Partei für Soziale Gleichheit
Historische Grundlagen der Sozialistischen Gleichheitspartei

Die SPD als marxistische Massenpartei

6. Vier Jahrzehnte nachdem Marx und Engels das Kommunistische Manifest veröffentlicht und den Sozialismus auf eine wissenschaftliche Grundlage gestellt hatten, entwickelte sich die deutsche Sozialdemokratie unter dem Einfluss des Marxismus zur weltweit ersten Massenpartei der Arbeiterklasse. Sie leistete eine historische Pionierarbeit, deren Ergebnisse jahrzehntelang nachwirken sollten, auch nachdem sich die SPD selbst längst vom Marxismus abgewandt hatte. Sie formte die Arbeiterklasse zu einer politisch bewussten Klasse und entwickelte in der Arbeiterklasse eine breite, alle Lebensbereiche umfassende sozialistische Kultur. Sowohl die Kommunistischen Parteien wie die Vierte Internationale stützten sich auf diese Vorarbeit der SPD.

7. Die Notwendigkeit einer selbständigen Arbeiterpartei ergab sich aus der Niederlage der demokratischen Revolution von 1848, die den unversöhnlichen Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat und die politische Ohnmacht des demokratischen Kleinbürgertums zeigte. Die bürgerlich-demokratische Revolution fand in Deutschland mit Verspätung statt, weil die bis ins 19. Jahrhundert bestehende Kleinstaaterei die Entfaltung von Handel und Industrie gebremst hatte. Als die Revolution 1848 schließlich ausbrach, war der Gegensatz zwischen Bourgeoisie und Proletariat bereits derart tief, dass ein gemeinsames Vorgehen gegen den preußischen Absolutismus nicht mehr möglich war. Insbesondere nach der ersten großen Schlacht zwischen Proletariat und Bourgeoisie, die im Juli 1848 in Paris entbrannte, fürchtete das liberale Bürgertum die Bedrohung seines Eigentums durch die Revolution weit mehr als die politische Rechtlosigkeit unter preußischer Herrschaft und fiel der Revolution in den Rücken. Das demokratische Kleinbürgertum – die aus Handwerkern, Kleinhändlern und Bauern bestehende Masse der Nation – erwies sich unfähig, eine eigenständige politische Rolle zu spielen und versagte kläglich. Die erste frei gewählte Nationalversammlung, die in der Frankfurter Paulskirche zusammentrat, hatte – in den Worten von Engels – „vom ersten Tag ihres Bestehens mehr Angst vor der geringsten Volksbewegung als vor sämtlichen reaktionären Komplotten sämtlicher deutscher Regierungen zusammengenommen“. [2]

8. In ihrer Analyse der Revolution von 1848 betonten Marx und Engels, dass sich die Arbeiterklasse unabhängig vom demokratischen Flügel der Bourgeoisie organisieren müsse. Selbst unter Verhältnissen, „wo die demokratischen Kleinbürger überall unterdrückt sind“, wo sie „dem Proletariat Einigung und Versöhnung predigen“ und „nach der Herstellung einer großen Oppositionspartei“ streben, müsse eine Vereinigung mit ihnen „auf das entschiedenste zurückgewiesen werden“, schrieben sie. Die demokratischen Kleinbürger strebten danach, „die Arbeiter in eine Parteiorganisation zu verwickeln, in der die allgemein sozial-demokratischen Phrasen vorherrschend sind, hinter welchen ihre besonderen Interessen sich verstecken, und in der die bestimmten Forderungen des Proletariats um des lieben Friedens willen nicht vorgebracht werden dürfen. Eine solche Vereinigung würde allein zu ihrem Vorteile und ganz zum Nachteile des Proletariats ausfallen. Das Proletariat würde seine ganze selbständige, mühsam erkaufte Stellung verlieren und wieder zum Anhängsel der offiziellen bürgerlichen Demokratie herabsinken.“ Sie forderten eine selbständige Organisation der Arbeiterpartei, in der „die Stellung und Interessen des Proletariats unabhängig von bürgerlichen Einflüssen diskutiert werden“. [3]

9. In einer weiteren Passage, auf die sich Leo Trotzki später bei der Ausarbeitung der Theorie der permanenten Revolution stützen sollte, erklärten Marx und Engels: „Während die demokratischen Kleinbürger die Revolution möglichst rasch und unter Durchführung höchstens der obigen Ansprüche zum Abschlusse bringen wollen, ist es unser Interesse und unsere Aufgabe, die Revolution permanent zu machen, so lange, bis alle mehr oder weniger besitzenden Klassen von der Herrschaft verdrängt sind, die Staatsgewalt vom Proletariat erobert und die Assoziation der Proletarier nicht nur in einem Lande, sondern in allen herrschenden Ländern der ganzen Welt so weit vorgeschritten ist, dass die Konkurrenz der Proletarier in diesen Ländern aufgehört hat und dass wenigstens die entscheidenden produktiven Kräfte in den Händen der Proletarier konzentriert sind. Es kann sich für uns nicht um Veränderung des Privateigentums handeln, sondern nur um seine Vernichtung, nicht um Vertuschung der Klassengegensätze, sondern um Aufhebung der Klassen, nicht um Verbesserung der bestehenden Gesellschaft, sondern um Gründung einer neuen.“ [4]

10. Die Niederlage der Revolution von 1848 drängte die Arbeiterklasse zeitweilig in den Hintergrund. Staatliche Unterdrückungsmaßnahmen, die 1852 im Kölner Prozess gegen den Bund der Kommunisten gipfelten, behinderten ihre politische Organisation. Die Jahre der politischen Reaktion waren jedoch vom Siegeszug der industriellen Revolution und einem raschen Anwachsen der Arbeiterklasse geprägt. Bankwesen, Industrie, Bergbau, Schienenverkehr, Schifffahrt und Überseehandel erlebten einen gewaltigen Aufschwung. In den 1860er Jahren entstanden mit dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV) Ferdinand Lassalles und dem Verband Deutscher Arbeitervereine (VDAV) August Bebels eigenständige politische Arbeiterorganisationen. Sie schlossen sich 1875 zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) zusammen, die sich im Jahre 1890 in SPD umbenannte.

11. Innerhalb der SAP trat der Marxismus dann seinen eigentlichen Siegeszug an. Bebels Fraktion, die mit dem Marxismus identifiziert wurde, gewann zunehmend an Autorität. Obwohl die Partei zwischen 1878 und 1890 durch Bismarcks Sozialistengesetze verboten war, politisch verfolgt wurde und nur zu Reichs – und Landtagswahlen legal antreten durfte, entwickelte sie sich zu einer mächtigen gesellschaftlichen Kraft. Ihre Wahlerfolge und ein Massenstreik, der 1889/90 Deutschland erschütterte, führten schließlich zum Rücktritt Bismarcks und zum Fall der Sozialistengesetze. Nun entwickelte sich die SPD zur größten Partei Deutschlands. Sie erzog die Arbeiterklasse im Sinne des Marxismus und wurde für Hunderttausende Arbeiter zum Mittelpunkt ihres gesamten Lebens. Auf dem Höhepunkt ihrer Macht publizierte sie über 70 Tageszeitungen und zahlreiche wöchentliche Publikationen, die von sechs Millionen Menschen gelesen wurden. Ihre Verlage brachten in hohen Auflagen Bücher zur Geschichte, Politik und Kultur heraus. Sie verfügte über eine eigene Parteischule und 1.100 Bibliotheken. Sie koordinierte ein riesiges Netz von Freizeitaktivitäten vom Turn – bis zum Gesangsverein.

12. Die SPD verteidigte nicht nur die sozialen Belange der Arbeiter, sie war auch die einzige Partei Deutschlands, die konsequent für demokratische Rechte eintrat und sich scharf gegen den Antisemitismus wandte. Das Kleinbürgertum und die bürgerliche Intelligenz waren 1848 der demokratischen Revolution in den Rücken gefallen und stellten sich nach der Einigung des Reichs durch „Blut und Eisen“ mehrheitlich hinter Bismarck und den wilhelminischen Staat. Im Unterschied zu England, Frankreich und den USA gibt es in Deutschland keine bürgerlich demokratische Tradition. Der Kampf für demokratische Rechte war von Anfang an untrennbar mit der Arbeiterbewegung verbunden. Die Arbeiterklasse stand einem starken, feindlichen Staat gegenüber. Das bloße Eintreten für soziale Rechte setzte den Kampf für politische Rechte voraus. Daher ging in Deutschland die Gründung der Arbeiterpartei dem Aufbau der Gewerkschaften voraus. Einflussreiche Gewerkschaften entstanden erst anschließend, auf Initiative und unter Führung der SPD.


[2]

Friedrich Engels, Revolution und Konterrevolution in Deutschland, in: MEW, Bd. 8, S. 46, 96

[3]

Marx/Engels, Ansprache der Zentralbehörde an den Bund vom März 1850, in: MEW, Bd. 7, S. 246-249

[4]

ebd.