3000 Arbeitsplätze bedroht

Volkswagen bereitet Stilllegung des Audi-Werks in Brüssel vor

Die Ankündigung der Audi-Unternehmensleitung, das Werk in Brüssel schrittweise stillzulegen, hat unter den etwa 3000 Beschäftigten und in den betroffenen Zuliefer-Werken große Unruhe ausgelöst. Am gestrigen Donnerstag tagte der Audi-Betriebsrat bereits zum zweiten Mal, um das weitere Vorgehen zu beraten.

Audi-Werk Brüssel [Photo: Karmakolle, CC0, via Wikimedia Commons]

Vor einer Woche hatte die Unternehmensleitung die Betriebsräte informiert, dass die Produktion des Elektro-SUV Audi Q8 e-tron früher als geplant, nämlich schon Ende nächsten Jahres, komplett eingestellt werden soll. Schon in diesem Jahr werde, aufgrund der sinkenden Nachfrage, die Produktion stark gedrosselt. Das habe eine drastische Reduzierung der Beschäftigten zur Folge. „Bis Oktober könnten 1.400 oder sogar 1.500 Arbeiter ihren Job verlieren“, sagten Franky De Schrijver vom sozialdemokratischen Allgemeinen Gewerkschaftsverband (ABVV) und Ronny Liedts von der Christlichen Gewerkschaftsunion (ACV).

Anfang des Monats hatten die Gewerkschaftsvertreter im Aufsichtsrat von Audi-Brüssel gegen die Pläne des Managements gestimmt und Aufsichtsrats-Chef Manfred Döss konnte sich im paritätisch besetzten AR nur durchsetzen, indem er von seinem Doppelstimmrecht Gebrauch machte. Das ist etwas, was in den deutschen Aufsichtsräten so gut wie nie vorkommt, weil die IG Metall in den Wirtschaftsausschüssen als Co-Manager auftritt, die Unternehmensleitungen berät und die Stilllegungsprogramme lange vor jeglicher Bekanntmachung mitausarbeitet.

Die belgischen Gewerkschaften unterscheiden sich nicht von der IG Metall, aber sie stehen unter starkem Druck der Beschäftigten. Die Kampfbereitschaft der Audi-Arbeiter in Brüssel ist sehr groß. Viele Arbeiter haben Migrationshintergrund und wissen, dass sie kaum eine Möglichkeit haben einen vergleichbaren Arbeitsplatz zu finden. Laut einer Studie der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung ist Belgien das Land in Europa mit den meisten Streiktagen pro Beschäftigten.

Um spontanen Aktionen vorzubeugen, wurde die Stilllegungsankündigung in eine Zeit des Produktionsstopps gelegt. Bis zum belgischen Nationalfeiertag am 21. Juli stehen die Bänder still. Der Belegschaft wurde Zwangsurlaub verordnet. Unmittelbar danach beginnen die planmäßigen Betriebsferien. Trotzdem beteiligten sich 50 Arbeiter und Arbeiterinnen sofort nach Bekanntwerden der geplanten Stilllegung an einer Mahnwache vor den verschlossenen Werkstoren.

Der Betriebsrat teilte mit, dass nun die „erste Phase des sogenannten Renault-Gesetzes“ eingeleitet werde. Dabei handelt es sich um eine enge Zusammenarbeit zwischen Management, Betriebsrat, Gewerkschaften und Regierung mit dem Ziel, eine „sozialverträgliche Lösung“ zu finden. Der Name „Renault-Gesetz“ kommt daher, dass im Zuge der Schließung des Renault-Werks in Vilvoorde (Flämisch-Brabant) im Jahr 1997 ein Gesetz eingeführt wurde, mit dem verhindert werden sollte, dass die Belegschaft durch Management-Entscheidungen überrumpelt und vor vollendete Tatsachen gestellt wird.

Das Gesetz schreibt vor, dass ein in Belgien ansässiges Unternehmen, das wegen Umstrukturierungen oder Werksschließungen Arbeitsplätze abbauen will, vor der Bekanntmachung der jeweiligen Schritte den Betriebsrat und die Belegschaft informieren muss. Gemeinsam mit den Gewerkschaften wird eine sogenannter „Unternehmensrat“ gebildet, der auch mit Regierungsvertretern Kontakt aufnimmt und einen Interessensausgleich anstrebt.

Aber ähnlich wie die deutsche Mitbestimmung und Sozialpartnerschaft, findet diese Zusammenarbeit von Management, Gewerkschaft und Regierung nicht im Interesse der Arbeiter statt, sondern dient dazu, die Unternehmensentscheidungen mit Hilfe der Regierung so zu gestalten, dass der Arbeitsplatzabbau gegen den Widerstand der Beschäftigten durchgesetzt werden kann.

Das macht ein Bericht über die erste Runde der Regierungsgespräche deutlich, die am vergangenen Dienstag stattfand. Im Magazin Flanderninfo ist zu lesen: „Die Gewerkschaften der Audi-Fabrik in Forest (Brüssel) trafen sich am Dienstag mit dem scheidenden Premierminister Alexander De Croo (Open VLD) und Wirtschaftsminister Pierre-Yves Dermagne (PS) im Amtssitz des Premierministers.“

Allerdings ist die Regierung nur noch geschäftsführend im Amt. Parallel zu den Europawahlen am 9. Juni fanden in Belgien Wahlen zur Abgeordnetenkammer des föderalen Parlaments, sowie den regionalen Parlamenten in der Wallonie, Flandern, Ostbelgien und der Region Brüssel-Hauptstadt statt. An diesem „Superwahltag“ konnten die Rechtsparteien deutlich zulegen und die Regierungsbildung dauert an.

Dennoch lobten die Gewerkschaftsfunktionäre die Regierungsgespräche. Es gäbe „auch in der Politik“ das Interesse, „so viele Arbeitsplätze wie möglich“ bei Audi-Brussels zu retten, erklärte ein Sprecher des Verbands der Angestellten und Techniker (BBTK).

Trotz Ankündigung von Protestaktionen machten die Gewerkschaftsvertreter in den Regierungsgesprächen deutlich, dass sie bereit sind den Arbeitsplatzabbau umzusetzen. Sie machten den Vorschlag ältere Beschäftigte über das sogenannte SWT-System zu entlassen. Das bedeutet, dass die Arbeitslosenunterstützung der Betroffenen durch eine Unternehmenszulage aufgebessert wird. Außerdem forderten sie, dass die Regierung sich für die Schaffung von Ersatzarbeitsplätzen einsetzen solle.

Die Audi-Arbeiter in Brüssel dürfen sich auf keinen Fall auf die Gewerkschaften verlassen, sondern müssen sich auf einen prinzipiellen Kampf gegen die Werksschließung und zur Verteidigung aller Arbeitsplätze vorbereiten. Dabei ist eine enge Zusammenarbeit mit den VW-Arbeitern in Wolfsburg und an allen anderen Standorten des VW-Mutterkonzerns notwendig.

Die Entscheidung zur Stilllegung von Audi Brussels wurde in der Konzernzentrale in Wolfsburg getroffen und ist Teil einer tiefgreifenden Umstrukturierung die mit einem massiven Arbeitsplatzabbau an vielen Standorten verbunden ist. Zum Wolfsburger Konzern gehört nicht nur Audi, sondern auch Porsche, Skoda, Seat, CUPRA, Ducati und weitere Marken. Kein Autobauer beschäftigt weltweit so viele Arbeiter wie der VW-Konzern. Er betreibt in 19 Ländern Europas und in 10 Ländern Amerikas, Asiens und Afrikas 120 Produktionsstandorte mit 662.000 Beschäftigten.

Mit über 250 Milliarden Euro Jahresumsatz zählt VW zu den weltweit größten Autokonzernen. Nur Toyota hat in den letzten Jahren mehr Autos verkauft. Trotz Coronakrise, Lieferkettenproblemen und Chipmangel erzielte der Konzern in den letzten drei Jahren hohe Milliardengewinne.

Doch der Umstieg von Fahrzeugen mit Verbrennerantrieb auf Elektroautos hat den gnadenlosen Wettbewerb zwischen den großen Autokonzernen um die günstigsten Arbeitskosten, Absatzmärkte und sichere Lieferketten verschärft. Er wird auf dem Rücken der Arbeiter aller Länder und Standorte ausgetragen, die mehr arbeiten müssen und weniger verdienen, während Hunderttausende ihren Job verlieren.

Bei dieser Umstellung liegt die Konkurrenz, allen voran Tesla und die chinesischen Hersteller von E-Autos, weit vor Volkswagen. Die Zeiten in denen VW Marktführer in China war, sind längst vorbei. Der chinesische Produzent BYD, der bereits ausschließlich Elektro-Fahrzeuge herstellt, baut seine Marktanteile systematisch aus und auch andere chinesischen Hersteller wie Nio, Geely oder Great Wall verkaufen weit mehr E-Autos als Volkswagen.

Der Verkauf des Audi Q8 e-tron, der als einziges Modell in Brüssel gebaut wird und mit 80.000 Euro mehr als doppelt so teuer ist wie vergleichbare chinesische Modelle, ist stark zurückgegangen.

Dazu kommt, dass die Umstellung von Verbrennerantrieb auf Elektroautos von Konzernen und Anlegern genutzt wird, um die Produktionskosten zu senken und die Profite zu steigern. Laut einem Bericht des Verbands der europäischen Autohersteller werden bis 2040 alleine in Europa eine halbe Million Autoarbeiter ihre Stelle verlieren - darunter 121.000 in Deutschland, 74.000 in Italien, 72.000 in Spanien und 56.000 in Rumänien. Das Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung rechnet bis 2030 sogar mit dem Verlust von 215.000 Arbeitsplätzen in Deutschland, das wären 40 Prozent der Autoarbeiter des Landes.

Deshalb muss der Kampf gegen die Werksschließung in Brüssel zum Auftakt für eine Mobilisierung aller Auto-Arbeiter in Europa und international gemacht werden.

Genau das befürchtet das VW-Management in Wolfsburg. Als die Stilllegungspläne bekannt wurden, titelte die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ): „Angst vor der belgischen Revolte“. Im Artikel heißt es: „Brennende Öltonnen, eingeworfene Schaufenster: Es sind diese Bilder, die bei so manchem Volkswagen-Manager Erinnerungen an die Gelbwesten-Revolte in Frankreich wecken, sollte es in Brüssel zum Äußersten kommen. Eine Schließung der Autofabrik in der belgischen Landeshauptstadt könnte heftige Demonstrationen auslösen.“

Die World Socialist Web Site berichtet nicht nur über den Kampf der Audi-Arbeiter in Brüssel, sondern unterstützt und organisiert die europaweite und internationale Zusammenarbeit. Wir kämpfen dafür, die prinzipielle Verteidigung aller Arbeitsplätze mit dem Kampf gegen Sozialabbau und der wachsenden Kriegsgefahr zu verbinden.

Das erfordert eine klare Perspektive, die im Wesentlichen drei Punkte umfasst:

Erstens: Die Verteidigung der Arbeitsplätze darf nicht den Gewerkschaften und ihren Betriebsräten überlassen werden. Sie sind bezahlte Handlanger der Konzerne. Es muss bei Audi-Brüssel, wie auch in anderen Werken, ein unabhängiges Aktionskomitees aufgebaut werden, das sich der Kompromissbereitschaft der Gewerkschaften widersetzt, die VW-Arbeiter an allen Standorten zur Solidarität aufruft und einen gemeinsamen Kampf vorbereitet. Die Internationale Arbeiterallianz der Aktionskomitees (International Workers Alliance of Rank-and-File Committees, IWA-RFC) koordiniert diese Arbeit in Europa und weltweit.

Zweitens: Die Verteidigung der Arbeitsplätze wie auch der Kampf gegen Krieg erfordern eine sozialistische Strategie. Die Bedürfnisse der arbeitenden Bevölkerung und der ganzen Gesellschaft haben Vorrang vor den Profitinteressen der Konzerne und Banken. Deren Diktatur muss gebrochen und sie müssen in öffentliches Eigentum überführt werden.

Drittens: Der nationalistischen Politik der Gewerkschaften, die einen Standort gegen den anderen ausspielen und die Kriegspolitik der Regierungen unterstützen, muss die internationale Einheit der Arbeiterklasse, unabhängig von Nationalität, Herkunft und Hautfarbe, entgegengesetzt werden.

Wir rufen Arbeiterinnen und Arbeiter auf, sich dieser Perspektive anzuschließen. Nehmt Kontakt mit uns auf. Schreibt eine Whatsapp-Nachricht an die Mobilnummer +491633378340 oder registriert euch über das untenstehende Formular.

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