Am Samstag hielt die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) im Rahmen ihres Europawahlkampfs ihre Abschlusskundgebung gegen den Genozid in Gaza und den Nato-Krieg in der Ukraine und für internationalen Sozialismus im Berliner Stadtteil Wedding ab.
Dem Genozid in Gaza, der Polizeigewalt gegen die Studierenden sowie der akuten Gefahr eines Atomkriegs stellten sieben Redner die Perspektive des internationalen Sozialismus entgegen. Sie nutzten die Kundgebung, um auch scharf die Verhaftung des Trotzkisten Bogdan Syrotjuk durch den ukrainischen Geheimdienst zu verurteilen und seine Freilassung zu fordern.
Alle Redner betonten, dass Appelle an die Regierenden und ihre pseudolinken Anhängsel den völkermörderischen und Kriegskurs nicht stoppen werden. Notwendig sei der Aufbau einer Antikriegsbewegung der internationalen Arbeiterklasse. Eindringlich warnten sie davor, die Gefahr eines Nuklearschlags zu unterschätzen, den die NATO-Mächte in ihrer Kriegseskalation gegen Russland provozieren.
Johannes Stern, Chefredakteur der deutschsprachigen World Socialist Web Site, eröffnete und moderierte die Kundgebung, an der sich insgesamt etwa 100 Arbeiter und Jugendliche trotz großer Hitze und kurzen Starkregens beteiligten, mit den Worten:
„Wir treten zu den Europawahlen an, um den Kriegstreibern entgegenzutreten, die nach den schrecklichen Weltkriegen und fürchterlichen Verbrechen im 20. Jahrhundert die Welt erneut in den Abgrund stürzen.“
Die SGP halte diese Kundgebung ab, um die imperialistischen Verbrechen zu verurteilen und die Kriegstreiber in Politik und Medien anzuklagen, die Triebkräfte dahinter aufzudecken und zu erklären, was getan werden muss. „Wir setzen dem wachenden Nationalismus und dem Rückfall in Weltkrieg und Barbarei die Perspektive der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa entgegen“.
Christoph Vandreier als Spitzenkandidat und SGP-Vorsitzender und Thomas Scripps (stellvertretender Vorsitzender der Socialist Equality Party in Großbritannien) konzentrierten sich auf die kriminelle Kriegspolitik der Bundesregierung, Großbritanniens und der NATO-Mächte, erklärten die Rolle der Bundestagsparteien in Deutschland und der Rolle der Labour Party, der Gewerkschaften und Pseudolinken in Großbritannien.
Unter starkem Applaus erklärte Christoph Vandreier: „Die Parteien der Ampelkoalition SPD, Grüne und FDP, die gehören nicht ins Europaparlament, die gehören auf die Anklagebank! Sie sind verantwortlich für einen blutigen Völkermord und sie riskieren pausenlos einen Atomkrieg!“
Das Gleiche gelte für die Linkspartei-Abgeordneten und jene, die zum Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) gewechselt seien. Sie „haben für die Unterstützung Israels gestimmt, und haben für die Unterdrückung der Proteste dagegen gestimmt!“
Den Behauptungen von Nationalisten wie AfD-Politikern oder dem BSW hielt Vandreier entgegen, dass „Deutschland nicht einfach Anhängsel der USA, sondern eine treibende Kraft in dieser Entwicklung“ sei. „Die Eliten haben die Entscheidung getroffen, dass sie ihre wirtschaftlichen Interessen global wieder mit militärischer Macht durchsetzen müssen“, knüpften dabei „direkt an die Kriegsziele der Nazis an“ und wie in den 1930iger Jahren gehe die Kriegspolitik mit Diktatur im Inland einher.
AfD und BSW stünden dem Kampf der Arbeiterklasse gegen Krieg feindlich gegenüber, betonte Vandreier. Deren Programm habe „mit einem Kampf gegen Krieg und Militarismus nicht das Geringste zu tun. Die AfD wird gerade aufgebaut, um den Militarismus gegen den wachsenden Widerstand durchzusetzen, um gegen Muslime zu hetzen und den Widerstand gegen Krieg zu unterdrücken!“
Die SGP setze „zusammen mit unseren Schwesterparteien der Vierten Internationale dem wachsenden Nationalismus die internationale Einheit der Arbeiter, über alle religiösen, ethnischen und anderen Grenzen hinweg, entgegen.“
Auf Begeisterung stieß Vandreiers abschließende Forderung, die SGP „zu einer Massenpartei zu machen und selber aktiv zu werden“. „Lasst nicht zu, dass die herrschende Klasse die Menschheit zum dritten Mal in die Katastrophe treibt! Schließt Euch dem Kampf für Sozialismus an!“
Wie Vandreier so erklärte auch Thomas Scripps, der für die SEP bei den vorgezogenen Parlamentswahlen in Großbritannien kandidiert: „Unsere Weltbewegung sieht unsere Kampagnen bei den Europawahlen, den amerikanischen Präsidentschaftswahlen und den britischen Parlamentswahlen als miteinander verbundene Fronten einer einzigen globalen Offensive für den Sozialismus.“
Zur Entwicklung in Großbritannien berichtete Scripps, dass Millionen von Menschen „Woche für Woche, Monat für Monat“ Großbritannien „mit landesweiten Demonstrationen überschwemmen“ und „ein Ende des israelischen Völkermords fordern“. Diese Menschen sähen die konservative Partei und die Labour Partei als eine „einzige Partei des Völkermords und Kriegs“ und „ganze Generationen“ haben die „Lehren aus den blutigen Besetzungen des Irak und Afghanistans gezogen, bei denen das Vereinigte Königreich eine so zentrale Rolle spielte“.
Scripps erklärte auch die provokative Rolle Großbritanniens vor dem NATO-Stellvertreterkrieg in der Ukraine gegen Russland sowie die Schlüsselrolle Großbritanniens „bei der militärischen Eskalation des Konflikts, indem es schwere Panzer und Langstreckenraketen schickte und auf die Lieferung von F-16-Kampfjets drängte.“ Und inzwischen sei allgemein bekannt, „dass britische Spezialeinheiten in der Ukraine operieren“, so Scripps.
Es sei der massive Widerstand, den die Bevölkerung den Kriegsinteressen des britischen Imperialismus entgegensetze, weshalb die Regierung unter Premierminister Rishi Sunak überraschend die Parlamentswahl vorziehe.
Katja Rippert (Europawahl-Kandidatin und führendes Mitglied der International Young Students for Socialist Equality, IYSSE) sprach über die Kämpfe und Uni-Besetzungen von Studierenden und die brutale Reaktion der herrschenden Klasse auf diese Proteste. Und sie entwickelte eine Perspektive für den Kampf der Jugend und Studierenden gegen den Genozid und für eine Zukunft ohne Krieg.
Dabei ging sie auf die besondere Bedeutung der massiven Unterdrückung der Studentenproteste an der Berliner Humboldt-Universität (HU) ein, wo die IYSSE die Geschichtsfälschung und die Verharmlosung des Nazi-Regimes durch den rechtsradikalen Geschichtsprofessor Jörg Baberowski bekämpft. „Die Polizei ging wie eine faschistische Terroreinheit vor. Und das im Herzen Berlins an der Friedrichstraße, nur wenige Schritte von dem Ort entfernt, wo die Nazis 1933 Bücher von Sozialisten, Juden und Kriegsgegnern verbrannten.“
Es sei kein Zufall, dass diese extreme Gewalt an derselben Universität stattgefunden habe, so Rippert, wo vor über 80 Jahren der Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion geplant und vorbereitet worden sei und wo seit den letzten zehn Jahren systematisch daran gearbeitet werde, „die neue deutsche Großmachtpolitik ideologisch zu legitimieren“.
Das „Umschreiben der Geschichte“ diene der Vorbereitung und Rechtfertigung neuer Verbrechen, habe die IYSSE immer wieder gewarnt, so Rippert weiter. „Heute sehen wir, was das bedeutet. Heute bewaffnet und finanziert die herrschende Klasse einen Völkermord, eskaliert den Krieg gegen Russland und geht mit diktatorischen Maßnahmen gegen die Opposition vor.“
Einen besonderen Stellenwert auf der Kundgebung nahm die Verhaftung des ukrainischen Trotzkisten Bogdan Syrotjuk durch den ukrainischen Geheimdienst ein, der im Beitrag von Angela Niklaus (Europawahl-Kandidatin) im Zentrum stand.
Syrotjuk sei im April verhaftet worden, weil er „unermüdlich zur Einheit der ukrainischen und russischen Arbeiterklasse aufgerufen“ habe. Sein Leben sei nun bedroht, weil „in den Gefängnissen die Insassen einem Gewaltregime ausgesetzt“ seien, welches „grausame und erniedrigende Misshandlungen und Folter zur Normalität“ erhebe.
Niklaus rief deshalb eindringlich die Kundgebungsteilnehmer auf, sich an der internationalen Kampagne zur Befreiung Syrotjuks zu beteiligen.
Die NATO-Mitgliedsstaaten, die sich am Ukraine-Krieg beteiligen, seien „für das Schicksal von Bogdan Syrotjuk genauso verantwortlich wie für das Schicksal von Julian Assange und das Schicksal der Palästinenser“.
Weiter erklärte Niklaus, dass sich die Verhaftung Syrotjuks nicht nur gegen die wachsende Opposition innerhalb der ukrainischen Arbeiterklasse gegen den Krieg und die Selenskij-Regierung richte:
„Gemeinsam mit dem Internationalen Komitee der Vierten Internationale verteidigen Bogdan und seine Genossen die theoretischen Errungenschaften des Marxismus und die Errungenschaften der Oktoberrevolution von 1917 und sie führen das Erbe der beiden wichtigsten Anführer der Oktoberrevolution – Wladimir Iljitsch Lenin und Leo Trotzki – gegen die Verleumdungen, Entstellungen und Verbrechen der stalinistischen und ex-stalinistischen Regime fort.“
Die Verhaftung Syrotjuks sei zugleich „ein Angriff auf die international einzige authentische Stimme für eine internationale sozialistische Perspektive für die Arbeiterklasse: Das Internationale Komitee und seine Sektionen!“
Hakan Özal (Mitglied der Sosyalist Eşitlik Grubu in der Türkei) warnte die türkisch-stämmige Bevölkerung vor Illusionen in die Regierung von Präsident Rece Tayyip Erdoğan: „Trotz der Forderungen der Massen, den Handel mit Israel einzustellen, hat die türkische Regierung diese Forderungen lange Zeit beharrlich abgelehnt.“
Als Özal darauf hinwies, dass „auch Zement, Chemikalien und sogar Schießpulver, Stacheldraht und Waffenteile nach Israel ausgeliefert“ worden seien, kam es zu einer heftigen Reaktion von einer Kundgebungsteilnehmerin, die die Politik von Erdoğan vehement verteidigte. Doch Özal bestand darauf, dass Illusionen in diese Regierung „die antiimperialistischen und antizionistischen Bestrebungen der Massen in die Sackgasse führen“.
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Auch die US-NATO-Stützpunkte in der Türkei seien weiterhin in Betrieb. „Solange die militärisch-strategischen Verbindungen der herrschenden Klasse in der Türkei mit ihren imperialistischen und zionistischen Verbündeten auf diese Weise fortbestehen – wen glauben sie zu täuschen?“, fragte Özal unter Applaus der Zuhörer.
„Die historische Katastrophe Palästinas und des Nahen Ostens ist ein Produkt des Imperialismus und wird erst mit dessen Abschaffung enden.“, so Özal.
Ulrich Rippert (SGP-Ehrenvorsitzender und Europawahl-Kandidat) widmete sich insbesondere der Frage, warum der Aufbau der SGP der „Schlüssel zur Lösung der Probleme“ sei. Unter Bezugnahme auf die in ganz Deutschland, Europa und Amerika aufflammenden und wachsenden Kämpfe der Arbeiter gegen Lohndumping und schlechte Arbeitsbedingungen erklärte er, dass die Arbeiterklasse sofort in Konflikt mit den Gewerkschaften gerate, wenn sie kämpfen wolle.
Die „Zwangsjacke der Gewerkschaften“, die den Kapitalismus verteidigen und deshalb auch uneingeschränkt den Kriegskurs der herrschenden Klasse unterstützen, müsse die Arbeiterklasse durchbrechen. Um den Kampf „gegen Krieg und soziale Verwüstung“ und §eine breite Mobilisierung der Arbeiterklasse“ zu entwickeln, brauche die „Arbeiterklasse ihre eigene Partei. Das ist die Sozialistische Gleichheitspartei!“, so Rippert.
Die SGP zöge ihre „Stärke und Zuversicht“ aus ihrem Programm und den Lehren der Geschichte. „Unsere Bewegung“, die trotzkistische Bewegung habe unermüdlich gegen die „Jahrhundertlüge gekämpft“, die Sozialismus und Stalinismus gleichsetze. „Wir sind eine internationale Partei und kämpfen für die internationale Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen Krieg und Kapitalismus. Wir sind eine revolutionäre sozialistische Weltpartei.“
„Kein einziges der Probleme, mit denen Arbeiter konfrontiert sind“, könne im nationalen Rahmen gelöst werden, stellte Rippert klar. „Alle Probleme – Krieg, Ausbeutung, die Klima-Katastrophe oder die Corona-Pandemie – sind globale Probleme und können nur gelöst werden, wenn die große Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung weltweit zusammenarbeitet und für ein internationales sozialistisches Programm kämpft.“
Die gesamte Kundgebung fand – trotz der wetterbedingten Unterbrechung – lebhaftes Interesse und die internationale Ausrichtung der SGP großen Widerhall. Viele deckten sich mit der Wahlerklärung der SGP ein und interessierten sich für die marxistische und trotzkistische Literatur des Mehring-Verlags. Vor allem das neue Buch von David North „Die Logik des Zionismus: Vom nationalistischen Mythos zum Genozid in Gaza“ wurde verkauft und am Büchertisch entwickelten sich intensive Diskussionen.
Viele sagten in Gesprächen mit Mitgliedern der SGP, dass keine Partei die Lage im Nahen Osten so deutlich erkläre, „wie die SGP“. Einige Zuhörer erklärten beeindruckt, dass „die SGP alleine fordert, die Arbeiter in den Betrieben wachzurütteln“, keine andere Organisation wende sich an Arbeiter.
Ein Bauarbeiter stellte am Büchertisch fest: „Das was ich hier gehört habe, ist unglaublich gut. Jeder Mensch, der noch einen Funken Prinzipien und Menschlichkeit besitzt, sollte jetzt Mitglied der SGP werden.“
Ein anderer zeigte sich besonders von der SGP „als revolutionärer sozialistischer Weltpartei“ beeindruckt. Die entscheidende Schlussfolgerung der SGP-Kandidaten, dass man den Krieg, den Genozid und die sozialen Angriffe auf die Arbeiterklasse nur beenden könne, „indem der Kapitalismus abgeschafft wird“, fand seine uneingeschränkte Zustimmung.
Sei es denn „nicht vernünftig, was Wagenknecht fordert?“, fragte jemand. Mit ihren Kommentaren gegen Flüchtlinge würde sie doch nicht flüchtlingsfeindlich sein, sondern nur auf fehlende Kita- und Arbeitsplätze hinweisen, die eine Begrenzung der Einwanderung nötig mache. SGP-Mitglieder machten deutlich, dass die Attacken von Wagenknecht gegen Flüchtlinge reaktionär seien und in ihrer nationalistischen Perspektive wurzeln. Die Arbeiterklasse dürfe nicht gespalten und auf die Schwächsten der Gesellschaft gehetzt werden.
Die SGP verteidige das Recht jedes Arbeiters, im Land seiner Wahl zu leben und zu arbeiten. Außerdem seien die Flüchtlinge zum Beispiel aus Syrien oder Irak nicht aus freien Stücken gekommen, sondern weil die imperialistischen Mächte Krieg geschürt und ihre Lebensgrundlagen zerbombt hätten.
Ein Universitätsmitarbeiter wollte mit der SGP „auf alle Fälle in Kontakt bleiben“. Er habe heute „einiges Neues gelernt“. „Appelle an die Verantwortlichen in den Regierungen werden wirklich nichts ändern, dass kann man doch sehen.“
Eine Palästinenserin, die mit ihrem Sohn die Kundgebung verfolgte, sagte, dass sie „sehr erstaunt“ über die dargelegte Analyse über den Zusammenhang zwischen dem Krieg in der Ukraine gegen Russland und dem Genozid in Gaza sei. „Der Krieg gegen Russland ist also Bestandteil eines großen Kriegs der Regierungen hier und in den USA und von Netanjahu“, schlussfolgerte sie. Das habe sie bisher nicht so gesehen. Sie wolle jetzt noch viel mehr von der SGP lesen und die Petition für „die Freilassung von Eurem Genossen in der Ukraine“ unterschreiben.
Ein zentrales Thema in den Gesprächen war die Perspektive des Sozialismus. „Wenn wir eine neue Arbeiterpartei aufbauen und diese an die Macht kommt, muss sie tun, was die Arbeiter fordern!“, betonte ein Kundgebungsteilnehmer.