80 Jahre nach dem Ende der Nazidiktatur lässt die herrschende Klasse in Deutschland die demokratische Maske fallen. Die Unterdrückung des Palästinakongresses in Berlin erinnert an die dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte. Am vergangenen Freitag stürmten 900 Polizisten die friedliche Zusammenkunft und verhafteten zahlreiche Teilnehmer, darunter jüdische Gegner von Israels Genozid in Gaza. Insgesamt wurden etwa 2500 Polizeikräfte mobilisiert, die seitdem brutal gegen Demonstranten vorgehen, die gegen das Verbot des Kongresses protestieren.
Die World Socialist Web Site und die Sozialistische Gleichheitpartei (SGP) verurteilen das gewaltsame Vorgehen auf das Schärfste, das man sonst aus offenen Diktaturen und von faschistischen Regimes kennt. Es richtet sich nicht nur gegen den Kongress und seine Unterstützer, sondern zielt auf die Unterdrückung jeder sozialen und politischen Opposition. Unter Bedingungen, unter denen die herrschende Klasse wieder auf Militarismus und Krieg setzt und massive Angriffe auf die Arbeiterklasse plant, ist kein Protest mehr erlaubt.
Die Veranstalter des Palästinakongresses und ihre Anwälte waren bereit, alle Auflagen der Polizei umzusetzen. Aus einer Erklärung des Anwaltskollektivs, das eng mit den Veranstaltern des Kongresses zusammenarbeitet, geht hervor, dass es bereits im Vorfeld mehrere „Sicherheitsgespräche“ von Veranstaltern mit der Polizei gegeben hatte, die den Kongress immer weiter einschränkten. Trotzdem wurde er am Ende brutal aufgelöst. Selbst seine prominentesten Teilnehmer wurden wie Verbrecher behandelt.
So verhängte das Bundesinnenministerium ein Betätigungsverbot gegen den ehemaligen griechischen Finanzminister und Vorsitzenden der paneuropäischen Partei DiEM25, Yanis Varoufakis. Das Verbot umfasst auch ein Einreise- und Online-Zuschaltungsverbot. Mit anderen Worten: Obwohl Berlin vor wenigen Jahren noch eng mit Varoufakis zusammenarbeitete, um das EU-Spardiktat gegen die griechische Arbeiterklasse zu verhängen, darf er sich nun in Deutschland nicht mehr politisch äußern, da er den Massenmord an Palästinensern kritisiert.
Eine weitere bekannte Person, die von der Bundesregierung kurzfristig auf die Schwarze Liste gesetzt wurde, ist der Mediziner und Rektor der Universität Glasgow, Dr. Ghassan Abu Sittah. Nachdem ihm die Bundespolizei ebenfalls ein Einreiseverbot erteilt hatte, wurde er bei der Ankunft am Berliner Flughafen festgehalten, einem stundenlangen Verhör unterzogen und dann per Flugzeug zurück nach London geschickt.
Abu Sittah hatte in den ersten sechs Kriegswochen im Gaza-Streifen im Schifa- und im Ahli-Krankenhaus gearbeitet, die von der israelischen Armee immer wieder attackiert wurden. Über seine schrecklichen Erfahrungen hat er vor dem Internationalen Gerichtshof, wo sich Deutschland wegen Beihilfe zum Genozid verantworten muss, ausgesagt und u.a. auch dem Spiegel ein erschütterndes Interview gegeben. Nun wurde ihm als Augenzeugen des Massenmords verboten, auf dem Kongress über die Ereignisse in Gaza zu berichten.
Das Vorgehen gegen den Palästinakongress ist dabei nur der Höhepunkt eines regelrechten Polizeiterrors, der seit Beginn des israelischen Völkermords gegen jede Opposition ausgeübt wird. In Berlin und anderen deutschen Großstädten befinden sich ganze Stadtteile mit einem großen palästinensischen und arabischen Bevölkerungsanteil unter Belagerung. Wer dort auch nur ein Palästinensertuch trägt oder auf irgendeine Weise seine Opposition gegen die Regierung und den von ihr unterstützten Völkermord kundtut, muss damit rechnen, von der Polizei gestoppt und verhaftet zu werden.
Mit der gleichen Willkür und Brutalität wird der Kultur- und Bildungsbereich gesäubert und gleichgeschaltet. Ausstellungen von palästinensischen Künstlern und Gegnern des Genozids werden gecancelt, Kultureinrichtungen wie dem Oyoun in Berlin die Gelder gestrichen, Lehraufträge, Preise und Auszeichnungen zurückgenommen oder deren Vergabe gestoppt. Wer sich als Künstler, Wissenschaftler oder Journalist kritisch äußert, verliert erst seinen Job und wird dann in einer öffentlichen Hetzkampagne als Antisemit gebrandmarkt und medial vernichtet.
Niemand sollte sich von dieser schmutzigen Kampagne einschüchtern lassen. Es ist der Gipfel der Provokation, wenn ausgerechnet die herrschende Klasse Deutschlands den Holocaust ins Feld führt, um erneut einen Völkermord zu rechtfertigen und jede Opposition dagegen zu kriminalisieren. Das betrifft auch jüdische Gegner des Genozids. Bereits im Vorfeld des Kongresses wurde das Bankkonto der Jüdischen Stimme für einen gerechten Frieden gesperrt, auf dem Spenden für den Kongress gesammelt wurden. Beim Angriff der Polizei wurde dann mit Udi Raz ein führendes Mitglied der Organisation verhaftet.
Das Vorgehen wurde von allen Bundestagsparteien unterstützt. Die sozialdemokratische Bundesinnenministerin Nancy Faeser pries das brutale Vorgehen der Polizei. Es sei „richtig und notwendig“ gewesen, „dass die Berliner Polizei hart durchgreift beim sogenannten Palästina-Kongress“, schrieb sie auf der Social Media-Plattform X (vormals Twitter).
Ein überparteiliches „Bündnis gegen antisemitischen Terror“, dem führende Vertreter der Ampelparteien, der Union und der Linkspartei in Berlin angehören, hatte wie ein Großteil der Medien bereits vor dem Kongress eine wüste Hetzkampagne geführt und ein Verbot des Kongresses gefordert. Den Teilnehmern gehe es um „Verbreitung antisemitischen Hasses“ und Berlin dürfe sich nicht „zum Zentrum der Terrorverherrlichung“ entwickeln, schrieben sie in einem Statement.
Die etablierten Politiker und die Propagandisten in den Medien können so lange hetzen, bis sie blau werden. Das ändert nichts an der Realität. Das schmutzige Narrativ vom Kampf gegen „Antisemitismus“ und „Terrorismus“ wird zunehmend entlarvt. Es ist nichts anderes als ein Deckmantel unter dem die herrschende Klasse zu ihren Wurzeln zurückkehrt: Faschismus und Krieg.
Nicht die geknechteten Palästinenser und die Millionen Menschen, die sich weltweit mit ihnen solidarisieren und gegen den Völkermord protestieren, fördern den Antisemitismus, sondern die imperialistischen Mächte und allen voran die herrschende Klasse Deutschlands. Schon das Narrativ, das jüdische Menschen kollektiv mit der völkermörderischen Politik des rechtsextremen Netanjahu-Regimes assoziiert, ist durch und durch antisemitisch.
Hinzu kommt, dass die gleichen Parteien, Politiker und Journalisten, die jetzt laut „Antisemitismus“ schreien, kein Problem damit haben, die rechtsextreme AfD zu hofieren und in der Ukraine im Nato-Krieg gegen Russland offen faschistische Kräfte zu verherrlichen. Sie haben auch den rechtsradikalen Humboldt-Professor Jörg Baberowski verteidigt, nachdem dieser erklärt hatte, Hitler sei „nicht grausam“ gewesen und habe nichts von der Judenvernichtung wissen wollen.
Der herrschenden Klasse geht es nicht um das Schicksal der Juden. Wie in der Ukraine und Russland verfolgt der deutsche Imperialismus auch im Nahen und Mittleren Osten geostrategische und wirtschaftliche Interessen und setzt dafür wieder auf Völkermord und Krieg. Aktuell arbeitet sie fieberhaft daran, Deutschland wieder „kriegstüchtig“ (Verteidigungsminister Pistorius) zu machen. Im Inneren erfordert das wie in der Vergangenheit die Militarisierung der gesamten Gesellschaft und die Errichtung einer Diktatur.
Bereits 2017 hatte der Verfassungsschutz unter der Führung des damaligen rechtsextremen Präsidenten Hans-Georg Maaßen die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) unter geheimdienstliche Beobachtung gestellt. Und das mit der ausschließlichen Begründung, dass die SGP ein sozialistisches Programm vertrete, Kapitalismus, Militarismus und Nationalismus kritisiere und die etablierten Parteien sowie die Gewerkschaften ablehne. Die SGP legte dagegen Klage ein und warnte bereits damals:
Das Vorgehen des Verfassungsschutzes gegen die Sozialistische Gleichheitspartei ist ein fundamentaler Angriff auf demokratische Rechte. Es ist Bestandteil einer Regierungspolitik, die immer offener auf autoritäre Maßnahmen und rechtsextreme Kräfte setzt, um eine Politik des Militarismus, der Staatsaufrüstung und des Sozialabbaus durchzusetzen und Widerstand dagegen zu unterdrücken. Es erinnert an die Weimarer Republik, in der Geheimdienst, Polizei und Justiz Sozialisten und Kriegsgegner rücksichtslos verfolgten, während sie die Nazis stärkten.
Das ist die Realität. Und die Unterdrückung des Palästinakongresses ist eine weitere ernste Warnung. Sie unterstreicht, wie aggressiv die herrschende Klasse vorgeht, und dass sie wie im Dritten Reich vor nichts zurückschrecken wird, um ihre Politik von Krieg und Diktatur durchzusetzen. Gleichzeitig werden ihre Gestapo-ähnlichen Methoden die Opposition in der Bevölkerung weiter befeuern. Laut einer aktuellen Umfrage halten nur 18 Prozent das Vorgehen Israels in Gaza für gerechtfertigt. 69 Prozent lehnen es ab.
Die SGP stützt sich auf diese Opposition, die selbst Bestandteil einer viel umfassenderen Radikalisierung der Arbeiterklasse und der Entwicklung des internationalen Klassenkampfs ist. Sie wird den Europawahlkampf nutzen, um zusammen mit ihren Schwesterparteien im Internationalen Komitee der Vierten Internationale den Aufbau einer unabhängigen Massenbewegung gegen Genozid, Krieg und Diktatur – und deren Wurzel, den Kapitalismus – voranzutreiben. In unserer Wahlerklärung heißt es:
Millionen Menschen auf der ganzen Welt haben in den letzten Wochen trotz der Propaganda in Politik und Medien gegen den Völkermord in Gaza demonstriert und gezeigt, wie stark und global vernetzt die Arbeiterklasse heute ist. Diese Bewegung muss ausgeweitet und mit einer sozialistischen Perspektive bewaffnet werden. Wir fordern:
• Sofortiger Stopp der Belagerung Gazas und vollständige Demobilisierung der israelischen Armee!
• Netanjahu, Biden, Scholz und alle anderen Kriegsverbrecher müssen für ihre Kriegsverbrechen zur Verantwortung gezogen werden!
• Für die Einheit der palästinensischen und israelischen Arbeiter im Kampf für einen gemeinsamen, säkularen und sozialistischen Staat!