Kampf um Löhne und Lebensbedingungen mit dem Widerstand gegen Krieg und Völkermord zu verbinden. Die Streiks müssen ausgeweitet und Bedingungen geschaffen werden, um Waffentransporte nach Israel und in die Ukraine aufzuhalten und den Kriegskurs der Regierung zu stoppen, der auch hinter den Angriffen auf die Lokführer und Eisenbahner steht.
„Wir unterstützen euren Streik voll und ganz“, schreibt das Aktionskomitee Bahn, an die GDL-Mitglieder gerichtet. „Doch die GDL und ihr Vorsitzender Claus Weselsky denken überhaupt nicht daran, einen solchen Streik zu führen.“ Die GDL-Führung tut alles, um den Streik zu isolieren und klein zu halten; dabei stehen alle Eisenbahner unter dem gleichen Druck. Im Sommer haben mehrere Zehntausend beim EVG-Streik ihre Kampfbereitschaft demonstriert, bis sie von der EVG-Führung ein weiteres Mal schändlich ausverkauft wurden.
Die GDL ist vor allem nicht bereit, sich an die breite Arbeiterklasse zu wenden. Im Dezember, als der öffentliche Dienst der Länder gleichzeitig Tarifauseinandersetzungen für 2,5 Millionen führte, hat Weselsky den Arbeitskampf für einen vollen Monat unterbrochen. Das war kein Zufall.
Weselsky hat der Wirtschaft versichert, die GDL werde „Streiks von drei bis maximal fünf Tagen“ machen, denn alles andere wäre mit Blick auf „die wirtschaftlichen Folgen nicht in Ordnung“. Dabei haben 97 Prozent ihrer Mitglieder einem unbefristeten Streik in der Urabstimmung zugestimmt! Schon früher versicherte Weselsky: „Wir sind nicht im Klassenkampf unterwegs, sondern in der Marktwirtschaft.“
Wenn der Streik der GDL überlassen bleibt, wird er zwangsläufig in einem Ausverkauf enden. Am Sonntag hat Weselsky deutlich gemacht, was er anstrebt: Er wäre bereit, einem Abschluss wie zuletzt bei Go-Ahead und Netinera zuzustimmen. Dort soll die 35-Stunden-Woche schrittweise, beginnend ab 2025 und bis 2028, eingeführt werden. Hinzu kommt eine Lohnerhöhung von insgesamt 420 Euro, verteilt auf zwei Jahre, sowie die Inflationsrate von 3.000 Euro in drei Raten, bei einer Laufzeit von 24 Monaten.
Dabei wäre auch die bisher erhobene GDL-Lohnforderung, würde sie denn umgesetzt, völlig ungenügend. Offiziell fordert die GDL eine Erhöhung von 555 Euro im Monat bei einer Laufzeit von einem Jahr. Auch bei voller Durchsetzung dieser Forderung könnten die Verluste der letzten Jahre nicht ausgeglichen werden. Aber wie sich jetzt zeigt, hat Weselsky darauf schon verzichtet.
So ist von vorneherein klar, dass das Ergebnis der GDL-Taktik an der aktuellen Situation der Lokführer und Eisenbahner ein weiteres Mal nichts Wesentliches verbessern wird. Wie schon in ihren früheren Tarifrunden wird die GDL einem Kompromiss zustimmen, der die Arbeitszeitverkürzung – wenn sie denn überhaupt kommt – in die ferne Zukunft verschiebt. Gleichzeitig wird Weselsky ein Lohnergebnis akzeptieren, das weit davon entfernt ist, die Teuerung bei Grundgütern wie Lebensmitteln, Heizkosten, Mieten und Benzin aufzufangen, geschweige denn die Verluste der vergangenen Jahre wettzumachen. Am Stress der Wechselschichten wird sich unter GDL-Führung nichts ändern, und die Unfallgefahr wird weiter steigen.
Weit mehr als der Erfolg des Lokführerstreiks liegt GDL-Chef Claus Weselsky ein anderes Projekt am Herzen: Es ist die vor einem Jahr gegründete Leiharbeitsfirma „Fair Train e.V.“, die allerdings die fortschreitende Spaltung unter den Eisenbahnern noch verstärkt.
Darauf verwies in Berlin ein ehemaliger BVG-Mitarbeiter bei der Straßenbahn-Instandhaltung im Gespräch mit der WSWS. Er sehe das „Fair Train“-Projekt sehr skeptisch, sagte er. Damit werde sich die Lohnspaltung innerhalb des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs weiter vertiefen. Schon jetzt seien die unterschiedlichen Tarife, unter denen die Eisenbahner, Lokführer und Busfahrer arbeiten müssten, „das katastrophale Ergebnis der Spaltung aller Bahner und Verkehrsarbeiter“.
Um diese Spaltung zu überwinden, ist es notwendig, die unabhängigen Aktionskomitees aufzubauen. Sie sind Teil der Internationalen Arbeiterallianz der Aktionskomitees und schließen sich mit streikenden Kollegen in England, Frankreich, den USA und auf der ganzen Welt zusammen. Das ist der einzige Weg, den wachsenden Widerstand der internationalen Arbeiterklasse gegen Inflation und Lohnsenkung, Massenentlassungen und Werkschließungen, steigende Arbeitshetze und Kriegsgefahr zum Erfolg zu führen.
Das Aktionskomitee Bahn ruft die streikenden GDL-Lokführer und alle Eisenbahner auf: Registriert euch über das untenstehende Formular, meldet euch auf WhatsApp unter der Nummer +49-163-337 8340 an und beteiligt euch an unserem nächsten Online-Treffen am Dienstag, 16. Januar, um 19 Uhr.