Wie der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Sonntag erklärte, ist Israel entschlossen, Rafah anzugreifen. Mehr als eine Million Menschen haben in dieser südlichsten Stadt des Gazastreifens Zuflucht gefunden.
Netanjahu erklärte in einem Interview mit ABC: „Wir werden es tun. Wir werden die restlichen Bataillone der Hamas-Terroristen in Rafah erwischen.“
Der Angriff auf Rafah würde zu massiven zivilen Opferzahlen führen. Laut Euro-Med Monitor wurden durch Israels Völkermord in Gaza bisher 35.000 Menschen getötet, darunter mehr als 30.000 Zivilisten. Mehr als 85 Prozent der Bevölkerung des Gazastreifens wurden obdachlos, und eines von zehn Kindern unter fünf Jahren leidet an akuter Unterernährung.
Bezeichnenderweise behauptete Netanjahu, man werde die Bevölkerung des Gazastreifens in den Norden drängen. Zahlreiche Menschenrechtsexperten warnen jedoch, Israels eigentlicher Plan sei, die Bevölkerung des Gazastreifens über die Grenze nach Ägypten in den Südwesten zu treiben.
Netanjahu erklärte: „Nördlich von Rafah gibt es viel Platz, wo sie hinkönnen, und dort werden wir sie hinlenken. Und wir werden sie erneut auffordern und anweisen, mit Flugblättern, per Handy und mit sicheren Korridoren.“
Er erklärte weiter: „Unser Ziel ist der finale Sieg.“
Nach Netanjahus Auftritten bei ABC und Fox News am Sonntag veröffentlichte das Weiße Haus die Abschrift eines Telefonats zwischen US-Präsident Joe Biden und Netanjahu. Darin bekräftigte der US-Präsident seine Unterstützung für Israels militärisches Vorgehen und erklärte in der gleichen Rhetorik wie Netanjahu, dass Biden „unser gemeinsames Ziel bekräftigt hat, die Hamas besiegt zu sehen und die langfristige Sicherheit Israels und seiner Bevölkerung sicherzustellen“.
Laut der Abschrift bekräftigte Biden „seine Ansicht, dass eine Militäroperation in Rafah nicht ohne einen glaubwürdigen und durchführbaren Plan stattfinden sollte, der die Sicherheit und Unterstützung für die mehr als eine Million Menschen gewährleistet, die dort Zuflucht gefunden haben“.
Angesichts von Netanjahus Zusicherungen, das israelische Militär habe einen „Plan“ entwickelt, die Flüchtlinge in Rafah in den nördlichen Gazastreifen zu vertreiben, bedeuten Bidens Äußerungen grünes Licht für den geplanten Angriff.
Mustafa Barghouti, ein palästinensischer Politiker und Mitglied der Palästinensischen Nationalen Initiative, erklärte gegenüber Al Jazeera in Reaktion auf Bidens Stellungnahme: „Biden hat Netanjahu grünes Licht für die Invasion von Rafah gegeben... Die USA sind an diesem Angriff beteiligt.“
Letzte Woche hatte Biden erklärt, Netanjahus Vorgehen sei „überzogen“, während die amerikanische UN-Botschafterin, Linda Thomas-Greenfield, erklärte: „Unter den gegenwärtigen Umständen in Rafah kann jetzt keine Militäroperation in diesem Gebiet stattfinden.“
In Bidens aktuellen Äußerungen wurde dies dahingehend abgeändert, dass der Angriff „nicht ohne einen glaubwürdigen und durchführbaren Plan stattfinden sollte“.
Die Washington Post schrieb in einem Artikel, der auf Quellen aus dem Weißen Haus beruht: „Bisher hat das Weiße Haus Forderungen zurückgewiesen, Israel Militärhilfe vorzuenthalten oder an Bedingungen zu knüpfen, und erklärt, dies würde nur Israels Feinde ermutigen... Berater des Weißen Hauses erklären öffentlich, es habe keine Änderungen an Bidens Strategie oder Botschaft gegeben.“
Bidens Erklärung fiel zusammen mit einer Abstimmung im demokratisch geführten Senat, bei der sich eine Mehrheit von 67 zu 27 für einen Gesetzesvorschlag aussprach, der 14 Milliarden Dollar zur finanziellen Unterstützung von Israels Angriff auf den Gazastreifen enthält.
Am Wochenende setzten die israelischen Truppen ihre pausenlosen Bombenangriffe auf Rafah aus der Luft fort. Am Sonntag berichtete Al Jazeera, bei Luftangriffen seien in Rafah elf Menschen getötet worden. Daneben wurde über schweren Beschuss des nahegelegenen Kuwait-Krankenhauses berichtet. Zuvor waren am Samstag bereits 42 Palästinenser bei Bombenangriffen getötet worden.
Am Samstag und am Sonntag wurden im Gazastreifen mehr als 100 Menschen getötet, womit sich die offizielle Zahl der Toten auf 28.176 erhöht. Wenn man die Vermissten hinzurechnet, steigt diese Zahl auf über 35.000.
Am Samstag wurden zwei Sanitäter von israelischen Soldaten getötet, als sie gerade versuchten, die sechsjährige Hind Rajab zu retten, die ebenfalls von israelischen Truppen getötet wurde. Der palästinensische Rote Halbmond verurteilte die Morde und erklärte auf X/Twitter: „Laut internationalem humanitären Recht und der Genfer Konvention gelten direkte Angriffe und die vorsätzliche Tötung von Beschäftigten und Freiwilligen des Roten Halbmondes als Kriegsverbrechen... Die Vertragsparteien, die die Genfer Konvention unterzeichnet haben und verpflichtet sind, die Einhaltung des humanitären Völkerrechts durchzusetzen, müssen die notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die Täter zu unterdrücken, zur Rechenschaft zu ziehen und zu bestrafen.“
Al Jazeera veröffentlichte zudem Videomaterial über einen anderen Vorfall, das zeigt, wie ein israelischer Scharfschütze eine junge Frau und ihren jungen Cousin tötet.
Die UN-Berichterstatterin für Palästina, Francesca Albanese, erklärte, Israel setze sich offen über ein Urteil des Internationalen Gerichtshofs hinweg, in dem es aufgefordert wurde, seinen Völkermord in Gaza zu beenden. Sie erklärte: „Israel ist verpflichtet, sich an die Anordnung des Gerichts zu halten, und die Staaten müssen entschlossen handeln, um weitere Gräueltaten zu verhindern.“
Der Generaldirektor der Weltgesundheitsorganisation, Tedros Adhanom Ghebreyesus, warnte am Sonntag, der geplante Angriff auf Rafah werde zu einer humanitären Katastrophe führen: „Mit den Plänen fortzufahren könnte verheerende Folgen für die 1,4 Millionen Menschen haben, die nirgendwo sonst hingehen können und fast nirgendwo medizinische Versorgung bekommen.“ Er fügte hinzu, die Krankenhäuser im Gazastreifen seien „überlastet und überfüllt. Im übrigen Gazastreifen sind die meisten Krankenhäuser entweder nur minimal oder gar nicht funktionsfähig“.
Die UNICEF-Exekutivdirektorin Catherine Russell erklärte auf X/Twitter: „Rafah ist einer der am dichtesten besiedelten Orte der Welt, voll mit Kindern und Familien, von denen einige bereits viele Male durch den Krieg im Gazastreifen vertrieben wurden... Etwa 1,3 Millionen Zivilisten sind in die Ecke getrieben, leben auf der Straße oder in Notunterkünften. Sie müssen geschützt werden. Sie können nirgendwo hingehen, wo es sicher ist.“