Während auf den Straßen Berlins Landwirte gegen die Ampel-Koalition protestierten, sich Lokführer wegen der verordneten Reallohnsenkung auf ihren Streik vorbereiteten und beinahe täglich Demonstrationen gegen die deutsche Unterstützung für den Völkermord in Gaza stattfinden, trafen sich Politiker und Funktionäre hinter den verschlossenen Türen eines Berliner Hotels, um die neue Partei „Bündnis Sahra Wagenknecht – Vernunft und Gerechtigkeit“ aus der Taufe zu heben.
Auf der darauffolgenden Pressekonferenz machte Frontfrau Wagenknecht dann auch unmissverständlich klar, dass es ihr in keiner Weise darum geht, den Widerstand gegen die verhasste Ampel-Regierung zu entwickeln, sondern vielmehr darum, sie in rechte Kanäle zu lenken und zu unterdrücken. Der stellvertretende Vorsitzende Shervin Haghsheno erklärte unmissverständlich, das Hauptanliegen der neuen Partei bestehe darin, die „alarmierende Entwicklung“ zu stoppen, dass die Mehrheit das Vertrauen in die etablierten Parteien verloren habe.
Wagenknecht kündigte an, dass das BSW schon nach den Landtagswahlen in Ostdeutschland in Koalitionsregierungen eintreten könnte. Der stellvertretende Gruppenvorsitzende des BSW im Bundestag, Klaus Ernst, ergänzte später, dass dabei weder Koalitionen mit den drei Ampel-Parteien noch mit der CDU ausgeschlossen seien.
Das BSW strebt die Zusammenarbeit mit eben den Parteien an, die den Völkermord in Gaza zur Staatsräson erklären, die 79 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg wieder Panzer gegen Russland schicken und die in den letzten Jahren eine beispiellose soziale Verwüstung angerichtet haben. Ihr Zweck besteht nicht darin, diese Politik zu beenden, sondern sie effektiver durchzusetzen. Das zeigt sich an den präsentierten Positionen ebenso wie am rechten und abgehalfterten Personal, das Wagenknecht für ihr Projekt auf die Beine gebracht hat.
Auf der Pressekonferenz erklärten die Vertreter der neuen Formation unisono, dass sie keine linke Partei aufbauen. „Wir haben bewusst gesagt, wir sind keine Linke 2.0“, erklärte etwa der Exparlamentarier der Linkspartei und designierte Spitzenkandidat zu den Europawahlen Fabio De Masi. Das BSW wolle eine breite Volkspartei sein, in der auch langjährige CDU-Wähler willkommen seien, die Wert auf Sozialpartnerschaft legten.
In ihren wirtschaftspolitischen Positionen unterscheidet sich das BSW auch nicht wesentlich von den etablierten Parteien. Die Phrasen von „sozialer Gerechtigekeit“ und von „Aufstiegschancen“ sind nur Beiwerk zu einem radikal prokapitalistischen und nationalistischen Programm, das die Marktwirtschaft feiert und behauptet, das Wachstum deutscher Konzerne diene dem Allgemeinwohl. So will die Partei die „heimische Industrie“ und „Zukunftstechnologien made in Germany“ massiv finanziell fördern.
Während den Unternehmen so Milliardenzuschüsse in Aussicht gestellt werden, stellt sich die neue Partei voll hinter die sozialen Angriffe der Regierung. Dafür steht ganz besonders der zweite Spitzenkandidat für die Europawahlen, der ehemalige Oberbürgermeister von Düsseldorf, Thomas Geisel. Geisel hatte vor einigen Monaten ein Pamphlet verfasst, das die Agenda 2010 der Schröder-Regierung feiert und behauptet, sie hätte Deutschland auf Wachstumskurs gebracht. Darin fordert er, dass Arbeitslose, die prinzipiell arbeiten könnten, keine staatliche Unterstützung erhalten dürften, und dass das Renteneintrittsalter weiter erhöht werden müsse.
Auf der Pressekonferenz unterstrich der bisherige Sozialdemokrat diese Forderungen, die darauf hinauslaufen, dass Arbeitslose zu den schlecht bezahltesten Ausbeuterjobs gezwungen werden können und so das Lohnniveau insgesamt weiter abgesenkt wird. Wer staatliche Leistung erhalte, habe auch die Pflicht, Arbeit anzunehmen, erklärte Geisel. Auch De Masi verteidigte die „Mitwirkungspflicht“ junger Arbeitsloser und damit das Sanktionsregime und die Lohndrückerei.
Am deutlichsten wird der zutiefst arbeiterfeindliche Charakter der neuen Partei an ihrer unsäglichen Flüchtlingshetze, die mit Abstand den größten Raum auf der Pressekonferenz einnahm. Während sie die sozialen Angriffe unterstützt, will sie für die verheerenden Auswirkungen dieser Politik ausgerechnet die Schwächsten der Gesellschaft verantwortlich machen. Für fehlende Wohnungen und eine überforderte Infrastruktur, etwa mangelnde Kita-Plätze, macht Wagenknecht nicht die Politik im Interesse der Reichen verantwortlich, sondern die „misslungene Integration“ von Geflüchteten. „Diese Probleme wurden jahrelang geleugnet. Es sind aber welche“, so Wagenknecht.
Die Lösung sei, die Zahl der Migranten deutlich zu senken, so die BSW-Vertreter. Dazu will die Partei Asylverfahren an den EU-Außengrenzen und in Drittländern einführen und so die Festung Europa noch undurchdringlicher machen. Geisel behauptete sogar, das „individuelle Recht auf Asyl“, das aufgrund der Erfahrungen der Nazi-Herrschaft ins Grundgesetz geschrieben worden war, sei ungeeignet, weil es die Türen für unkontrollierte Zuwanderung öffne. De Masi beklagte, dass die von der Regierung geplanten Massendeportationen von Migranten „logistisch schwierig“ seien. Deshalb müssten Maßnahmen ergriffen werden, um die Anreize zu verringern, überhaupt nach Deutschland zu kommen.
Auch in der Außenpolitik hat das BSW nur taktische Differenzen mit den übrigen Bundestagsparteien. Das Bündnis spricht für Teile der herrschenden Klasse, die in der Konfrontation mit Russland ihre eigenen Geschäftsinteressen bedroht sehen und unmittelbar eine von den USA unabhängigere Politik einschlagen wollen. Deshalb ruft Wagenknecht zu Friedensverhandlungen mit Russland auf und kritisiert die Sanktionspolitik. Mit einem antimilitaristischen Standpunkt hat das nichts zu tun. Das Parteiprogramm fordert explizit, dass die Bundeswehr „angemessen ausgerüstet“ werden müsse. Auf der Pressekonferenz griff Di Masi die ehemalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen an, weil sie nicht effektiv genug aufgerüstet habe.
Besonders deutlich wird die militaristische Haltung im Umgang mit dem Völkermord in Gaza. Die Bundesregierung unterstützt und finanziert das brutale Massaker an tausenden Kindern, Frauen und Männern, um die eigenen wirtschaftlichen Interessen in der Region durchzusetzen. Auch die BSW-Abgeordneten im Bundestag, die damals noch der Linksfraktion angehörten, hatten am 10. Oktober geschlossen für den Solidaritätsbeschluss mit Israel gestimmt und der Netanjahu-Regierung einen Freibrief für ihren Völkermord ausgestellt.
Auf der Pressekonferenz sah keiner der BSW-Vertreter die Notwendigkeit, dieses zentrale Thema anzusprechen. Erst als nach über zwei Stunden Wagenknecht zu ihrer Position befragt wurde, machte sie in einem kurzen Statement Israel und die Hamas gleichermaßen für die Gewalt verantwortlich und rief zu einem Waffenstillstand auf. Kein Wort verlor sie über die üble Rolle der deutschen Regierung, die massive Einschränkung demokratischer Rechte und die Medienkampagne gegen Kriegsgegner.
Wagenknechts Schulterschluss mit der Ampel-Regierung ergibt sich direkt aus der Logik ihres prokapitalistischen und nationalistischen Programms. Ihr Plädoyer für ein eigenständiges Europa, das nicht „zwischen den USA und dem sich immer selbstbewusster formierenden neuen Machtblock um China und Russland zerrieben wird“, sondern eine selbstbewusste Politik im eigenen Interesse verfolgt, läuft selbst auf Handelskrieg und Krieg hinaus. Darüber können auch die unzähligen Phrasen von „Entspannungspolitik“ und „internationaler Zusammenarbeit“ nicht hinweg täuschen.
Wagenknechts rechtes Programm ist kein Bruch mit der Tradition der Linkspartei, sondern steht in direkter Kontinuität zu ihrem bisherigen Wirken. Es ist der dritte Aufguss einer Suppe, die schon vor 35 Jahren ungenießbar war und jetzt unter Bedingungen der tiefen kapitalistischen Krise und imperialistischen Aggression offen reaktionäre Formen annimmt.
Schon die Umbenennung der DDR-Staatspartei SED in Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) im Februar 1990 diente den alten stalinistischen Bürokraten dazu, die Restauration des Kapitalismus durchzusetzen und jede Opposition dagegen zu unterdrücken. Der langjährige Ehrenvorsitzende der Partei und letzte DDR-Regierungschef Hans Modrow sah seine Aufgabe darin, „die Regierbarkeit des Landes zu bewahren, ein Chaos zu verhindern“. Wagenknecht war der SED im Sommer 1989 beigetreten und 1991 in den Parteivorstand der PDS gewählt worden.
Als die PDS wegen ihrer rechten Politik und ihrer uneingeschränkten Unterstützung von Sozialkürzungen in den Landesregierungen, an denen sie beteiligt war, 2002 aus dem Bundestag flog, kam ihr die SPD-Abspaltung WASG zur Hilfe. Wagenknechts heutiger Ehemann, Oskar Lafontaine, spielte eine Schlüsselrolle dabei, PDS und WASG zur Linkspartei zu fusionieren und selbst im Parteinamen vom Sozialismus Abstand zu nehmen. Die Partei sollte die Unzufriedenheit auffangen, die die SPD mit der Agenda 2010 und den Kriegseinsätzen der Bundeswehr hervorgerufen hatte, und so den Kapitalismus verteidigen. Wagenknecht stand als Spitzenkandidatin und Fraktionschefin an vorderster Front der neuen Formation.
Auch die Linkspartei verlor nach anfänglichen Wahlerfolgen schnell an Unterstützung, weil ihre linken Phrasen nicht über ihre rechte Politik der sozialen Verwüstung hinwegtäuschen konnten. Bei den letzten Bundestagswahlen fiel sie unter die Fünf-Prozent-Hürde. Nun versucht Wagenknecht erneut, die Unzufriedenheit zu kanalisieren und gibt dabei nicht einmal mehr vor, links zu sein. Angesichts der enorm zugespitzten sozialen Ungleichheit und der aggressiven Kriegspolitik gibt es keinen Raum mehr für solche Manöver. Die soziale Phraseologie ersetzt Wagenknecht daher immer offener durch fremdenfeindliche Hetze und deutsch-nationale Parolen. Sie mobilisiert sehr bewusst den Bodensatz der Gesellschaft, um ihn gegen die Opposition in der Arbeiterklasse zu richten.
Der Rest der Linkspartei steht derweil voll an der Seite der Ampelregierung, buhlt mit den Grünen mit Lifestyle-Fragen um die städtische Mittelschichten und beteiligt sich allen Umfragen zum Trotz auf Länderebene eifrig an den Sozialkürzungen, der Massendeportation von Flüchtlingen und der Staatsaufrüstung.
Arbeiter müssen Wagenknechts drittem Aufguss des abgehalfterten Versuchs, den Kapitalismus zu retten, mit offener Feindschaft entgegentreten. Sie tritt der Ampel-Politik des Kriegs und der sozialen Verwüstung nicht entgegen, sondern flankiert sie. Die einzige Möglichkeit, dem Militarismus entgegenzutreten, einen dritten Weltkrieg zu verhindern und die sozialen Rechte zu verteidigen, ist die internationale Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen den Kapitalismus. Kein Problem kann gelöst werden, ohne die Macht der Banken und Konzerne zu brechen und sie unter demokratische Kontrolle zu stellen. Eine solche Bewegung erfordert die Vereinigung der Arbeiter über alle nationalen, ethnischen und religiösen Grenzen hinweg.
Für diese Perspektive kämpft die Sozialistische Gleichheitspartei zusammen mit ihren Schwesterparteien der Vierten Internationale auf der ganzen Welt. Unterschreibt jetzt für unsere Zulassung zu den Europawahlen und beteiligt Euch am Aufbau der SGP.