Perspektive

Neue Enthüllungen über kriminelle Machenschaften von Boeing: US-Senat versucht den Konzern zu rehabilitieren

Vor dem Hintergrund neuer Enthüllungen von Whistleblowern über den Flugzeugbauer Boeing fand am Dienstag eine Anhörung im US-Senat statt, um den Luftfahrt- und Rüstungskonzern zu rehabilitieren. Der zuständige Unterausschuss für Heimatschutz und Regierungsangelegenheiten wird von den Demokraten kontrolliert.

Boeing-CEO Dave Calhoun bei einer Anhörung des Senatsunterausschusses für Innere Sicherheit in Washington, 18. Juni 2024 [AP Photo/Mariam Zuhaib]

Die jüngsten Enthüllungen zeigen, dass Boeing systematisch die Sicherheit der Passagiere gefährdet hat, um die Gewinne zu steigern. Vor mehr als fünf Jahren kamen bei zwei Flugzeugabstürzen einer Boeing 737 Max 8 im Abstand von wenigen Monaten insgesamt 346 Männer, Frauen und Kinder ums Leben. Bei beiden Flügen hatte ein fehlerhaftes automatisches Softwaresystem den Absturz verursacht. Das Unternehmen wusste vorab, dass es potenziell tödliche Folgen haben könnte. Doch bisher wurden weder Boeing noch die Unternehmenschefs strafrechtlich belangt.

Stattdessen durfte Boeing weiterhin gegen staatliche Sicherheitsvorschriften verstoßen und Einsparungen umsetzen, um die Gewinne zu steigern und den Aktienkurs zu stabilisieren – ganz im Sinne des Modus Operandi im Kapitalismus und der Unternehmens- und Finanzoligarchie.

Im Januar entging ein Flug der Alaska Airlines mit einer Boeing 737 Max 9 nur knapp einer Katastrophe, als kurz nach dem Start eine Türabdeckung am Rumpf herausgeflogen war. Es stellte sich heraus, dass die Zulieferfirma es versäumt hatte, die Abdeckung zu verschrauben.

Auf dieses Debakel folgten weitere Sicherheitsmängel und Beinahe-Abstürze. Mal fiel das Fahrwerk oder die Tragflächen beim Start oder während des Flugs ab, mal musste wegen eines Brands an Bord ein Start abgebrochen werden. Zudem kam es zu ungeklärten Turbulenzen während eines Flugs, die die Passagiere in Panik versetzten und Verletzungen verursachten.

Eine Reihe von Whistleblowern haben nun dem Konzern vorgeworfen, die Produktionsstandards zu ignorieren, um die Gewinne zu steigern. Auch habe Boeing Repressalien angedroht oder verhängt, wenn sich Mitarbeiter um die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften bemühten.

Im Vorfeld der Anhörung am Dienstag veröffentlichte der Senatsunterausschuss eine Erklärung, in der er sich auf neue Beschwerden eines Qualitätssicherungsprüfers im Boeing-Werk in Renton, Washington, berief. Darin heißt es:

Der neue Whistleblower und derzeitige Boeing-Mitarbeiter Sam Mohawk führt an, dass Teile, die beschädigt sind oder anderweitig nicht den Vorschriften entsprechen, von Boeing nicht ordnungsgemäß dokumentiert, nachverfolgt und gelagert werden. Diese Teile könnten möglicherweise in Flugzeuge eingebaut werden. ... Mohawk hat auch den Vorwurf erhoben, dass er von seinen Vorgesetzten angewiesen wurde, Beweise vor der FAA [US-Bundesluftfahrtbehörde] zu verheimlichen, und dass er infolgedessen Repressalien ausgesetzt ist.

Seit Januar sind zwei Boeing-Whistleblower unter mysteriösen Umständen zu Tode gekommen, was von den Medien kaum beachtet wurde. John Barnett hatte als Qualitätsmanager im Boeing-Werk in South Carolina gearbeitet und wurde entlassen, weil er Sicherheitsverstöße beim 787-Dreamliner-Projekt des Unternehmens aufgedeckt hat. Im Rahmen seines Zivilprozesses gegen den Konzern sollte er im März drei Tage lang befragt werden, doch vor dem letzten Tag wurde er tot in seinem Mietwagen aufgefunden.

Der Untersuchungsrichter von Charleston County, South Carolina, entschied sofort, dass Barnetts Tod die Folge einer „selbst zugefügten Schusswunde“ gewesen sei, ohne irgendwelche Beweise zu veröffentlichen. Kurz darauf erklärte eine Freundin der Familie, dass Barnett zu ihr gesagt habe: „Wenn mir etwas zustößt, dann ist es kein Selbstmord.“

Zwei Monate später starb plötzlich der Whistleblower Joshua Dean, der zuvor als Qualitätsprüfer beim Boeing-Zulieferer Spirit AeroSystems gearbeitet hatte. Er war an die Öffentlichkeit gegangen, um „schweres und grobes Fehlverhalten des leitenden Qualitätsmanagements der 737-Produktionslinie“ anzuprangern.

Die Senatsanhörung am Dienstag wurde inszeniert, um den Anschein zu erwecken, dass der Vorsitzende des Unterausschusses, Richard Blumenthal (Demokrat für Connecticut), Boeing und den Hauptzeugen, CEO David Calhoun, „zur Rechenschaft ziehen“ würde.

Hinterbliebene von Opfern der Boeing-Abstürze hielten Plakate mit Fotos ihrer verstorbenen Angehörigen in die Höhe. Auch Familienmitglieder von John Barnett waren anwesend. Bei der Eröffnung der Sitzung sprach Blumenthal zu beiden Gruppen. Er bezeichnete den Tod Barnetts kategorisch als Selbstmord.

Boeing-Chef Calhoun wandte sich zu Beginn seiner Aussage an die anwesenden Familienangehörigen und entschuldigte sich für ihren Verlust. Er äußerte auch sein „Entsetzen“ über den Tod von Barnett, nachdem Blumenthal ihn um einen Kommentar zu dem Fall gebeten hatte.

Demonstranten gegen den Völkermord in Gaza waren ebenfalls bei der Sitzung, wurden von den Ausschussmitgliedern aber einfach ignoriert.

Politiker beider Parteien äußerten zwar Kritik an Calhoun, doch das ganze Verfahren war eine Farce. Blumenthal forderte ein neues Management, um die Glaubwürdigkeit des Unternehmens wiederherzustellen. „Wir sind hier, weil wir wollen, dass Boeing Erfolg hat“, sagte er und fügte mit Blick auf die Rüstungssparte von Boeing (früher McDonnell Douglas) hinzu: „Und unseres Militärs wegen.“

Natürlich kam in der Anhörung nicht zur Sprache, wie irrational und unsozial es ist, dass mit der Luftfahrt einer der wichtigsten Bereiche des öffentlichen Verkehrswesens in den Händen einiger Privatunternehmer liegt, die ihrerseits den Großbanken und Hedgefonds verpflichtet sind.

Dennis Muilenberg, der CEO bei Boeing war, als die 737 Max 8 auf den Markt kam, verdiente während seiner Amtszeit 80 Millionen Dollar. Das wäre mehr als 231.000 Dollar für jede Person, die bei den beiden Boeing-Abstürzen starb. Sein Nachfolger Calhoun hat seit 2021 mehr als 76 Millionen Dollar verdient.

Laut der Seattle Times hat Boeing von 2014 bis 2018 „92 Prozent des operativen Cashflows für Dividenden und Aktienrückkäufe zugunsten der Investoren ausgegeben“.

Ein solches Ausmaß an finanziellem Parasitentum geht Hand in Hand mit Kriminalität und Militarismus und ist mit Demokratie unvereinbar. Die Arbeiterklasse soll für den Bankrott eines Systems zahlen, das auf der Monopolisierung der Produktionsmittel und auf Nationalismus und Krieg beruht. Die Bedürfnisse der Gesellschaft werden im Kapitalismus dem Profitstreben der Konzerne und der persönlichen Bereicherung einer Oligarchie untergeordnet.

Joseph Kishore, Präsidentschaftskandidat der Socialist Equality Party in den USA, erklärte am Dienstagabend auf Twitter/X zu der Senatsanhörung: „Das grundlegende Problem, über das natürlich keiner der versammelten Senatoren sprechen wollte, ist die Unterordnung eines so grundlegenden gesellschaftlichen Bedürfnisses wie Reisen unter den privaten Profit.“

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Er fuhr fort:

Calhoun und andere Manager erhalten zweistellige Millionenbeträge, Hunderte von Millionen oder, wie im Fall von Elon Musk, 45 Milliarden Dollar, um den endlosen Profitstrom an die Top-Investoren sicherzustellen. Wie bei fast allen großen Unternehmen gehören zu den Investoren von Boeing auch die führenden privaten Aktienfonds wie BlackRock und Vanguard, die Billionen Dollar kontrollieren.

Weiter erklärte Kishore:

Das gesamte Verkehrssystem sowie andere wichtige soziale Infrastruktur – Gesundheit, Bildung, Wohnungsbau, Energie usw. – müssen auf der Grundlage der gesellschaftlichen Bedürfnisse, nicht des privaten Profits organisiert werden. Nur so können die grundlegenden Rechte der Arbeiter garantiert werden, die für eine moderne Gesellschaft unerlässlich sind, einschließlich des Rechts auf sicheres Reisen.

Die Massenmörder, die Boeing leiten, müssen zur Rechenschaft gezogen und vor Gericht gestellt werden. Doch dies ist untrennbar mit einer vereinten und internationalen Offensive der Arbeiterklasse gegen das kapitalistische System verbunden.

Notwendiger Ausgangspunkt ist die Enteignung der kapitalistischen Eigentümer von Boeing und der gesamten Transportindustrie und die Umwandlung der Flugzeugproduktion in ein öffentliches Versorgungsunternehmen unter der demokratischen Kontrolle der Arbeiterklasse.

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