157. Im April 1966 hielt das Internationale Komitee seinen dritten Weltkongress ab. Ziel war es, die bestehenden Kräfte des Trotzkismus zu festigen und die Grundlagen für die Bildung von Parteien in aller Welt zu legen. Doch der Kongress wurde zum Schauplatz eines Kampfes gegen zwei Strömungen, die man zur Teilnahme eingeladen hatte, um herauszufinden, ob eine politische Zusammenarbeit mit ihnen prinzipiell möglich sei: die Voix Ouvrière aus Frankreich und Robertsons Spartacist Tendency. Beide Gruppen lehnten die Bedeutung ab, die das Internationale Komitee dem Kampf gegen den Pablismus beimaß. Robertson tat die Sache als einen Disput zwischen Kleingruppen ab, der für die Arbeiterklasse keine wirkliche Bedeutung habe. Dagegen betonte das Internationale Komitee nach dem Kongress:
„Zuerst und vor allem ist es notwendig zu verstehen, dass der Kampf gegen den Pablismus ein Kampf ist, um den Marxismus zu entwickeln und gleichzeitig jede Errungenschaft marxistischer Theorie aus der Vergangenheit zu verteidigen. (…) Der IK-Kongress von 1966 drückte dies klar aus, als er betonte, dass das IK durch seinen Kampf innerhalb der Vierten Internationale die Kontinuität der Bewegung repräsentiere. Gegenüber Voix Ouvrière und Robertson bestanden wir darauf, dass die Marxisten nur durch den Kampf gegen den Pablismus die Theorie der revolutionären Partei, des Bolschewismus, am Leben erhalten konnten.“[60]
158. Der Kongress zeigte, dass Positionen, wie die von Robertson, die nach dem Bruch mit den Pablisten einen politischen Skeptizismus gegenüber der Lebensfähigkeit der Vierten Internationale an den Tag legten, auch im Internationalen Komitee auftauchten. Die französische Sektion, die Organisation Communiste Internationaliste (OCI), hatte die SLL gegen Robertson und Voix Ouvrière unterstützt, argumentierte aber, die Vierte Internationale müsse „wiederaufgebaut“ werden. Schon 1967 begann sie, das Internationale Komitee zu drängen, seine Energien auf die Bildung von „Einheitsfronten“ mit anderen linken Kräften zu konzentrieren. Als Antwort darauf sprach die SLL eine vorausschauende Warnung an die Führung der OCI aus:
„Die Radikalisierung der Arbeiter in Europa schreitet jetzt rapide voran, vor allem in Frankreich. (…) Auf einer solchen Entwicklungsstufe besteht immer die Gefahr, dass eine revolutionäre Partei nicht auf revolutionäre Weise auf die Situation in der Arbeiterklasse reagiert, sondern durch Anpassung an das Kampfniveau, auf das die Arbeiter durch ihre Erfahrung unter der alten Führung beschränkt sind, d.h. auf die unvermeidliche anfängliche Verwirrung. Solche Revisionen des Kampfs für die unabhängige Partei und das Übergangsprogramm tarnen sich gewöhnlich als ein Heranrücken an die Arbeiterklasse, als Einheit mit all jenen, die im Kampf stehen, als Forderung, keine Ultimaten zu stellen, den Dogmatismus abzulehnen, usw.“[61]
159. Diese Warnung verhallte ungehört. Stattdessen wurde die Forderung nach dem „Wiederaufbau der Vierten Internationale“ zum Vehikel, auf dem sich die OCI immer weiter vom Internationalen Komitee entfernte. Nach den revolutionären Ereignissen um den Generalstreik vom Mai-Juni 1968 erfuhr die OCI zum ersten Mal seit Jahrzehnten ein starkes Anwachsen ihrer Gefolgschaft. Dies bot ihr große Möglichkeiten, doch sie reagierte darauf, indem sie sich immer stärker auf reformistische und pablistische Kräfte zu bewegte. Während des Generalstreiks verfolgte die OCI einen im Wesentlichen syndikalistischen Kurs, anstatt gegen die französische Kommunistische Partei und die Gewerkschaftsbürokratie den politischen Kampf aufzunehmen. Sie rief nie zum Sturz der gaullistischen Regierung auf und weigerte sich, eine Arbeiterregierung und sozialistische Politik zu fordern. Ab 1968 war sie an Manövern um den späteren Präsidenten François Mitterrand beteiligt, als die Französische Sozialistische Partei lanciert wurde. Unter denen, die dieser Allianz den Weg bereiteten, war auch der künftige Premierminister Lionel Jospin.