Diesen Vortrag hielt Barry Grey, Mitglied der Redaktion des WSWS, am 18. Januar 2002 auf einem Seminar der World Socialist Web Site in Sydney.
Man könnte folgendes Axiom aufstellen: Je absurder und unaufrichtiger die offiziellen Gründe, mit denen die Machthaber ihre Politik rechtfertigen, desto mehr stecken sie in Schwierigkeiten. Eine Regierung, die sich in einer tiefen Krise befindet, kann weder der Bevölkerung noch sich selbst die - und sei es auch nur annähernde - Wahrheit eingestehen. Die gesellschaftlichen Widersprüche und die Schärfe der Konflikte innerhalb der herrschenden Schichten lassen es einfach nicht zu.
Diese Überlegung eröffnet uns eine erste Annäherung an die Frage, in welchem Zustand sich die bürgerliche Herrschaft in den USA zu Beginn des 21. Jahrhunderts befindet. Erinnern wir uns, dass die politische Krise, die in den Jahren 1998-99 Politik und Medien der USA in Atem hielt, offiziell darauf zurückgeführt wurde, dass Bill Clinton ein sexuelles Verhältnis nicht eingestanden hatte. Jeder Versuch, die tieferen Gründe für das historisch bislang einmalige Amtsenthebungsverfahren gegen einen gewählten Präsidenten aufzudecken, wurde von den offiziellen Meinungsmachern in der Regel als moralische Laxheit oder als Propaganda für Clinton abgetan.
Heute erleben wir einen brutalen Krieg in Afghanistan, der nur der Beginn eines weltweiten Feldzugs gegen den Terrorismus von unabsehbarer Dauer darstellt. Begleitet wird er von den weitreichendsten Angriffen auf demokratische Rechte in der Geschichte der USA. Dieser historische Wendepunkt, so will man uns glauben machen, erkläre sich ausschließlich aus der Reaktion der Bush-Regierung auf die Terroranschläge vom 11. September. Diese Anschläge, die niemand habe voraussehen können, hätten der amerikanischen Regierung alle seitherigen innen- und außenpolitisch Maßnahmen aufgezwungen.
Allerdings mehren sich die Beweise, dass die offizielle Darstellung des 11. September, in der die amerikanischen Geheimdienste CIA und FBI, das Pentagon und das Weiße Haus die Rolle der unschuldigen Opfer spielen, aus reinen Lügen und Verdrehungen besteht. Darauf werden wir an geeigneter Stelle zurückkommen.
Auf einer grundlegenderen Ebene stellt die Linie von Regierung und Medien einen plumpen Versuch dar, zu bestreiten, dass der Ausbruch des amerikanischen Militarismus und die Einführung autoritärer Herrschaftsmethoden auf historische Prozesse zurückzuführen sind, die schon seit längerem am Werk sind und bereits in den harten politischen Auseinandersetzungen der neunziger Jahre und der Fälschung des Wahlergebnisses 2000 unübersehbar zutage traten. Wer sich die Mühe macht, die Erklärungen und Kommentare der World Socialist Web Site seit ihrer Gründung vor vier Jahren und auch die vorausgegangenen Publikationen der Socialist Equality Party durchzusehen, erkennt sofort die politische Logik hinter den traumatischen Ereignissen von heute. Man kann diese Logik rational aufdecken und analysieren, und genau dies hat die marxistische Bewegung geleistet. Zehntausende Leser der WSWS rund um die Welt werden das bestätigen.
Ein schleichender Staatsstreich
Innerhalb von vier Monaten hat die herrschende Elite in Amerika die weitreichendsten Angriffe auf demokratische Rechte in der Geschichte der USA durchgesetzt. Die von der Bush-Regierung erlassenen Maßnahmen gehen weit über eine bloß quantitative Ausweitung bestimmter Ermittlungsbefugnisse hinaus. Sie stellen eine grundlegende Umstrukturierung des Polizei- und Geheimdienstapparates dar, dessen Umfang und Vollmachten stark ausgeweitet werden.
Die Struktur der Regierung, die Beziehung zwischen der Bevölkerung und den Sicherheitskräften (Polizei und Armee) sowie der gesetzliche und verfassungsmäßige Rahmen in den USA sind von Grund auf verändert worden.
Hierzu ein Zitat aus einer Erklärung vom 7. November (die am 10. November in deutscher Übersetzung auf der WSWS erschien):
"Das Weiße Haus ist mit weitgehenden neuen Vollmachten für die Repression im Innern ausgestattet worden und hat durch einen einfachen Erlass der Regierung ein Amt für Innere Sicherheit eingerichtet, das nicht der Kontrolle des Parlaments unterliegt und dessen Personal von niemandem gewählt wird. Mittels eines Terrorismusbekämpfungsgesetzes', das faktisch das FBI mit der CIA verbindet und die traditionelle Trennung zwischen dem ausländischen und inländischen Geheimdienst aufhebt, entsteht eine allumfassende politische Polizeibehörde.
Parallel zur Bombardierung Afghanistans, so die Bush-Regierung, gebe es eine zweite Front, den Krieg im Innern. Die Bundesregierung veröffentlicht vage, aus der Luft gegriffene Terrorwarnungen', die Angst schüren ohne der Bevölkerung Schutzmaßnahmen anzubieten. Sprecher der Regierung fordern die Bevölkerung auf, sich an Maßnahmen wie willkürliche Polizeirazzien und Straßensperren als alltägliche Begleiterscheinungen zu gewöhnen. Die Nationalgarde patrouilliert ständig an Flughäfen, Häfen, Brücken, Tunnels und sogar vor dem Kapitol.
Grundlegende verfassungsmäßige Sicherheiten - wie das Recht des Habeas Corpus, das Recht des Angeklagten, die gegen ihn erhobene Anklage zu kennen, das Recht eines Verhafteten, mit einem Rechtsanwalt zu sprechen, sogar die Unschuldsvermutung - wurden für Millionen Einwanderer aus dem Nahen und Mittleren Osten außer Kraft gesetzt. Das Recht auf Privatsphäre ist für die gesamte Bevölkerung nahezu abgeschafft worden, und der Geheimdienst erhält grünes Licht, Wanzen und Abhöranlagen zu installieren, finanzielle Transaktionen zu kontrollieren und andere Formen der Spionage buchstäblich nach Belieben auszuführen.
Hätte man dem Durchschnittsamerikaner am 10. September ein Bild der Vereinigten Staaten gezeigt, wie sie heute sind, wäre die Antwort vermutlich gewesen: Dies ist nicht das Amerika, das ich kenne. Das sieht eher wie ein Polizeistaat aus.'
Die bittere Ironie besteht darin, dass eine derart durchgreifende Attacke auf demokratische Grundrechte ausgerechnet im Namen eines Kriegs zur Verteidigung von Freiheit' und Demokratie' gegen Terrorismus geführt wird. Aber weder die Bush-Regierung, noch ihre Pendants in der Demokratischen Partei, noch eine willfährige und komplizenhafte Presse bemüht sich, folgenden Widerspruch aufzulösen: Noch niemals im zwanzigsten Jahrhundert hat sich die Regierung der Vereinigten Staaten Vollmachten wie diese verschafft. Nicht im ersten oder zweiten Weltkrieg, und auch nicht im Kalten Krieg, als ihre Gegner machtvolle und schwerbewaffnete Staaten waren, wurde eine derart radikale Umstrukturierung der Regierung und des Gesetzesrahmens durchgesetzt. Warum geschieht dies heute, wo der angebliche Feind eine kleine Bande von Terroristen ist, die in Höhlen in einem der ärmsten Länder der Welt haust?"
Die oben aufgeführten Maßnahmen wurden vor dem Hintergrund einer groß angelegten Ringfahndung erlassen, in deren Verlauf rund 1.200 Menschen verhaftet wurden. Viele von ihnen wurden an unbekannten Orten festgehalten und erhielten keinen rechtmäßigen juristischen Beistand. Etwas Ähnliches hat es seit der Kommunistenhatz von 1919-20 nicht mehr gegeben. Damals hatte die herrschende Klasse in Amerika auf die bolschewistische Revolution hin Tausende Einwanderer festgenommen und abgeschoben.
Seit der Veröffentlichung des oben zitierten Artikels hat Bush die Einführung ständiger Militärgerichte angeordnet, vor denen vom Weißen Haus als Terroristen bezeichneten Personen, die nicht die amerikanische Staatsangehörigkeit besitzen, unter Ausschluss der Öffentlichkeit der Prozess gemacht werden kann, ohne dass ihnen die von der amerikanischen Verfassung garantierten Rechte zustehen würden. Neben den Femegerichten, die durch Bushs Vollzugsanweisung eingeführt werden, nimmt sich der Schauprozess gegen den kurdischen Separatistenführer Abdullah Öcalan in der Türkei 1999 als wahres Musterbeispiel eines fairen Verfahrens aus. Nach Bushs Exekutivorder kann eine als Terrorist verdächtigte Person in Geheimprozessen abgeurteilt und hingerichtet werden, wenn eine vom Präsidenten handverlesene Jury mit Zweidrittelmehrheit zu einem entsprechenden Entschluss kommt.
Justizminister John Ashcroft hat sich selbst, ebenfalls per Exekutivorder, die Vollmacht erteilt, auch entgegen dem Ausgang von Einwanderungsverfahren Ausländer auf unbeschränkte Dauer in Haft zu halten. Die Regierung hat der Presse Meldungen zugespielt, wonach die Vorschriften, die bisher die polizeiliche Bespitzelung politischer Organisationen im Inland beschränken, künftig gelockert werden sollen.
Der Kongress hat mit Zustimmung beider Parteien gebilligt, dass vor dem Regierungssitz bewaffnete Soldaten Aufstellung nehmen, und der Oberste Gerichtshof hat angekündigt, dass er künftig die Öffentlichkeit von seinen Anhörungen ausschließen wird.
Um die Öffentlichkeit daran zu gewöhnen, dass die Regierung weitgehend im Verborgenen operiert, hat das Weiße Haus mit viel Getöse bekannt gegeben, dass sich Vizepräsident Dick Cheney künftig vorwiegend an sicheren Orten außerhalb Washingtons aufhalten wird.
Unter dem Aspekt des Verfassungsrechts wird mit den angeführten Maßnahmen der Bush-Regierung das Sicherheitssystem abgebaut, das die Verfassungsväter zum Schutz demokratischer Rechte eingeführt hatten. Es sieht drei gleichberechtigte Säulen des Staates vor - die Exekutive, die Legislative und die Judikative. Bush hat sich und seiner Regierung beispiellose Vollmachten gesichert, die von Legislative und Judikative nur noch abgesegnet werden können.
Dies geschieht mit der begeisterten Zustimmung der Republikaner im Kongress und der stillschweigenden Komplizenschaft der Demokraten. Es ist bemerkenswert, dass Mitte Oktober, auf dem Höhepunkt der Anthrax-Hysterie, die Republikaner für die unbefristete Schließung des Kongresses eintraten, um Bush, dem FBI, der CIA und dem Militär im In- und Ausland möglichst freie Hand zu lassen.
Die Rechtfertigungen, die Regierungsvertreter für diese Maßnahmen anführten, lassen Unkenntnis von Verfassungsgrundsätzen und Missachtung für den demokratischen Gehalt ihrer Sicherungssysteme erkennen. Bush zum Beispiel hat wiederholt erklärt, dass er nicht beabsichtige, den Generälen ihre Kriegsführung vorzuschreiben - eine ausdrückliche Zurückweisung des Prinzips, dass die Zivilregierung das Militär kontrolliert.
Als Ashcroft letzten Monat vor dem Justizausschuss des Senats aussagte, äußerte er eine Drohung an die Adresse jedes Kongressabgeordneten, der es wagen sollte, sich Bushs autoritären Diktaten zu widersetzen. Nach der bewährten Taktik des rechten Flügels der Republikaner - man wirft seinen Gegnern die Vergehen vor, die man selbst verübt - warf er seinen Kritikern vor, sie würden "Amerikaner gegen Einwanderer und Staatsbürger gegen Nicht-Staatsbürger ausspielen". Er fuhr fort: "Denjenigen, die friedliebende Menschen mit dem Phantom verlorener politischer Freiheiten schrecken, sage ich: Sie helfen mit Ihrer Taktik nur den Terroristen, denn sie unterhöhlt unseren nationalen Zusammenhalt und schwächt unsere Entschlossenheit. Sie liefert Amerikas Feinden Munition und verschafft ihnen eine Atempause. Sie fordern gutwillige Menschen auf, im Angesicht des Bösen still zu halten."
Nach der Bush-Doktrin macht sich jeder, der "Terroristen Hilfe leistet", selbst des Terrorismus schuldig und zieht die volle Härte staatlicher Sanktionen auf sich. Die Implikationen sind eindeutig.
Ashcroft machte mit demokratischen Grundsätzen nicht viel Federlesens. Bush, sagte er, sei nicht verpflichtet, Rücksprache mit dem Kongress zu halten, denn "die Verfassung verleiht dem Präsidenten die besondere und nur auf ihn bezogene Autorität, unser Land in Kriegszeiten als Oberbefehlshaber zu führen." Diese plumpe Fälschung der Verfassung läuft auf eine offene Rechtfertigung für eine Diktatur des Präsidenten hinaus.
In einer Rede, die er am 6. Januar in Portland (Oregon) hielt, entwickelte Bush eine Begründung für eine groß angelegte politische Hexenjagd. Er habe die Absicht, erklärte er, nicht nur Terroristen zu verfolgen, sondern jeden, "der eine Philosophie vertritt, die terroristisch eingefärbt ist". Zuvor hatte er betont, dass die Demokraten "nur über meine Leiche" Steuererleichterungen für Reiche wieder rückgängig machen könnten. Abgesehen von der versteckten Androhung von Gewalt zeigt diese Aussage, dass das Weiße Haus unter Bush nicht bereit ist, Beschlüssen des Kongresses Folge zu leisten, die seinen eigenen Absichten, nämlich der weiteren Bereicherung der Finanzelite, zuwiderlaufen. Damit stellt sich eine weitere Frage: Wird Bush zulassen, dass er aufgrund einer technischen Lappalie wie einer Wahlniederlage sein Amt verliert, oder will er auch dies nur "über meine Leiche" zulassen?
Die Bush-Regierung hat deutlich gemacht, dass in ihren Augen die ganze Batterie autoritärer Maßnahmen, die sie verhängt hat, keine vorübergehenden Veränderungen darstellen. Sie sind nach ihrer festen Überzeugung wesentliche Bestandteile des globalen Kriegs gegen den Terrorismus, eines Krieges, der sowohl im Inneren als auch nach außen geführt werden muss und der weder zeitliche noch geographische Grenzen hat.
Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ließ in einem Gastkommentar der Washington Post vom 1. November verlauten, dass die amerikanische Bevölkerung nicht nur einen Krieg gegen den Terrorismus auf unbestimmte Dauer hinnehmen, sondern sich bereits jetzt "auf den nächsten Krieg vorbereiten" müsse - "einen Krieg, der sich vielleicht nicht nur erheblich von den Kriegen des vergangenen Jahrhunderts, sondern auch von dem Krieg gegen den Terrorismus, den wir jetzt führen, unterscheidet". Mit anderen Worten, Amerika tritt nicht nur für die Dauer eines klar umrissenen Konflikts in Afghanistan, sondern auf unabsehbare Zeit in den Kriegszustand ein. Folglich müssen die innenpolitischen polizeilichen Maßnahmen, die jetzt von der Regierung ergriffen werden, als Dauerzustand angesehen werden.
In ihrer Gesamtheit stellen die seit dem 11. September erfolgten Maßnahmen - und man sollte sich darüber klar sein, dass noch weitgehendere Schritte in der Schublade liegen - den gesetzlichen und politischen Rahmen für eine bonapartistische Diktatur dar, die sich in erster Linie auf den Polizei- und Militärapparat stützt.
Während der Kampagne der Republikaner für die Absetzung Clintons vermerkte die World Socialist Web Site das offenbar widersprüchliche Verhalten der Ultra-Rechten. Nachdem sie Jahre lang bemüht gewesen waren, die polizeilichen Vollmachten des Staates auszubauen, demütigten und schwächten sie nun gezielt nicht nur den Präsidenten, sondern auch die Institution der Präsidentschaft als solche. Wir stellten damals fest, dass dieser politische Vernichtungsfeldzug, der die Skrupellosigkeit der Republikaner unter Beweis stellte, durchaus nicht bedeutete, dass sie keine "starke" Exekutive mehr wünschten. Ihnen ging es um die Zerstörung der letzten Überbleibsel einer "tätigen" Präsidentschaft in dem Sinne, den dieser Begriff seit den Tagen von Franklin Roosevelt angenommen hatte: einer Präsidentschaft, die reformistische Maßnahmen förderte, die bis zu einem gewissen Grade die Vorrechte und die Macht der Konzernoligarchie beschnitten.
Sobald sie erst ihren Mann im Weißen Haus hätte, sagten wir voraus, würde die republikanische Rechte dafür eintreten, die Befugnisse der Exekutive deutlich auszuweiten, um jede soziale und politische Unzufriedenheit im Inneren niederzuschlagen und nach außen Krieg zu führen. Die jüngsten Ereignisse haben diese Prognose auf der ganzen Linie bestätigt.
Zum Abschluss dieses Überblicks über die innenpolitischen Maßnahmen seit dem 11. September möchte ich noch einmal auf die oben zitierte Erklärung der WSWS zurückkommen. Wir schrieben damals: "Die Antiterror'-Kampagne der Bush-Regierung im eigenen Land muss als eine scharfe Warnung dienen. Nach dem Debakel vom November und Dezember 2000 in Florida gab es abwiegelnde Kommentare in der Presse, die erklärten, dass der scharfe politische Kampf in den Vereinigten Staaten im Unterschied zu vielen anderen Ländern nicht mit auf den Straßen rollenden Panzern enden werde. Jetzt sind die Panzer auf der Straße, und Soldaten umstellen das Kapitol, sozusagen in einem Putsch im Zeitlupentempo."
Die politischen Kriege der neunziger Jahre und die Wahlen des Jahres 2000
Die Propagandakampagne der Regierung und der Medien kreist um den Mythos, dass seit dem 11. September "alles anders" sei. Doch wie zahlreiche Kommentatoren - am besten die WSWS - nachgewiesen haben, waren die Pläne für eine Militärintervention der USA in Afghanistan und auch die ersten Stadien eines der "Operation grenzenlose Gerechtigkeit" sehr ähnlichen Szenarios bereits vor den Terroranschlägen auf New York und Washington weitgehend ausgearbeitet. Zudem drängte der äußerste rechte Flügel der politischen, finanziellen und militärischen Elite auf autoritäre innenpolitische Maßnahmen, um eine massive Ausweitung der imperialistischen Aggressionen der USA im Ausland abzusichern und der wachsenden Gefahr sozialer Unruhen entgegenzutreten.
Es fehlte nur noch ein passender Vorwand, ein Casus belli. Er kam, Bush und Konsorten wie gerufen, mit den Ereignissen vom 11. September. Diese Einschätzung lässt sich aus erster Hand belegen. Hören wir Zbigniew Brzezinski, der maßgeblich an der Ausarbeitung der US-Politik gegenüber Afghanistan beteiligt war. Er stand Pate für die Unterwanderung- und Destabilisierungspolitik, die den sowjetischen Einmarsch im Jahr 1979 provozierte und das unglückliche Land in Jahrzehnte Krieg und Bürgerkrieg stürzte. Als Sicherheitsberater von Präsident Carter trat Brzezinski mit Nachdruck für die Förderung des islamischen Fundamentalismus und für ein Bündnis mit Kräften wie Osama bin Laden ein, um den sowjetischen Einfluss in Afghanistan und Zentralasien zu untergraben.
In seinem 1997 erschienenen Buch "Die einzige Weltmacht" schreibt Brzezinski: "Da Amerika im eigenen Land strikt auf Demokratie hält, kann es sich im Ausland nicht autokratisch gebärden. Dies setzt der Anwendung von Gewalt von vornherein Grenzen, besonders seiner Fähigkeit zu militärischer Einschüchterung. Nie zuvor hat eine volksnahe Demokratie internationale Vormachtsstellung erlangt. Aber das Streben nach Macht wird kein Volk zu Begeisterungsstürmen hinreißen, außer in Situationen, in denen nach allgemeinem Empfinden das nationale Wohlergehen bedroht oder gefährdet ist." (Z. Brzezinski, "Die einzige Weltmacht", Frankfurt / Main 1999, S. 59f, Hervorhebung hinzugefügt)
Der gegenwärtige Frontalangriff auf die traditionellen Methoden und Institutionen der bürgerlichen Demokratie erweist sich also als Höhepunkt von mehr als zwei Jahrzehnten der politischen Reaktion und der Angriffe auf demokratische Rechte in den USA. Während dieser Zeit wurden die Unterdrückungsorgane des Staates kontinuierlich ausgebaut - zwei Millionen Amerikaner sitzen heute in Haft, Tausende warten auf ihre Hinrichtung, die Rechte der Angeklagten wurden beschnitten, die Rechte der Polizei auf Überwachung und Bespitzelung erweitert. Gleichzeitig entstand ein faschistischer Flügel auf der politischen Rechten, der zwar in der Bevölkerung kaum Unterstützung hat, in der Republikanischen Partei, im Kongress und mittlerweile auch im Weißen Haus aber großen Einfluss ausübt.
In den politischen Kriegen der neunziger Jahre zeigte sich der Verfall der amerikanischen Demokratie besonders deutlich. Wir haben über diesen komplexen und höchst bedeutsamen Prozess viel geschrieben; dennoch möchte ich seine wichtigsten Kennzeichen noch einmal zusammenfassen.
Der Todeskampf der amerikanischen Demokratie geht in letzter Hinsicht auf grundlegende Veränderungen in der Gesellschaftsstruktur zurück, die wiederum Veränderungen in der Weltwirtschaft und im Verhältnis zwischen dem amerikanischen und dem internationalen Kapitalismus widerspiegeln. Das herausragendste Merkmal der inneren Veränderungen ist die Zunahme der sozialen Ungleichheit, die sich besonders in den vergangenen zwei Jahrzehnten entwickelte.
Die zunehmende Kluft zwischen einer äußerst privilegierten Elite und der breiten Masse der Bevölkerung bringt weitere entscheidende Entwicklungen mit sich - die Proletarisierung breiter Schichten der Mittelklasse und das schwindende soziale und politische Gewicht der traditionellen Mittelklasse, das Schrumpfen der gesellschaftlichen Basis der beiden bürgerlichen Parteien und deren immer deutlichere Rechtswendung, die Abkapselung des Politik- und Medien-Establishments von der allgemeinen Bevölkerung, die Auswirkung der zentrifugalen Tendenzen auf alle Schichten der Gesellschaft einschließlich der Elite in Politik und Wirtschaft. Mit dem Ende des Kalten Krieges entfiel die wichtigste Stütze des politischen Konsens - der Kampf gegen den sowjetischen "Kommunismus" - und die politische Elite sah sich unversehens ihres wichtigsten ideologischen Kitts für eine inzwischen höchst komplexe, sozial polarisierte und ethnisch gemischte Gesellschaft beraubt.
Zwar bemühten sich die Demokratische Partei und das liberale Establishment, mit der Rechtswendung großer und einflussreicher Teile der Wirtschaftsoligarchie Schritt zu halten, indem sie soziale Reformen endgültig ad acta legten und die wirtschaftsliberalen Allheilmittel der rechten Republikaner übernahmen, dennoch nahmen die Konflikte innerhalb der herrschenden Schichten zu. Die Ursache dieses Phänomens lag, wie sich inzwischen herausgestellt hat, darin, dass erhebliche Teile der herrschenden Klasse nicht nur eine quantitative Ausweitung der reaktionären Sozialpolitik und der Angriffe auf demokratische Rechte forderten, sondern einen radikalen Bruch mit dem gesamten Rahmen der bürgerlichen Demokratie in Amerika vorbereiteten. Wie die republikanischen Gefolgsleute dieser Aufstandsbewegung um den früheren Sprecher des Repräsentantenhauses Newt Gingrich nicht müde wurden zu betonen, sahen sie sich selbst als "Revolutionäre"; und in der Tat bildeten sie die Stoßtruppen einer zutiefst antidemokratischen Tendenz, die sich eine Konterrevolution in den politischen Methoden und Herrschaftsformen auf die Fahnen geschrieben hatte.
Ein wichtiger Faktor in diesem Prozess war der Untergang der AFL-CIO-Gewerkschaften als nennenswerte politische und gesellschaftliche Kraft. Mit der Entkräftung der Arbeiterbewegung und dem Verschwinden jeder organisierten Interessensvertretung der Arbeiterklasse auf Massenebene, und sei es nur in der äußerst beschränkten Form ihrer traditionellen Gewerkschaften, sahen die raubgierigsten Teile der herrschenden Elite keinen Grund zur Zurückhaltung mehr und betrieben ihre Politik fortan ohne Angst vor Widerstand seitens der sogenannten "organisierten Gewerkschaftsbewegung".
Mit diesem politischen Prozess war außerdem verbunden, dass Schmarotzertum und Korruption in den herrschenden Kreisen bislang unbekannte Ausmaße annahmen. In zwei Jahrzehnten Börsenboom und sozialer Reaktion machten sich in Wirtschaft und Politik Schwindel und Kriminalität in einem Ausmaß breit, wie man es nicht einmal in den schlimmsten Tagen der Räuberbarone gekannt hatte. Man plünderte die Unternehmen regelrecht aus und konzentrierte sich nur noch auf ganz kurzfristige Profite. Eine langfristige, etwas weitsichtigere Strategie zur Aufrechterhaltung ihrer Herrschaft kam der herrschenden Klasse dabei abhanden.
Wir haben die wichtigsten Wendepunkte dieses Prozesses bereits benannt. In den Jahren 1995/96 legten die Republikaner die Bundesregierung lahm, um angesichts einer breiten Opposition in der Bevölkerung die Sozialpolitik der extremen Rechten durchzusetzen. Dieser Versuch scheiterte jedoch und schlug in Form von Clintons Wiederwahl 1996 auf sie zurück. Dies schürte die Ablehnung gegenüber demokratischen Gepflogenheiten, die sich in den Kreisen der herrschenden Klasse um die Republikaner breit machte, und vermittelte ihnen das Gefühl, dass die Geschichte gegen sie arbeitete. So entschlossen sie sich, zu außerparlamentarischen Mitteln zu greifen - politische Verschwörungen, schmutzige Tricks und Wahlbetrug - um ihre Ziele zu erreichen. Daher die Verstärkung des verdeckten Kriegs gegen die Clinton-Regierung, die in dem Paula-Jones-Verfahren, der Monica-Lewinsky-Provokation und schließlich dem Amtsenthebungsverfahren 1998 gipfelte.
Die Parlamentswahlen von 1998, in der Mitte der Amtszeit des Präsidenten, versetzten den Republikanern einen weiteren Schlag und bestärkten sie in ihrer Frustration und Skrupellosigkeit. Die Ablehnung der Bevölkerung gegenüber der von den Republikanern betriebenen Amtsenthebung und gegenüber dem unabhängigen Ermittler Kenneth Starr schlug sich in einer Wahlniederlage der Republikaner nieder. Sie verloren Sitze im Repräsentantenhaus und konnten ihre Mehrheit nur knapp behaupten. Gingrich legte wenige Tage nach der Wahl sein Abgeordnetenmandat im Kongress nieder.
Doch die Ablehnung des Impeachment von Seiten der Bevölkerung bestärkte die Rechten lediglich in der Überzeugung, dass sie ihre Ziele nur mit außerparlamentarischen und pseudo-legalen Tricks erreichen konnten. Die Republikaner unternahmen ihren anschließenden Putschversuch, das Repräsentantenhaus beschloss im folgenden Monat in einer eindeutig parteipolitisch motivierten Abstimmung, ein Amtsenthebungsverfahren gegen Clinton einzuleiten.
Am Ende gelang es ihnen nicht, Clinton aus dem Amt zu vertreiben. Angesichts der überwältigenden Opposition der Bevölkerung gegen Starrs Hexenjagd weigerte sich der Senat, Clinton für schuldig zu befinden. Doch die unterwürfige Reaktion der Demokraten, die es nicht wagten, nun ihrerseits den Spieß umzudrehen und die Verschwörung gegen demokratische Rechte aufzudecken, die hinter dem Impeachment stand, sowie die offene Komplizenschaft der liberalen Medien in dieser schmutzigen und reaktionären Angelegenheit ermutigte die Verschwörer. Sie zogen die - zutreffende - Schlussfolgerung, dass aus den Reihen des politischen Establishments keine ernsthafte Opposition gegen ihre Angriffe auf demokratische Rechte zu erwarten war.
Für diese Kräfte boten die Wahlen des Jahres 2000 die Gelegenheit zur Entscheidungsschlacht. Sie waren ihre letzte Chance, zu erreichen, was ihnen während Clintons Amtszeit nicht gelungen war. Daher erkoren sie eine politische und intellektuelle Null - George W. Bush - zu ihrem Bannerträger. Er war immerhin als Rechter bekannt und kam aus einer der korruptesten Familien in der politischen Geschichte Amerikas.
Die Wahlen ergaben, dass das Land quer durch gespalten war. Die lebendigsten Zentren der Industrie und des städtischen Lebens, wo sich die Arbeiterklasse sammelte, lehnten die Konzepte der republikanischen Rechten ab. Der Kandidat der Demokraten, Al Gore, richtete einen populistischen Appell an die Wählerschaft, indem er sich als Sprachrohr des "Volkes" gegen die "Mächtigen" darstellte, bestimmte Teile des Großkapitals unter Beschuss nahm und Bushs geplante Steuererleichterungen für die Wohlhabenden kritisierte. Gores Populismus war schüchtern, inkonsequent und unaufrichtig; außerdem vertrug er sich, wie die Ernennung des Senators Joseph Lieberman zu seinem Vize-Kandidaten zeigte, mit einer Kapitulation vor dem Impeachment-Verfahren der Republikaner. Lieberman hatte sich dadurch einen Namen gemacht, dass er im Zusammenhang mit Starrs Ermittlungen in Sachen Lewinsky Clinton im Sitzungssaal des Senats angegriffen hatte.
Dennoch gewann Gore die meisten Stimmen in der Bevölkerung und die Mehrheit in den meisten Wahlbezirken, in denen vorwiegend Arbeiter wohnten. Zusammen mit den Proteststimmen für den Kandidaten der Grünen Ralph Nader zeigte das Wahlergebnis eine bedeutende Mehrheit für eine (nach amerikanischen Maßstäben) linksliberale Sozialpolitik. Der Unmut der Bevölkerung über das Amtsenthebungsverfahren zeigte sich in den Wahlniederlagen jener republikanischen Kongressabgeordneten, die sich in der Kampagne für die Absetzung Clintons besonders engagiert hatten, und in der Wahl von Hillary Clinton als Senatsabgeordnete für New York.
Noch bevor die Stimmen ausgezählt waren, hatten die Republikaner beschlossen, ihre Unterstützung in den Medien, dem Militär und den Gerichten einzusetzen, um den Wählerauftrag zu kippen und die Wahlen für sich zu reklamieren. In zahlreichen Artikeln und Erklärungen hat das WSWS im Einzelnen die Methoden geschildert, die Bushs Leute dabei anwandten. Unsere Analyse der Ereignisse vom November und Dezember 2000 muss an dieser Stelle nicht wiederholt werden. Eines sollte aber gesagt werden: Spätestens vom Wahlabend an, als Bush im texanischen Gouverneurssitz in Austin eine außerordentliche Pressekonferenz abhielt, um den Nachrichtendiensten vorzuwerfen, dass sie Florida dem Kandidaten Gore zugeschlagen hätten, ging die Bush-Truppe nicht mehr davon aus, dass die Wahlen durch das Abstimmungsverhalten der Wahlberechtigten entschieden würden. Sie setzte eine groß angelegte Operation in Gang, um sich des Weißen Hauses zu bemächtigen.
Im Laufe des fünfwöchigen Kampfes um Florida, der per Intervention des Obersten Gerichtshofes beendet wurde, organisierte die Republikanische Partei einen Angriff des Mobs auf Mitarbeiter der Wahlbehörden im Verwaltungsbezirk Miami-Dade, um diese zu veranlassen, die Neuauszählung der umstrittenen Stimmzettel einzustellen. Vertreter der Republikaner und Sprecher der Bush-Kampagne richteten direkte Appelle an das US-Militär, sich der Neuauszählung zu widersetzen, die auf Verlangen der Demokraten mit Zustimmung des Obersten Gericht des Staates Florida vorgenommen wurde. Sie versuchten eine Pogromstimmung in der faschistischen Rechten zu schüren, indem sie getreu ihrer bewährten Methode den Demokraten genau das vorwarfen, was sie selbst taten - die Wahlen im eigenen Interesse zu fälschen.
Die politisch rechts stehende Mehrheit des Obersten Gerichtshofs der USA gab am 12. Dezember ihre Entscheidung bekannt, mit der das Urteil des Gerichts in Florida hinfällig wurde. Sie entschied, dass die Stimmenauszählung eingestellt werden und Bush ins Weiße Haus einziehen müsse. Dabei stützte sie sich auf eine reaktionäre Interpretation der Verfassung, die darauf hinauslief, dass die amerikanische Bevölkerung nicht das Recht habe, den Präsidenten der USA selbst zu wählen.
Der Aufstieg der politischen Unterwelt
Im Lichte der jüngsten Ereignisse gewinnt ein Aspekt unserer Analyse der Wahlen des Jahres 2000 besonders große Bedeutung. In einem Artikel unter der Überschrift "Die Bush-Kampagne und der Aufstieg der politischen Unterwelt" wiesen wir am 15. November 2000 auf ein entscheidendes Merkmal der Wahlen hin. Wir schrieben unter anderem:
"Die mit den Präsidentschaftswahlen verbundenen Ereignisse der vergangenen Woche, die bereits am Wahlabend einsetzten, haben ein politisches Phänomen von außerordentlicher Bedeutung beleuchtet: An die Spitze des amerikanischen politischen Systems schieben sich Kräfte, die dem Gangstermilieu entstammen.
Diese extremen Rechten, die jetzt die Republikanische Partei kontrollieren, wissen ganz genau, dass sie mit demokratischen Mitteln nicht an die Regierung kommen können, weil die Bevölkerung in weiten Teilen gegen ihre Politik ist. Sie haben sich in der Führung der Republikaner im Kongress und im Justizapparat festgesetzt und versuchen jetzt, mit einem regelrechten politischen Putsch die Präsidentschaft an sich zu reißen.
Zu diesem rechten Klüngel gehören die Organisatoren der Bush-Kampagne und der Republikanischen Partei, die alle 'schmutzigen Tricks' kennen, Medien wie das Wall Street Journal, die New York Times und verschiedene Radiosendungen, denen keine Lüge zu fett oder zu absurd ist. Daneben gibt es ein Netzwerk extrem rechter Anwälte, dem beispielsweise der finstere Theodore Olson (der mittlerweile von Bush zum stellvertretenden Justizminister ernannt wurde) angehört. Diese Juristen haben im Paula-Jones-Prozess und im Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Clinton eine zentrale Rolle gespielt."
Dieser Artikel war deshalb wichtig, weil er eine Tatsache herausstrich, über die man sich klar sein muss, wenn man die heutigen Ereignisse nicht nur in den USA, sondern auf internationaler Ebene verstehen will: Es handelte sich um die Machtübernahme einer Regierung, die nicht nur eine quantitative Steigerung der Reaktion darstellt, sondern sich auch qualitativ von den bisherigen Regierungen, auch denen der Republikaner, deutlich abhebt. Es ist eine Regierung der radikalen Rechten, deren soziale Basis in erster Linie aus den reaktionärsten und parasitärsten Teilen der wirtschaftlichen Elite und der oberen Mittelklasse besteht - eben jenen Elementen, die im Spekulationsboom der achtziger und neunziger Jahre enorm an Reichtum und Einfluss gewannen. Bush selbst, der gescheiterte Ölunternehmer, der den Namen seines Vaters zu Geld machte und von den Familienseilschaften ein kleines Vermögen zugeschustert bekam, ist ein typischer Vertreter dieser Gesellschaftsschicht.
Zu den Einstellungen und Methoden dieser Unterweltler möchte ich einen Artikel zitieren, den wir am 24. November 2000 veröffentlichten. Er erschien unter der Überschrift: "Rechte Republikaner bereiten sich auf Gewalt vor". Wir schrieben: "Das Bush-Lager und seine Verbündeten in den Medien haben mit rasender Wut auf die am Dienstag verkündete Entscheidung des Obersten Gerichts von Florida reagiert, wonach umstrittene Stimmzettel von Hand nachgezählt und beim Endergebnis berücksichtigt werden müssen. Diese Reaktion unterstreicht eine Tatsache von immenser Bedeutung: die Republikanische Partei ist zum Werkzeug ultrarechter Kräfte geworden, die bereit sind, ihre Ziele mit außerparlamentarischen und gewaltsamen Methoden zu erreichen.
Die Gerichtsentscheidung bestätigt lediglich den in der Verfassung festgelegten Grundsatz, dass alle Stimmen in fairer Weise berücksichtigt werden müssen. Aber Sprecher für George W. Bush und republikanerfreundliche Medien reagierten darauf mit Aufforderungen an die Legislative von Florida, sich dem Gericht zu widersetzen, und mit Appellen an das Militär, die einem verdeckten Aufruf zum Aufstand gleichkommen."
Der Artikel zitierte im Weiteren eine Kolumne des Wall Street Journal unter der Überschrift: "Der Krieg der Demokratischen Partei gegen das Militär". In der Sprache des Faschismus war darin die Rede vom "zuckenden Kadaver" der demokratischen Parteilinken, die aus "Lehrergewerkschaften, feministischen Aktivisten, Schwulen, die sich ungerecht behandelt fühlen, schwarzen Kirchen und Studentenclubs" bestehe.
Das WSWS zitierte weiterhin einen früheren Kommentar des Wall Street Journals, der unter der provokativen und drohenden Überschrift "Die zartbesaiteten Republikaner?" erschienen war. Das Journal hatte geschrieben: "Es gilt als Binsenweisheit, dass Gouverneur Bush, sollte er aus diesem Theater siegreich hervorgehen, ein schwacher Präsident sein wird. Vielleicht. Aber wir halten es für ebenso möglich, dass Standhaftigkeit gegenüber dem Angriff, der zur Zeit in Florida stattfindet, die beste Vorbereitung für das sein könnte, was kommen mag. Es liegt in Gouverneur Bushs Natur, Dinge mit Samthandschuhen anzufassen, aber er und seine Partei werden mehr Erfolg haben, wenn sie zeigen können, dass darin eine eiserne Faust steckt."
Das WSWS kommentierte diesen Absatz wie folgt: "Bezeichnenderweise trug das Editorial den Titel 'Die zartbesaiteten Republikaner?' Das Wall Street Journal wählt seine Worte sorgfältig, in diesem Fall einen Begriff, der eine Abneigung gegen Blutvergießen ausdrückt. Was die Herausgeber der Zeitung damit ausdrücken wollten, kann man nicht missverstehen: Ein republikanischer Präsident muss bereit sein, seine reaktionäre Sozialpolitik mittels Gewalt und Unterdrückung durchzusetzen. Die Eroberung des Weißen Hauses durch die Unterdrückung von Stimmen und die Missachtung des Volkswillens ist eine hervorragende Vorbereitung, um mit dem fertig zu werden, was kommen mag' - d. h. einer breiten Opposition in der Bevölkerung.
Es ist an der Zeit, den wirklichen Charakter der republikanischen Rechten nicht länger mit dem Begriff konservativ' zu verschleiern. Es handelt sich um faschistische Elemente, die mit den traditionellen Methoden der bürgerlichen Demokratie brechen.
Die Politik hat ihre eigene Logik. Sind einflussreiche Teile der herrschenden Elite einmal zum Schluss gelangt, dass sie ihre Ziele nicht mit demokratischen Mitteln erreichen können, und greifen zum Mittel der Verschwörung und Unterdrückung, befinden sie sich auf dem direkten Weg zum Bürgerkrieg.
Es geht hier nicht darum, die unmittelbare Errichtung einer Militärdiktatur zu prophezeien. Aber es wäre der Gipfel der Unvernunft, die deutlichen Anzeichen einer solchen Gefahr für die Zukunft zu übersehen. Wenn die republikanische Kampagne um das Weiße Haus immer stärker an die verdeckten Operationen erinnert, mit denen die CIA gegen die liberalen und linken Gegner des US-Imperialismus in Lateinamerika - z. B. in Chile - vorgegangen ist, so folgt daraus, dass eine Pinochet-Lösung eine ernsthaft erwogene Option darstellt."
Unsere Einschätzung der Wahlen des Jahrs 2000 ist von den Ereignissen der vergangenen vier Monate reichhaltig bestätigt worden. Vor einem Jahr sagte ich im Rahmen eines Vortrags hier in Sydney: "Die Wahlen des Jahres 2000 in den USA sind ein historischer Wendepunkt. Sie kennzeichnen einen unwiderruflichen Bruch mit den Formen und Traditionen der amerikanischen Demokratie... Die herrschende Elite [Amerikas] hat einen Kurs eingeschlagen, der zwangsläufig entweder zu einer faschistisch geprägten autoritären Herrschaft oder zur sozialen Revolution führen muss."
In jüngerer Zeit schrieben wir: "Künftige Generationen werden rückblickend die Wahlen des Jahres 2000 als den entscheidenden Wendepunkt erkennen, an dem die amerikanische herrschende Klasse den Weg zur Diktatur betrat. Sämtliche autoritären Neigungen, die seit dem 11. September so bedrohliche und konkrete Formen angenommen haben, zeigten sich bereits in den Methoden, mit denen Bushs Wahlkampfmanager und die Republikanische Partei die Wahlen zu einem Putsch nutzten...
Eine Regierung, die mit Hilfe von Betrug und Usurpation an die Macht gelangt, wird auch mit diesen Methoden herrschen. Es ist im objektiven Sinne eine Regierung der Provokation und des Zwangs ohne demokratisches Mandat oder verfassungsmäßige Legitimität. Da der Bush-Regierung jede breitere soziale Basis in der Öffentlichkeit fehlt und sie einer tiefen wirtschaftlichen und sozialen Krise gegenübersteht, greift sie zwangsläufig zu Unterdrückung und Gewalt, um sich gegen drohenden Widerstand von unten zu verteidigen."
Die Wahlen des Jahres 2000 zeigten, dass die Verteidigung demokratischer Rechte im politischen und wirtschaftlichen Establishment Amerikas nicht mehr viel gilt. Mächtige und politisch einflussreiche Teile der amerikanischen Elite haben sich von demokratischen Gepflogenheiten verabschiedet. Bei den liberal eingestellten Teilen des Establishments, die ihrerseits seit geraumer Zeit soziale Reformen oder eine Abschwächung der Einkommensunterschiede aus ihrem Programm gestrichen haben, herrscht eine Mischung von Feigheit und Gleichgültigkeit vor. Die halbherzige und versöhnungsbereite Reaktion der Demokraten auf die Fälschung des Wahlergebnisses haben endgültig bewiesen, dass sie eine Bewegung der Massen weitaus mehr fürchten als die faschistischen Methoden und Ziele der republikanischen Rechten. Die einzige gesellschaftliche Kraft, die demokratische Rechte verteidigen kann, ist die Arbeiterklasse.
Kriminalität, Korruption und Reaktion
Die Begriffe Korruption, Reaktion und Kriminalität fassen den Charakter der Bush-Regierung treffend zusammen. Natürlich sind diese Eigenschaften in der amerikanischen Politik oder bei amerikanischen Regierungen nichts Neues. Aber sie durchdringen die heutige Regierung so gründlich und in derart großem Ausmaß, dass sie sich von früheren Regierungen darin abhebt.
Ihr Führungspersonal besteht im Allgemeinen aus Militärs, Veteranen der Regierungen Reagan und Bush (senior), die ihren politischen Einfluss in der Wirtschaft in persönlichen Reichtum ummünzten, oder aus Ideologen der extremen Rechten mit Verbindungen zu christlichen Fundamentalisten, fanatischen Abtreibungsgegnern, Milizen und offen rassistischen und antisemitischen Organisationen.
Im Rahmen dieses Vortrags möchte ich mich auf bestimmte Aspekte von Bushs politischem Team konzentrieren. Da gibt es zum Einen die Fraktion der CIA-Terroristen. George W. Bush hat mehrere Schlüsselfiguren aus der Iran-Kontra-Krise der achtziger Jahre zurück in die Regierung geholt. Um das Gedächtnis meiner Zuhörer aufzufrischen: Als Iran-Kontra-Affäre bezeichnete man die von Reagan angeordnete geheime und illegale Operation, die Todesschwadronen der Kontras in Nicaragua mit Geldern zu finanzieren, die aus Waffenverkäufen an den Iran stammten. Oberstleutnant Oliver North leitete diesen schwunghaften Umschlag von einem Büro im Keller des Weißen Hauses aus. Das ganze Projekt verstieß gegen das Boland-Abkommen, mit dessen Verabschiedung der Kongress jegliche US-Unterstützung für die Kontras untersagt hatte. Norths Klüngel von CIA-Beamten, Militärs und lateinamerikanischen Killern stand in Verbindung mit Reagans nationalem Sicherheitschef, John Poindexter, der sich wiederum mit Reagan absprach. Es handelte sich um eine geheime Abteilung der Regierung, die in großem Maßstab rechtsgerichteten Terrorismus unterstützte.
George Bush der Ältere, damals Vizepräsident unter Reagan, war tief in diese schmutzige Operation verstrickt. Eine seiner letzten Amtshandlungen, bevor er 1992 sein Amt an Clinton abgeben musste, war die Begnadigung von Reagans Verteidigungsminister Caspar Weinberger im Hinblick auf Straftaten, die mit der Iran-Kontra-Affäre in Zusammenhang standen. Eine ebensolche Amnestie erteilte er Elliot Abrams, einem stellvertretenden Außenminister unter Reagan, der maßgeblich an den Verbrechen der Kontras beteiligt gewesen war. Abrams hatte den Kongress in seiner Anhörung dreist belogen und sich 1991 des Meineids schuldig bekannt. Letzten Juni berief Bush junior Abrams in den Nationalen Sicherheitsrat und übertrug ihm dort die Leitung des Fachressorts Demokratie, Menschenrechte und internationale Operationen.
Ein weiteres Beispiel ist John Negroponte, der nur eine Woche nach den Anschlägen vom 11. September stillschweigend zum US-Botschafter bei den Vereinten Nationen ernannt wurde. Als Botschafter in Honduras hatte Negroponte in den achtziger Jahren eine Schlüsselrolle bei der Belieferung und Beaufsichtigung der Kontras gespielt, die in Honduras stationiert waren. Während derselben Zeit ermordeten Todesschwadronen des honduranischen Militärs mit Unterstützung Washingtons Hunderte Gegner des Regimes, das von den USA gestützt wurde.
Abschließend sei noch Otto Reich genannt, ein aus Kuba stammender Castro-Gegner, den Bush letzte Woche - gegen den Widerstand einiger Kongressabgeordneter der Demokraten und während der Sitzungspause des Kongresses - zum neuen stellvertretenden Außenminister ernannte. Reich ist nun in diesem Amt für Angelegenheiten der westlichen Hemisphäre zuständig. Als Leiter der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit in Reagans Außenministerium war Reich als Chefpropagandist für die Iran-Kontra-Verschwörer tätig gewesen und hatte den amerikanischen Medien falsche Berichte zugespielt, um die US-Aggression gegen Nicaragua zu rechtfertigen. Anschließend wurde er zum US-Botschafter in Venezuela ernannt, wo er sich für Orlando Bosch einsetzte. Bosch, ebenfalls ein Auswanderer aus Kuba, war in Venezuela zu elf Jahren Haft verurteilt worden, weil er 1976 einen Bombenanschlag auf einen Flug der Air Cubana organisiert hatte, der 73 Menschenleben kostete. Ein Jahr nach Reichs Ankunft in Caracas wurde Bosch aus der Haft entlassen.
Allein die Ernennung dieser Männer zeigt, dass Bush, wenn er wirklich einen "Krieg gegen den Terrorismus" führen wollte, sich zunächst einmal seine eigene Regierung - und die seines Vaters - vornehmen müsste.
In der Carlyle-Gruppe - der milliardenschweren privaten Anlagefirma, in deren Führung George Bush senior, der ehemalige Außenminister James Baker und eine Reihe weiterer Führungspersönlichkeiten aus der britischen und amerikanischen Wirtschaft und Politik vereint sind - fließen Korruption und rechtsgerichteter Terrorismus in eins zusammen. Dieses undurchsichtige Unternehmen ist auf Investitionen in der Verteidigungs- und Luftfahrtindustrie spezialisiert. Es unterhält seit langem enge Beziehungen zu der Milliardärsfamilie bin Laden, auf deren Anwesen in Saudi Arabien sowohl Bush senior als auch Baker bereits zu Gast waren.
Der Vorsitzende der Carlyle-Gruppe ist Frank Carlucci, der unter Reagan die Posten des Verteidigungsministers und des nationalen Sicherheitsberater besetzt hatte. Wer den neuen Film "Lumumba" gesehen hat, erinnert sich vielleicht an die Szene des Treffens, auf dem Lumumbas Ermordung beschlossen wird. Anwesend war neben dem US-Botschafter und den höchsten Führern des Kongos ein Amerikaner namens Carlucci. Eben dieser Carlucci, der damals am Beginn seiner Karriere als Mitarbeiter des Außenministeriums stand, führt heute die Carlyle-Gruppe und trifft sich gern mit seinem guten Freund, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld.
Zum Schluss wäre noch die Enron-Connection zu nennen. Das Fiasko von Enron ist deshalb besonders wichtig, weil dieses Unternehmen und sein Führungspersonal eben die Gesellschaftsschichten in sich vereint, die in der Bush-Regierung vorherrschen und die Bush selbst exemplarisch verkörpert. Der Aufstieg und Fall von Enron ist geradezu eine Allegorie auf die Spekulationsblase, mit der die raffgierigsten, räuberischsten, parasitärsten, beschränktesten und kriminellsten Elemente aus den herrschenden Kreisen Amerikas an die Spitze von Wirtschaft und Politik getragen wurden.
Enron feierte unter seinem Vorsitzenden Kenneth Lay an der Wall Street Erfolge, indem es überhaupt nichts produzierte. Ein wichtiger Ausgabenposten der Firma war die systematische Bestechung von Politikern - beider Parteien - um die Deregulierung der Versorgungsbetriebe zu beschleunigen, sodass Enron bei den fieberhaften Käufen und Verkäufen der Strom- und Gasrechte als Mittelsmann und Market Maker auftreten konnte. In Lay und Enron konzentrierten sich die sozial destruktiven, verantwortungslosen und brutalen Einstellungen, die zum Markenzeichen der sogenannten "New Economy" und des Börsenbooms der neunziger Jahre wurden.
Bush und Enron sind ganz eng miteinander verwachsen. Kenneth Lay war der größte finanzielle Sponsor von Bush, was bereits in Texas begann und sich während Bushs Wahlkampagne für die Präsidentschaft fortsetzte. Ein Pressebericht machte kürzlich darauf aufmerksam, dass Bush während eines entscheidenden Meinungsumschwungs in Kalifornien, dem bevölkerungsreichsten Bundesstaat, im April 2000 unvermittelt sein Wahlkampfteam verließ, um gemeinsam mit seinem Kumpan Kenneth Lay der Eröffnung des Enron-Stadiums in Houston beizuwohnen, das, ein interessantes Detail, von Halliburton erbaut wurde, der großen Ölbaufirma, die damals von Dick Cheney geführt wurde.
Die sehr engen Verbindungen zwischen Angehörigen der Bush-Regierung und Enron sind zahlreich und mittlerweile recht gut dokumentiert. Nur einige Einzelheiten: Bushs wichtigster Wirtschaftsberater, Lawrence Lindsey, ist ein ehemaliger Berater Enrons, Justizminister John Ashcroft hat sich aus der jüngsten bundesstaatlichen Untersuchungskommission über Enron zurückgezogen, weil er während der - erfolglosen - Kampagne für seine Wiederwahl als Senator im Jahr 2000 rund 55.000 Dollar von Enron erhalten hatte, darunter 25.000 Dollar von Lay persönlich. Ein weiterer Berater des Präsidenten, Karl Rove, hat im Juni 2000 Enron-Anteile im Wert von mehr als 100.000 Dollar verkauft.
Noch einige Highlights aus Enrons kriminellen Machenschaften: Verluste und Verbindlichkeiten in dreistelliger Millionenhöhe wurden vor den Aktionären, Aufsichtsbehörden und der allgemeinen Öffentlichkeit verheimlicht, indem sie bei Dutzenden von "Partnerfirmen" verbucht wurden. 29 Mitglieder der Firmenleitung, unter ihnen auch Lay, verkauften von 1999 bis Mitte 2001 17,3 Millionen Anteile an Enron und sackten dafür 1,1 Milliarden Dollar ein; Enron-Mitarbeitern wurde unterdessen nicht gestattet, ihre Anteile am Alterssicherungsfonds von Enron zu veräußern, so dass die Rentenersparnisse von Tausenden Enron-Beschäftigten vernichtet wurden. Hunderttausende, wenn nicht Millionen weiterer Arbeitnehmer haben durch Enrons betrügerische Praktiken nahezu ihre gesamten Altersrücklagen verloren.
Unterdessen trafen sich Lay und andere Führungskräfte von Enron in geheimen Sitzungen mit Cheney und seiner Energiekommission, um das energiepolitische Programm der Bush-Regierung zu formulieren. Lay drängte Bush, das aus der Clinton-Regierung stammende Personal zu entlassen, und sorgte dafür, dass sein eigener handverlesener Mann, Pat Wood, zum Leiter der Bundesenergiekommission ernannt wurde. Zur selben Zeit war Enron maßgeblich daran beteiligt, die Preise für Elektrizität und Erdgas in Kalifornien in die Höhe zu treiben, was im vergangenen Frühjahr und Sommer für ständige Ausfälle sorgte, die entsprechende katastrophale wirtschaftliche und soziale Folgen hatten.
Die Bush-Regierung weigerte sich, einer Anordnung des General Accounting Office (einer Aufsichtsbehörde des Kongresses) entsprechend die Namen der Mitglieder von Cheneys Energiekommission zu veröffentlichen. Bushs oberster Wirtschaftsberater Lindsey bezeichnete den Enron-Bankrott kürzlich als "Tribut an den amerikanischen Kapitalismus". Finanzminister Paul O'Neill, der am Wochenende zugab, dass er vergangenen Herbst privat mit Lay über die schlechte finanzielle Verfassung des Unternehmens gesprochen hatte, ohne die Börsenaufsicht oder die Öffentlichkeit zu informieren, erklärte gegenüber "Fox News Sunday": "Unternehmen kommen und gehen. Das Geniale am Kapitalismus ist ja gerade, dass Menschen gute oder schlechte Entscheidungen treffen müssen, und dass sie für die Folgen gerade stehen müssen oder die Früchte ihrer Entscheidungen ernten können."
Eine letzte Anmerkung zu Enron: Die Geschäftspraktiken und die politischen Verbindungen dieser Firma lassen den internationalen Feldzug der USA für "unternehmerische Transparenz" und gegen "Günstlingswirtschaft" in einem ganz eigenen Licht erscheinen.
Es bleibt abzuwarten, inwieweit der Skandal im Zusammenhang mit der Enron-Pleite die Stabilität der Bush-Regierung erschüttern wird. Bisher haben sich die liberale Presse und die Demokraten zwar nach Kräften bemüht, Bush gegen die Folgen des Enron-Debakels abzuschirmen, doch diese Krise hat tiefe objektive Wurzeln, und möglicherweise wird die Regierung Bush auch durch die angestrengteste Zurückhaltung der loyalen Opposition nicht zu retten sein.
Wie dem auch sei, die Enron-Krise illustriert einen sehr wichtigen Aspekt der Ereignisse des 11. Septembers und ihrer Folgen. In dem Vortrag, den ich hier vor einem Jahr hielt [Die weltgeschichtliche Bedeutung der politischen Krise in den Vereinigten Staaten], versuchte ich aus einem historischen Blickwinkel aufzuzeigen, dass der Verfall der amerikanischen Demokratie, in dem die Wahlen des Jahres 2000 einen qualitativen Einschnitt kennzeichneten, nicht aus der Stärke des amerikanischen Kapitalismus herrührte, sondern aus seiner geschwächten Stellung auf Weltebene. Der Rückgang der wirtschaftlichen Vormachtstellung des US-Kapitalismus brachte in konzentrierter Form die zunehmende Krise und die wachsenden Widersprüche des kapitalistischen Weltsystems zum Ausdruck.
Was war die zentrale Aussage dieser Analyse? In der Periode seines Aufstiegs zur industriellen und finanziellen Großmacht im ersten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts und in der Periode seiner wirtschaftlichen Hegemonie, die in die ersten Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg fiel, begegnete der amerikanische Kapitalismus politischen und sozialen Krisen im Großen und Ganzen mit einer Ausweitung der Verfassungsrechte und mit einer Ausdehnung der politischen Demokratie. Natürlich kam es neben solchen Maßnahmen auch zu brutaler Repression und Gewalt, sobald die herrschende Klasse ihre Macht als unmittelbar bedroht empfand. Die formale Ausweitung demokratischer Rechte ging außerdem Hand in Hand mit ständigen brutalen Übergriffen der Polizei und mit schweren wirtschaftlichen Härten für Dutzende Millionen Amerikaner. Trotzdem hatten Reformen wie die Einführung des Frauenwahlrechts, die Wahl der Senatoren durch die Bevölkerung, die neuen Bürgerrechtsverordnungen der sechziger Jahre und die Herabsetzung des Wahlalters auf 18 Jahre einen progressiven, demokratischen Inhalt.
Dieser Trend kam in den siebziger Jahren zu einem abrupten Stillstand. Der Hintergrund war der Zusammenbruch des Bretton-Woods-Systems, die Aufhebung der Goldbindung des Dollars und die zunehmenden wirtschaftlichen Probleme, die der herrschenden Klasse in den folgenden Jahren praktisch von allen Seiten zusetzten. Je weiter die imperialistischen Rivalen in Europa und Asien in die amerikanischen Märkte - nicht nur im Ausland, sondern auch in den USA selbst - vordrangen, desto offener wurden in Amerika die demokratischen Rechte der amerikanischen Arbeiterklasse angegriffen. Diese Angriffe im Inland gingen einher mit einer raffgierigen Sozial- und Wirtschaftspolitik, mit der das Nationaleinkommen von den Massen auf die Eliten umverteilt wurde. So entstand eine neue wirtschaftliche Ungleichheit, und die gesellschaftlichen Grundlagen der bürgerlich-demokratischen Institutionen wurden unterhöhlt.
Diese Tendenzen brachten die wachsende Krise der bürgerlichen Herrschaft in Amerika zum Ausdruck. Meiner Ansicht nach hat diese Krise mit der Bush-Regierung eine bislang einmalige Intensität erreicht. Diese Einschätzung ergibt sich aus der Entwicklung dieser Regierung von ihrem Antritt bis zu den Ereignissen vom 11. September.
Ein Krisenregime
Innen- und Außenpolitik einer Regierung hängen untrennbar zusammen und bedingen sich gegenseitig. Im Rahmen dieser zusammenfassenden Analyse möchte ich beide Aspekte jedoch getrennt betrachten und mich zunächst den innenpolitischen Fragen und Ereignissen zuwenden.
Die ersten acht Monate der Bush-Regierung waren gänzlich von dem Zusammenbruch des aufgeblähten Aktienmarktes, von ersten Massenentlassungen und dem Einsetzen einer Rezession geprägt. Erschwerend kam hinzu, dass es sich um eine weltweite Rezession handelte. Zum ersten Mal seit Mitte der siebziger Jahre setzte in den USA, Europa und Japan - eigentlich in fast allen Teilen der Welt - gleichzeitig ein wirtschaftlicher Abschwung ein.
Der Einbruch der Aktienkurse vernichtete den Haushaltsüberschuss und strafte alle Behauptungen Lügen, mit denen Bush in seiner Ansprache zur Lage der Nation im Februar 2001 seine massiven Steuererleichterungen für die Reichen gerechtfertigt hatte. Ich weiß nicht, ob diese Rede auch in Australien gezeigt wurde. Bush wies jedenfalls mit einem Zeigestock auf eine Graphik, die zeigte, dass die Bundeskasse bis zum Rand gefüllt war und dass selbst bei riesigen Steuergeschenken an die Multimillionäre immer noch genügend Geld für die Sozialhilfe und das Gesundheitswesen vorhanden wäre. Kein Grund zur Besorgnis!
Doch im Frühsommer 2001 war von dem Überschuss schon fast nichts mehr übrig, und die Vertreter der Bush-Regierung mussten zugeben, dass sie ihr Versprechen, die Rücklagen für Sozialhilfezahlungen nicht anzutasten, nicht einhalten konnten. In Wirklichkeit griffen sie auf den Sozialhilfefonds zurück, um die Steuergeschenke an die Reichen zu finanzieren.
Das Ausmaß der Verluste an den Börsen und die Vernichtung von Papierwerten war nahezu unvorstellbar. Die Gesamtsumme der Verluste an den New Yorker Börsen belief sich auf rund 5 Billionen Dollar. Dies war die Hauptursache dafür, dass Einkommen und Vermögen der amerikanischen Verbraucherhaushalte im vergangenen Jahr zum ersten Mal seit Beginn der amtlichen Statistik im Jahr 1945 auch inflationsbereinigt zurückgingen.
Man gewinnt eine Vorstellung davon, in welchem Maße das Einkommen der Durchschnittsbevölkerung in den USA inzwischen von der Börse abhängt, wenn man weiß, dass Schätzungen zufolge mehr als 60 Prozent des Vermögens von Privathaushalten in den USA an der Börse untergebracht sind - diese Zahl stammt allerdings aus der Zeit vor dem Kursverfall. Die Kursverluste hatten verheerende Auswirkungen auf die Pensionsfonds, deren Einlagen zu drei Vierteln an der Börse investiert werden.
Verschlimmert werden die Verluste der Pensionsanlagen und der individuellen Investitionen durch die beispiellose Verschuldung der arbeitenden Bevölkerung. Die Verschuldung der privaten Haushalte in den USA hat sich seit 1990 auf 7,5 Billionen Dollar verdoppelt. Das sind mehr als 50.000 Dollar pro Haushalt bzw. mehr als 25.000 Dollar pro Mann, Frau oder Kind in Amerika.
Die Schulden der amerikanischen Durchschnittsfamilie übersteigen heute ihr Nettoeinkommen. Außerdem sind sie ungleichmäßig verteilt - nämlich genau entgegengesetzt der Einkommensverteilung. Die obersten 10 Prozent der Bevölkerung verfügen über mehr als 70 Prozent des Nationalvermögens, während die unteren 90 Prozent der Bevölkerung über weniger als 30 Prozent des nationalen Gesamtvermögens verfügen, dafür aber 70 Prozent der Verschuldung aller privaten Haushalte auf sich vereinen.
Auch die Unternehmensverschuldung ist höher als je zuvor. Während des Booms der neunziger Jahre nahm diese Verschuldung nicht ab, sondern wuchs eher noch, wie es für einen langen Aufschwung des Konjunkturzyklus typisch ist. In diesem Boom gaben die Unternehmen keine Aktien aus, um an Kapital zu kommen, weil sie fürchteten, auf diese Weise die Kurse zu senken und die Aktionäre zu verprellen. Statt dessen nahmen sie Kredite auf, um ihre eigenen Aktien zu kaufen und damit deren Preis zu treiben.
Auf die hereinbrechende Rezession reagierte die amerikanische Wirtschaft mit einer neuen Welle von Massenentlassungen. Ende 2001 waren innerhalb eines Jahres etwa zwei Millionen Arbeitsplätze vernichtet worden. Die Rücklagen für die Altersvorsorge schrumpften zusammen. Obdachlosigkeit und Hunger griffen rasch um sich. Die Illusionen breiter Bevölkerungsschichten über den kapitalistischen Markt zerschlugen sich, was für die Bush-Regierung und die herrschende Elite als Ganze nicht weniger bedeutsame Auswirkungen hatte als die materiellen Folgen der Krise.
Um die extremen sozialen Widersprüche zu verstehen, die in den Anfangsmonaten von Bushs Amtszeit durch die einsetzende Rezession verstärkt wurden, muss man sich bestimmte Aspekte des amerikanischen Lebens vor Augen führen. Der erste und wichtigste ist die Zunahme der sozialen Ungleichheit.
Aus einem Bericht, den die Haushaltsabteilung des Kongresses im vergangenen Jahr veröffentlichte, geht hervor, dass das Einkommen einer durchschnittlichen Familie in den USA von 41.400 Dollar im Jahr 1979 auf 45.100 Dollar im Jahr 1997 stieg. Das entspricht einem Anstieg von 9 Prozent innerhalb dieser 18 Jahre. Im selben Zeitraum stieg das Einkommen der Familien, die dem oberen einen Prozent der sozialen Pyramide angehören, von 420.000 Dollar auf 1,016 Millionen, ein Anstieg um 140 Prozent. Das Einkommen dieses obersten Prozents war 1979 zehn Mal so hoch wie das der Durchschnittsfamilie und 1997 bereits 23 Mal so hoch.
Eine weitere Begleiterscheinung desselben Trends sind die Managergehälter. Am 2. Mai des letzten Jahres veröffentlichten wir einen Artikel unter der Überschrift: "US-Top-Manager setzen ihre Bereicherungsorgie trotz sinkender Unternehmensgewinne fort". Darin hieß es:
"Die Spitzenkräfte von amerikanischen Großunternehmen haben im Jahr 2000 erhebliche Steigerungen ihres Gehalts, ihrer Zulagen und ihrer Aktienoptionen durchgesetzt, obwohl infolge des wirtschaftlichen Abschwungs die Aktienkurse sanken, die Zahl der Entlassungen zunahm und die Gewinne in den Keller sackten. Während der typische, nach Stunden bezahlte Arbeitnehmer im Jahr 2000 eine Entgelterhöhung von 3 Prozent verzeichnete, erhielt der Leiter eines Großunternehmens durchschnittlich eine Erhöhung von 22 Prozent... Die anhaltende Zunahme der Gehälter für Spitzenkräfte widerlegt die Argumentation, mit der in jüngster Zeit diese horrende Verschwendung gesellschaftlicher Mittel gerechtfertigt wurde - dass nämlich die übertriebenen Gehälter als Anreiz wirken würden, die Leistung des Unternehmens zu steigern. In vielen Fällen werden die Spitzenkräfte fürstlich entlohnt, während unter ihrer Regie der Wert ihrer Unternehmen an der Börse deutlich zurückgeht.
Ein Beispiel: William Esrey, CEO der amerikanischen Telefongesellschaft Sprint, erhielt letztes Jahr 53 Millionen Dollar in bar und in Aktien, obwohl der Wert des Unternehmens an der Börse um 70 Prozent sank. Dennis Kowalski von Tyco International sackte letztes Jahr 125 Millionen Dollar netto ein, während der Aktienkurs seines Unternehmens um 24 Prozent sank.... Aus einem Exklusivbericht der New York Times vom 1. April geht hervor, dass die Gehälter und Zulagen der Unternehmensführer zunahmen, während der typische Investor im vergangenen Jahr 12 Prozent seiner Anlagewerte einbüßte, wenn man vom Marktindex Wilshire ausgeht. Gleichzeitig stiegen die Gewinne der Unternehmen, die von Standard und Poor's erfasst werden, weniger als halb so schnell wie in den neunziger Jahren'."
Der Artikel nannte ein weiteres Beispiel für das Parasitentum und die Kriminalität, die sich in den Chefetagen der amerikanischen Konzerne ausbreiten: "Es wurde unter anderem auf das Beispiel des Finanzjongleurs David Rickey verwiesen. Er ist Geschäftsführer von Applied Micro Circuits. Als der Aktienkurs seines Unternehmens im Jahr 2000 rapide sank, verkaufte Rickey seine Anteile so schnell wie möglich. Von Juli 2000 bis März 2001 stieß er 800.000 Aktien ab, das entsprach 99 Prozent seiner Anteile. Dafür strich er etwa 170 Millionen Dollar ein. Gleichzeitig sanken die Aktienpreise von 100 auf nur 29 Dollar pro Stück. Unterdessen drängte Rickey unbedarfte Investoren zum Kauf. Was das Unternehmen angeht, so kommandiere ich die Leute herum‘, erklärte er gegenüber einem Interviewer des Fernsehsenders CNBC."
Dutzende Millionen abhängig Beschäftigter mussten zusehen, wie sich die Konzernelite inmitten von Massenentlassungen und wachsendem sozialem Elend ihrer Raffgier hingab. Dabei bekamen sie außerdem die Folgen der Zerstörung der sozialen Sicherungssysteme zu spüren, die während der vorangegangenen zwei Jahrzehnte demontiert worden waren. Um einen Eindruck von der Größenordnung der Kürzungen bei den staatlichen Sozialleistungen zu gewinnen, muss man wissen, dass nicht einmal jeder dritte Arbeitslose in den USA heute noch irgendeine Unterstützung erhält. Nur 18 Prozent der gering Entlohnten erhalten Unterstützung, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlieren, und nur 12 Prozent der Teilzeitbeschäftigten.
Die Rezession trieb nicht nur die Arbeitslosenrate in die Höhe, sondern brachte auch eine Realität ans Tageslicht, die während der ausgesprochen niedrigen offiziellen Arbeitslosigkeit während des Booms der neunziger Jahre im Verborgenen geblieben war: die enorme Zunahme der "working poor" - der Menschen, die arm sind, obwohl sie Arbeit haben. Die amtlichen Arbeitslosenzahlen verdecken eine ungeheure Zunahme der Teilzeitarbeit und des Einsatzes von vorübergehend, auf Tagesbasis oder in Scheinselbständigkeit Beschäftigten. Insgesamt macht diese Kategorie inzwischen mehr als 29 Prozent aller Arbeitnehmer in den USA aus, d. h. rund 34 Millionen.
Eine Studie kam zu dem Ergebnis, dass mehr als 70 Prozent der neuen Arbeitsverhältnisse, die in den neunziger Jahren geschaffen wurden, so gering entlohnt wurden, dass man nicht davon leben konnte.
Verschärfend kommt die Befristung von Sozialleistungen auf fünf Jahre hinzu. Die ersten fünf Jahre seit Verabschiedung dieser Regelung, die auf Clintons sogenannte Sozialreform zurückgehen, sind inzwischen verstrichen. Hunderttausende, wenn nicht Millionen Menschen stehen daher vor dem Nichts. Sie haben keine Aussicht auf einen Arbeitsplatz oder auf staatliche Unterstützung.
Als sich die wirtschaftliche Lage in den ersten Monaten nach Bushs Amtsantritt verschlechterte, wurde für jeden sichtbar, dass diese Regierung keine Lösung für die zunehmende soziale Krise hatte. Ihre einzige Innenpolitik bestand darin, immer neue Steuererleichterungen für die Reichen zu verabschieden und die staatlichen Auflagen für die Großunternehmen immer weiter abzubauen - und dies ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als breite Schichten der Bevölkerung die Selbstheilungskräfte des Marktes, die in den vorigen zwei Jahrzehnten allenthalben gepredigt worden waren, als Betrug erkannten.
Die sich rasch vertiefende Wirtschaftskrise und die extrem schmale soziale Basis der Regierung - einer Regierung, die sich überdies durch die antidemokratischen Methoden ihrer Machtübernahme unbeliebt gemacht hatte - bildeten eine explosive Mischung, die sich früher oder später in sozialen und politischen Unruhen entladen musste, wie man sie seit den sechziger Jahren, oder sogar seit der Großen Depression der dreißiger Jahre nicht mehr erlebt hatte.
Die explosiven Implikationen der ökonomischen und politischen Krise kamen Mitte April, weniger als drei Monate nach Bushs Regierungsübernahme, in der Anfangsphase der Rezession bereits offen zum Ausdruck. Drei Tage und drei Nächte lang wurde die Stadt Cincinnati (Ohio) von Unruhen erschüttert, nachdem ein Polizist einen schwarzen Jugendlichen getötet hatte. Das Kriegsrecht wurde verhängt und die Stadt von der Nationalgarde besetzt. Es waren die größten Unruhen in den USA seit den Erschütterungen in Los Angeles von 1992.
Zur gleichen Zeit steuerte eine Energieversorgungskrise in Kalifornien auf ihren Höhepunkt zu. Sie war ein Ergebnis der Deregulierung der Strom- und Gasmärkte. Energiehändler, allen voran Enron, hatten die Verbraucherpreise für Strom und Gas in die Höhe getrieben und damit ein Vermögen verdient, während die großen Versorgungsfirmen in den Bankrott getrieben wurden und die Verbraucher - industrielle wie private - über Nacht mit schwindelerregenden Preiserhöhungen und einer verschlechterten Versorgung konfrontiert waren. Kalifornien ist der bevölkerungsreichste Bundesstaat der USA. Wenn es ein eigener Nationalstaat wäre, dann würde seine Wirtschaft zu den zehn größten Volkswirtschaften der Welt zählen. Und nun kam es in diesem Bundesstaat zu ständigen Stromausfällen, die teilweise ganze Industrien stilllegten und Tausende Familien schädigten.
Die Reaktion der Bush-Regierung bestand darin, dass sie sich ebenso wie Enron gegen staatliche Preisbeschränkungen für Strom und Gas aussprach. Man schob die Schuld auf den Gouverneur von Kalifornien, einen Demokraten, der ein Deregulierungsprogramm umgesetzt habe, das den Energiespekulanten nicht hinreichend freie Hand gelassen habe.
Ende Mai trat der aus Vermont stammende James Jeffords, einer der letzten gemäßigten Republikaner im Senat, aus Protest gegen die extrem rechte Sozialpolitik der Bush-Regierung aus der Republikanischen Partei aus. Er erklärte sich zwar zum parteilosen Abgeordneten, doch das Ergebnis war dennoch, dass nun die Demokraten die Mehrheit im Oberhaus des Kongresses erhielten, wo zuvor eine Patt-Situation zwischen beiden Parteien geherrscht hatte.
Jeffords war seit langen Jahren Senator gewesen und genoss im politischen Establishment großes Ansehen. Sein Schritt war nicht von ausschließlich individueller Bedeutung, sondern widerspiegelte äußerst scharfe innen- und außenpolitische Meinungsverschiedenheiten innerhalb der herrschenden Kreise, die sowohl Bushs Innen- als auch seine Außenpolitik betrafen. Wie wir damals erklärten, versuchte Jeffords, der Bush-Regierung eine Kurskorrektur aufzuzwingen. Er wollte die Demokraten stärken, um Bush zu zügeln und um eine schwelende Krise einzugrenzen, die das Weiße Haus zu lähmen drohte.
Ein aufmerksamer Beobachter der Vorgänge in Washington, David Ignatius von der Washington Post, schrieb am 27. Mai: "Jeffords Fahnenflucht verwandelte die USA vorübergehend in eine parlamentarische Demokratie. Sein Verhalten entsprach einem Misstrauensvotum und zerstörte das konservative Mandat', das die Republikaner für sich beansprucht hatten - in Verkennung der Tatsache, dass ihr Kandidat bei den Wahlen im vergangenen November nicht die Mehrheit der Bevölkerung für sich gewonnen hatte."
Die Regierungskrise, die hinter den Kulissen schwelte, wurde im Juli sichtbar, als die New York Times in allen Einzelheiten berichtete, wie die Militärführung im November und Dezember 2000 mit Bushs Wahlkampftruppe zusammengearbeitet hatte, um den Wahlsieg in Florida widerrechtlich für sich zu reklamieren. Der Artikel zeigte auf, wie Vertreter der Armee auf dem Höhepunkt des Streits um die Stimmenauszählung in Florida Stimmzettel von Briefwählern aus dem Militär einsandten, die in Wirklichkeit erst nach dem Wahltag angekreuzt worden waren. Hunderte Stimmzettel von Militärangehörigen, die im Ausland stationiert waren, gingen in letzter Minute bei den Wahlbehörden in Florida ein, die wiederum auf ihre Einbeziehung in die Auszählung bestanden, obwohl sie keine Poststempel trugen und auch weitere gesetzlich vorgeschriebene Voraussetzungen nicht erfüllten.
Die in diesem Artikel genannten Tatsachen machten eine unschuldige Erklärung für das plötzliche Hereinströmen fehlerhafter Stimmzettel aus dem Ausland recht unwahrscheinlich. Es handelte sich eindeutig um eine illegale Machenschaft von Militärs, die versuchten, Bush weitere Stimmen zuzuschustern, um mögliche Zugewinne Gores infolge von Neuauszählungen in umstrittenen Bezirken auszugleichen.
Die Times vermerkte beflissen, dass nichts auf ein Fehlverhalten irgendwelcher Militärs hinweise - eine Behauptung, die den Fakten, wie sie in dem Bericht dargestellt waren, diametral entgegenstand. Dennoch unterstrich die Veröffentlichung dieses Artikels einen enorm wichtigen Sachverhalt: Sechs Monate nach ihrem offiziellen Amtsantritt war es der Regierung Bush noch nicht gelungen, die weit verbreiteten Zweifel an ihrer Legitimität zu zerstreuen. Der Wahlbetrug des Jahres 2000 belastete nicht nur das Weiße Haus unter Bush, sondern das gesamte bürgerliche Establishment mit einer schweren Hypothek.
Im August kam dann die Enron-Krise an die Öffentlichkeit. Der neu ernannte Geschäftsführer, Jeffrey Skilling, trat unvermittelt aus "persönlichen Gründen" zurück. Kurz darauf gab der texanische Senator Phil Gramm - ein rechter Republikaner, der seit vielen Jahren im Senat saß - seinen Verzicht auf eine erneute Kandidatur im Jahr 2002 bekannt. Seine Frau Wendy sitzt zufällig im Vorstand von Enron.
Diese Ereignisse wurden begleitet von einem offenen Konflikt zwischen dem Kongress und dem Weißen Haus unter Bush. Das General Accounting Office (GAO), ein parlamentarisches Kontrollorgan, forderte Vizepräsident Cheney auf, Informationen über inoffizielle Treffen seiner Energiekommission herauszugeben, die im Frühjahr stattgefunden hatten. Diese Kommission, die vom Weißen Haus unter Cheneys Führung einberufen worden war, hatte in einer politischen Erklärung eine raschere Deregulierung gefordert. Sie verlangte außerdem, große Naturschutzgebiete in Alaska und andere Gebiete in öffentlichem Besitz für die private Ausbeute durch Energiekonzerne freizugeben. Außerdem forderte sie einen Ausbau der Atomkraft und weitere Maßnahmen, für die sich die großen Öl- und Energieunternehmen seit langem einsetzten. Damals ging durch die Presse, dass Cheney und seine Mitarbeiter sich wiederholt mit den Chefs großer Ölkonzerne getroffen hatten. Auch mit dem Enron-Vorsitzenden Kenneth Lay waren sie zusammengekommen, um die Energiepolitik der Regierung auszuarbeiten.
Bush und Cheney weigerten sich, dem GAO irgendwelche Informationen über ihre geheimen Zusammenkünfte mit den Ölmagnaten zu übergeben.
Diese politischen Konflikte im Sommer 2001 fielen zeitlich mit einer zunehmenden Panik an den Aktienmärkten und mit einer regelrechten Explosion von Entlassungsplänen zusammen. Im August und Anfang September erreichten die wirtschaftlichen Schocks ihren Höhepunkt. Am Freitag, den 7. September, veröffentlichte das Arbeitsministerium die Arbeitslosenzahlen für August. Daraus ging hervor, dass die Arbeitslosenrate auf 4,9 Prozent gestiegen und die Zahl der Arbeitslosen innerhalb von nur einem Monat um mehr als eine halbe Million in die Höhe geschnellt war. Dieser Anstieg überstieg die Prognosen der Wirtschaftswissenschaftler aus den vorangegangenen Wochen um das Dreifache.
Der dramatische und unerwartet starke Anstieg der Arbeitslosigkeit sorgte für Nervosität an der Börse und führte am 7. September zu einem Einbruch um 250 Punkte. Die großen Investoren reagierten in erster Linie auf die Aussicht eines Einbruch der Verbraucherausgaben, des einzigen Faktors, der bis dahin das Umschlagen des Abschwungs in noch weit Verheerenderes verhindert hatte.
Sowohl auf der internationalen als auch auf der innenpolitischen Bühne geriet die Regierung Bush in den ersten Monaten immer tiefer in eine Krise, die von internen Streitigkeiten und politischer Konzeptionslosigkeit geprägt war. Wenige Wochen nach seiner Amtseinführung im Januar 2001 steckte Bush in einer erbitterten Konfrontation mit China, die in einen militärischen Konflikt zu eskalieren drohte.
Es handelte sich um die seltsame Affäre um das US-amerikanische Spionageflugzeug, das in China nach einem Zusammenstoß zur Landung gezwungen worden war. Ihr Hintergrund war das laute Säbelrasseln der neuen Regierung, die nicht gezögert hatte, sofort die Beziehungen zu China zu vergiften: Sie nahm eine provokative Haltung gegenüber Nordkorea ein, bekräftigte ihre Absicht, ein Raketenabwehrsystem zu installieren, und drohte, modernstes Kriegsgerät an Taiwan zu verkaufen. Bis heute hat man der Öffentlichkeit nicht erklärt, wie und weshalb ein amerikanisches Spionageflugzeug in chinesischem Luftraum mit einem chinesischen Kampfflugzeug zusammenstoßen konnte.
Die World Socialist Web Site zog in einem Kommentar vom 2. Juni 2001 Bilanz über die außenpolitischen Initiativen der Bush-Regierung. Anlass war der Austritt von Senator James Jeffords (Vermont) aus der Republikanischen Partei:
"Auf der weltpolitischen Ebene hat es die Bush-Regierung in den ersten hundert Tagen ihrer Amtszeit geschafft, gleichzeitig Russland, China, Japan, Europa und die arabische Welt vor den Kopf zu schlagen. Sie hat ihre Absicht zu erkennen gegeben, das ABM-Abkommen zur Rüstungsbegrenzung mit Russland einseitig aufzukündigen; sie hat mit US-Spionageflügen über dem südchinesischen Meer eine Konfrontation mit China ausgelöst und Clintons Versöhnungspolitik gegenüber Nordkorea unvermittelt rückgängig gemacht - ein Schlag sowohl gegen Japan als auch gegen Südkorea.
Im Nahen Osten ermutigte Bush Israel stillschweigend zu einer kriegerischen Haltung gegenüber dem palästinensischen Widerstand, sodass die Spannungen in der Region wieder auf das Niveau von 1967 oder 1973 gestiegen sind. In vielen arabischen Hauptstädten wird bereits offen von Krieg gesprochen.
In Europa hat die Bush-Regierung viel Unmut ausgelöst, indem sie dem Kyoto-Protokoll über die globale Erwärmung ihre Zustimmung verweigerte, indem sie amerikanische Armee- und Geheimdienstangehörige von der Rechtssprechung des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag ausschloss und indem sie andeutete, dass die US-Truppen eventuell aus Bosnien, dem Kosovo und anderen friedenserhaltenden Einsätzen abgezogen würden.
Wie rasch die USA dadurch international an Ansehen verloren, zeigte sich in der Abstimmung der Vereinten Nationen vom 3. Mai, mit der den USA ein Sitz in der Menschenrechtskommission der UN verweigert wurde. Die angeblichen Bündnispartner der USA Frankreich, Schweden und Österreich gewannen ausnahmslos mehr Stimmen, nachdem sie sich geweigert hatten, ihre eigenen Kandidaten zurückzuziehen. Gleichzeitig entwickeln sich immer mehr Handelsstreitigkeiten zwischen den USA und Europa, Japan und zahlreichen Ländern der Dritten Welt."
Ergänzend sollte man hinzufügen, dass Washingtons Politik gegenüber dem Irak in eine Sackgasse geführt hatte. Aufgrund der Opposition Russlands, Chinas und Frankreichs war es den USA nicht gelungen, im UN-Sicherheitsrat eine Mehrheit für die Ausweitung der Sanktionen gegenüber dem Irak zu gewinnen.
Der wichtigste Aspekt der amerikanischen Außenpolitik waren womöglich die Beziehungen zwischen den USA und Europa. Bushs kriegslüsterne und unilaterale Haltung - wonach internationale Abkommen, Gesetze oder Institutionen für die USA keine Rolle mehr spielen sollten - hatten die Spannungen zwischen Washington und seinen nominalen Bündnispartnern auf dem europäischen Kontinent auf das höchste Niveau seit dem Zweiten Weltkrieg gesteigert.
Als eine der zahlreichen Sollbruchstellen in den amerikanisch-europäischen Beziehungen, die sich aus ökonomischen und geopolitischen Spannungsfeldern ergeben, könnte man den Fall von General Electric und Honeywell anführen. Im Frühjahr 2001 untersagte die EU die Fusion der beiden Unternehmen, was in der amerikanischen Wirtschaft und Politik vielfach als empörende, unerhört dreiste Einmischung in innere Angelegenheiten der USA aufgefasst wurde.
Während sich der Zustand der internationalen Beziehungen bedenklich verschlechterte, sah sich die Bush-Regierung ebenso wie ihre Entsprechungen in ganz Europa einer wachsenden Protestbewegung gegenüber, die immer offener antikapitalistische Züge annahm. Ungeachtet ihrer formlosen, verworrenen und in einigen Aspekten sogar reaktionären Politik widerspiegelte die sogenannte Anti-Globalisierungsbewegung die wachsende Empörung breiter Schichten von Jugendlichen und Intellektuellen über die destruktive Politik der transnationalen Konzerne und ihrer Handlanger, der bürgerlichen Regierungen. Sie war die Vorwegnahme einer Bewegung, die aus sozialen und politischen Kämpfen der Arbeiterklasse bestehen wird.
Als im Juli 2001 in Genua der G8-Gipfel tagte, hatte sie das Ausmaß einer internationalen Protestbewegung erreicht, der die kapitalistischen Regierungen offenbar weder durch Entgegenkommen noch durch Unterdrückung Herr werden konnten. Die von Angst und Brutalität gekennzeichnete Reaktion der neu gewählten rechten Regierung unter Silvio Berlusconi auf die Proteste vor dem G8-Gipfel unterstrich die Isolation und Schwäche sämtlicher wichtigen bürgerlichen Regierungen, die sich ausnahmslos auf eine schmale soziale Basis stützen und durch eine tiefe Kluft von der breiten Masse der arbeitenden Bevölkerung getrennt sind.
Auch aus einem weiteren Grund war dieser Gipfel sehr bezeichnend: Er zeigte, dass zwischen den wichtigsten Nationen keinerlei Konsens mehr bestand. Während sich eine Rezession von weltweiten Ausmaßen entwickelte, konnten sich die versammelten Staatsoberhäupter nicht auf tragfähige gemeinsame Maßnahmen einigen. Es gelang ihnen nur mit knapper Not, die Gegensätze zu vertuschen, die ihre gegenseitigen Beziehungen vergiften: Gegensätze zwischen den USA und Europa, zwischen Großbritannien und dem europäischen Kontinent, zwischen den europäischen Kontinentalmächten selbst, zwischen den USA und Russland sowie zwischen den USA und Japan.
Vor Anbruch ihres neunten Regierungsmonats befand sich die Bush-Regierung in einer tiefen Krise. Sie war innerlich gespalten und stand den zunehmenden Problemen im Ausland ebenso ratlos und konzeptionslos gegenüber wie den drohenden sozialen Konflikten im Inland. Den letzten Rest an Stabilität raubte ihr der nun einsetzende Zusammenbruch des Spekulationsbooms an der Wall Street, auf den sich sowohl Bush persönlich als auch die Unternehmer, die hinter ihm standen, weitgehend gestützt hatten.
Dieser kurze Rückblick macht meiner Ansicht nach deutlich, weshalb die tragischen Ereignisse des 11. Septembers der Regierung Bush politisch äußerst gelegen kamen. Die Bevölkerung war schockiert, angespannt und verängstigt. Nun bot sich die Gelegenheit, unter dem Vorwand des "Kriegs gegen den Terrorismus" nicht nur neue Gebiete zu erobern und sich wichtige Ölvorkommen zu sichern, sondern - und das war vielleicht noch wichtiger - ein groß angelegtes Ablenkungsmanöver zu inszenieren, um die sozialen Gegensätze, die den amerikanischen Kapitalismus von Grund auf zerreißen, möglichst zu verkleistern.
Das WSWS richtete sein Augenmerk auf die Beziehung zwischen der Reaktion der offiziellen Politik und Medien auf den 11. September und der dahinter stehenden Krise der Bush-Regierung. Wenige Tage nach den Anschlägen schrieben wir in der Erklärung "Weshalb die Regierung Bush einen Krieg will" (14. September 2001, in deutscher Übersetzung am 16. September 2001):
"Ungeachtet aller Bekundungen von Trauer und Mitgefühl kamen die Angriffe auf das World Trade Center und das Pentagon der Bush-Regierung außerordentlich gelegen. Am frühen Morgen des 11. September stand Bush noch einer Regierung vor, die in einer tiefen Krise steckte. Er verdankte seine Macht der betrügerischen Manipulation von Wahlergebnissen; Millionen Menschen in den USA und weltweit sprachen seiner Regierung die Legitimation ab.
Angesichts der zunehmenden wirtschaftlichen Rezession in den USA und weltweit schwand die von vornherein sehr schmale Unterstützerbasis seiner Regierung weiter dahin. Sie hatte keine Antwort auf die wachsende Arbeitslosigkeit und die katastrophalen Verluste an den Börsen. Weitere Anlässe für Kritik waren, dass sich der Haushaltsüberschuss in Luft auflöste und Bush sein Versprechen, die Rücklagen für soziale Sicherungssysteme nicht anzutasten, rückgängig machen musste. Unter diesen Umständen war die Regierung von innerer Zerstrittenheit und Auflösungserscheinungen gekennzeichnet...
Doch nach dem Terroranschlag vom 11. September arbeitet die Bush-Regierung mit Hilfe einer ebenso zynischen wie ausgefeilten Medienkampagne daran, ein patriotisches Kriegsfieber zu schüren. Dies wird ihr ermöglichen, zumindest vorübergehend ihre unmittelbaren Probleme zu lösen, und zugleich die Voraussetzungen für tiefgreifende und dauerhafte Veränderungen sowohl an der äußeren als auch an der inneren Front schaffen."
Hinweise auf eine Provokation
Dies bringt uns zu den Ereignissen vom 11. September. Die Terroranschläge dieses Tages gehören zu den tragischsten Vorfällen der jüngsten Geschichte, werfen aber auch außerordentlich viele Fragen auf.
Es handelte sich um den grausamsten Terrorangriff auf die USA in der Geschichte des Landes. Er kostete mehr Menschenleben als jeder frühere gewalttätige Anschlag. Die amerikanische Regierung hatte nichts gegen den lange vorbereiteten Anschlag unternommen, es handelte sich um das schlimmste Versagen, das den amerikanischen Geheimdiensten je unterlaufen war. Und dennoch - das fällt jedem objektiven Beobachter sofort auf - hat es bis zum heutigen Tag keine offizielle Untersuchung gegeben.
Keine der zahlreichen Auffälligkeiten, keiner der ungeklärten Umstände im Zusammenhang mit den Anschlägen auf das World Trade Center und das Pentagon sind genauer untersucht worden, kein Regierungsorgan hat eine zusammenhängende Darstellung der Ereignisse und ihrer Ursachen präsentiert. Es wurde nicht erklärt, weshalb es den Behörden nicht gelungen war, die Anschläge zu verhindern, und welche Amtsträger verantwortlich waren.
Kein Angehöriger der Regierung oder Geheimdienste wurde zur Rechenschaft gezogen. Vielmehr nahm die Bush-Regierung die erstaunliche - und absurde - Position ein, dass jede gründliche Untersuchung der Ereignisse des 11. September von den Bemühungen ablenken würde, die amerikanische Bevölkerung vor künftigen Terroranschlägen zu schützen. Die Regierung ist bestrebt, die Bevölkerung in einer Art Fieberzustand der Angst und des Patriotismus zu halten, um die Öffentlichkeit zu benebeln und einen genaueren Blick auf die Ereignisse jenes Tages und der Zeit unmittelbar davor zu verhindern.
Dieses Ausweichen und Vertuschen - das die Medien bereitwillig mitmachen - ist an sich schon ein vernichtender Hinweis darauf, dass irgendwelche hochrangigen Leute etwas zu verbergen haben.
Der Kongress hat keine Anhörungen abgehalten. Vor zwei Monaten entschied der Senat, in dem die Demokraten die Mehrheit haben, entsprechende Pläne ad acta zu legen. Als Begründung wurde angeführt, man müsse Parteienzwist vermeiden und im Krieg gegen die al-Qaida und die Taliban zusammenstehen.
Es ist aufschlussreich, dieses Verhalten mit der Reaktion der US-Regierung auf den japanischen Angriff auf Pearl Harbor im Dezember 1941 zu vergleichen. Bereits am 16. Dezember 1941 waren die beiden befehlshabenden Offiziere in Pearl Harbor, Admiral E. Kimmel und Generalmajor Walter C. Short, ihrer Posten enthoben worden. Eine offizielle Untersuchungskommission unter dem Vorsitz des Obersten Richters Owen Roberts, die Präsident Roosevelt eingesetzt hatte, legte weniger als zwei Monate nach dem japanischen Angriff ihre Ergebnisse vor. Der 500 Seiten starke Bericht wurde vom US-Senat veröffentlicht. Die Untersuchungskommission sprach Tadel gegen Kimmel und Short aus, was ihre militärische Laufbahn beendete.
Roosevelt hatte seine eigenen politischen Beweggründe, rasche Maßnahmen gegen die für die Flotte verantwortlichen Militärs zu ergreifen. Teile des politischen Establishments, die für eine isolationistische Politik eintraten, streuten bereits das Gerücht, die Regierung habe den Angriff bewusst zugelassen, um den Kriegseintritt der USA gegen Japan und Deutschland zu rechtfertigen. Dennoch bleibt die Tatsache, dass sich die Regierung verpflichtet fühlte, der Öffentlichkeit gegenüber Rechenschaft abzulegen, und daher eine hochrangige Untersuchung in die Wege leitete, die ihre Ergebnisse innerhalb weniger Wochen veröffentlichte und für die Bestrafung der Verantwortlichen sorgte.
Während dies geleistet wurde, befanden sich die USA bereits im Krieg gegen das japanische Reich, die stärkste Militärmacht Asiens, und gegen Nazideutschland, das wirtschaftlich und militärisch stärkste Land in Europa. Darüber hinaus hatten sie infolge des japanischen Überraschungsschlags soeben einen gewaltigen militärischen Rückschlag erlitten. Dennoch hatte die Untersuchung des Verhaltens von Kimmel und Short die Kriegsanstrengungen der USA natürlich nicht im geringsten behindert.
Die Kräfte, die heute als Feind angeführt werden - Terroristenbanden, die von Höhlen in einer der rückständigsten und ärmsten Regionen der Welt aus operieren - dürfen wohl als weniger furchterregend gelten als die Achsenmächte im Zweiten Weltkrieg. Dennoch behauptet die heutige Regierung der USA, es sei unmöglich, die Ereignisse des 11. Septembers zu untersuchen, ohne die innere Einheit zu zerstören und die Kriegsführung zu beeinträchtigen.
Die Anomalien im Zusammenhang mit dem 11. September und die Ungereimtheiten hinsichtlich der offiziellen Darstellung, dass die US-Regierung im voraus überhaupt nichts erfahren und keinen Anlass zu der Annahme gehabt habe, dass ein solcher Anschlag vorbereitet werde, sind so zahlreich, dass man sie im Rahmen dieses Vortrags nicht im Einzelnen darlegen kann. Um nur auf einige der wichtigsten Punkte hinzuweisen, kann man als Erstes den Fall von Zacarias Moussaoui anführen, des Mannes, der angeblich als al-Qaida-Angehöriger an der Verschwörung der Flugzeugentführer beteiligt gewesen war.
Moussaoui hat vor dem 11. September mindestens zwei Flugschulen aufgesucht, eine davon in Minnesota, und dem dortigen Lehrpersonal erklärt, er wolle ein Linienflugzeug lenken lernen. Für Start oder Landung hatte er sich allerdings nicht besonders interessiert, sodass er verständlicherweise Verdacht erregte. Die Lehrkräfte wandten sich an das FBI und warnten es, dass möglicherweise ein entführtes Linienflugzug als Bombe verwendet werden sollte. Nach einigem Zögern informierte das örtliche FBI-Büro das nationale Hauptquartier des Geheimdienstes und verlangte dringend eine gründliche Untersuchung von Moussaoui. Aus bisher ungeklärten Gründen weigerte sich das Hauptquartier.
Moussaoui wurde im vergangenen August von den Einwanderungsbehörden festgenommen, weil ihm Verstöße gegen Visabestimmungen vorgeworfen wurden. Offenbar wurde er vor dem 11. September vom FBI kein einziges Mal verhört und auch nach dem Terroranschlag nicht an das FBI überstellt.
Aus einem Artikel, den die Zeitschrift NewsWeek kurz nach dem 11. September veröffentlichte, geht hervor, dass fünf der Entführer ihre Flugstunden in gesicherten Militäreinrichtungen der USA absolviert hatten. Diese Darstellung wurde bisher weder widerlegt noch erklärt.
Vor dem 11. September hatten die Regierungen mehrerer Länder - Ägypten, Frankreich, Russland und Israel - Washington vor einem großen Terroranschlag auf die USA gewarnt. Einige hatten sogar erwähnt, dass bei diesen Plänen Linienflugzeuge als bevorzugte Waffe galten.
Außerdem lagen Zeugenaussagen aus zwei früheren Terrorismusprozessen in den USA vor, die erkennen ließen, dass al-Qaida-Funktionäre an Plänen arbeiteten, Linienflugzeuge zu entführen und sie auf Regierungs- oder kommerziell genutzte Gebäude zu lenken. Während des Prozesses, der 1996 gegen die Angeklagten des Bombenanschlags auf das World Trade Center von 1993 stattfand, erklärte Abdul Hakim Murad, er sei dazu ausgebildet worden, einen Selbstmordanschlag auf das Hauptquartier der CIA in Langley (Virginia) zu verüben. Ähnliche Erkenntnisse ergaben sich aus einem Gerichtsprozess, der im Jahr 2001 in New York stattfand. Dabei ging es um die Bombenanschläge, die 1998 auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania verübt worden waren.
Obwohl die US-Regierung bereits seit einigen Jahren Osama bin Laden als den gefährlichsten Terroristenführer der Welt bezeichnete und mit Hilfe groß angelegter Geheimdienstoperationen seine Bewegungen und seine Kommunikation in allen Einzelheiten überwachen ließ, behaupteten Regierungsvertreter nach dem 11. September, sie hätten im voraus nichts über die geplanten Anschläge erfahren (was sie nicht daran hinderte, bereits wenige Stunden danach bin Laden zum Schuldigen zu erklären).
Und doch hat am Tag des Angriffs, am 11. September, der republikanische Senator Orin Hatch (Utah) vor den Mikrofonen der Fernsehjournalisten erklärt, er sei soeben von Geheimdienstmitarbeitern darüber informiert worden, dass die USA bin Ladens über Satellit geführte Telefongespräche entschlüsselt und mitgehört hätten, wie er und seine Verbündeten sich mit den erfolgreichen Terroranschlägen gebrüstet hätten. Damit stellt sich natürlich die Frage: Wenn die USA nach dem 11. September bin Ladens Gespräche abhören konnten, weshalb dann nicht vor dem 11. September? Am nächsten Tag rief Verteidigungsminister Donald Rumsfeld eine Pressekonferenz ein, auf der er Kongressabgeordnete rügte, die Geheimdienstinformationen an die Öffentlichkeit brächten. Dies, erklärte er mit Nachdruck, verstoße gegen das Gesetz.
Auch Mohammed Atta und andere mutmaßliche Attentäter sind von den USA genau überwacht worden. Es ist gut belegt, dass Atta, der vermeintliche Anführer der Verschwörer, in den Jahren 2000 und 2001 häufig zwischen Europa und den USA pendelte. Einmal wurde er bei der Einreise in die USA aufgrund eines Visafehlers festgehalten, doch Vertreter der amerikanischen Behörden griffen ein, um ihn ins Land zu lassen - und dies bei einer Person, die vom deutschen Geheimdienst als gefährlicher islamischer Fundamentalist identifiziert worden war, der in großen Mengen sprengstofftaugliche Chemikalien gekauft hatte.
Dann haben wir das seltsame Phänomen der Spekulationen mit bestimmten Aktien und Bundesschatzanweisungen in der Woche vor dem 11. September. Es kam zu einer ungewöhnlichen Welle von Leerverkäufen bei Aktien der Fluggesellschaften United Airlines und American Airlines, bei zahlreichen Tourismusunternehmen und bei einer Reihe von Firmen, deren Hauptsitz im World Trade Center lag.
Diese Verkäufe erfolgten ohne Deckung, d. h. man ging davon aus, dass der Kurs sinken wird. Zufällig oder weniger zufällig häuften sich die Leerverkäufe ausgerechnet bei denjenigen Unternehmen, die von den Anschlägen am härtesten getroffen werden sollten.
Daneben verzeichnete man ein ungewöhnlich starkes Interesse an US-Schatzanweisungen, die in Krisenzeiten als besonders lukrativ gelten.
Außerdem haben wir die Connection zwischen Bush und bin Laden. Ich sagte bereits, dass Bush senior das palastartige Anwesen der Familie bin Laden in Saudi Arabien besucht hatte. Das Unternehmen bin Laden war Kunde und großer Anteilseigner der Carlyle-Gruppe. Erst nach dem 11. September brach es diese Beziehung ab.
Bush, James Baker, Frank Carlucci und der bin-Laden-Clan - diese Leute kannten sich untereinander sehr gut. Unmittelbar nach dem 11. September wurden etwa zwei Dutzend Mitglieder der Familie bin Laden, die in den USA wohnten, mit Zustimmung des FBI außer Landes geflogen. Amerikaner arabischer Abstammung und muslimische Einwanderer wurden zu Hunderten aus nichtigen Anlässen in Haft genommen, um angeblich weitere Terroranschläge zu verhindern. Doch die Familienangehörigen des angeblichen Oberterroristen wurden außer Landes eskortiert, ohne auch nur verhört zu werden!
Eine weitere Anomalie, die ihrer Erklärung harrt, ist das eigenartige Reiseverhalten von Präsident Bush am 11. September. Weshalb kehrte er erst abends um 19 Uhr nach Washington zurück? Weshalb wurde er von einem gesicherten Militärstützpunkt zum nächsten gebracht?
Bushs deutliche Feigheit wurde von mehreren Seiten kritisiert. William Safire, der republikanische Kolumnist der New York Times, warf ihm am 12. September vor, dass seine Abwesenheit von Washington das falsche Signal an die amerikanische Öffentlichkeit und auch die übrige Welt gewesen sei.
An diesem Tag rief Carl Rove, Bushs politischer Berater, verschiedene Reporter an, um ihnen zu sagen, dass Bush deshalb von Washington ferngeblieben sei, weil eine Person, die offenbar über den geheimen Erkennungscode der Air Force One verfügte, per Telefon vor einem Terrorangriff auf das Präsidentenflugzeug gewarnt habe. Bushs Berater, so Roves Darstellung, hätten den Präsidenten daraufhin gedrängt, sich aufgrund dieser telefonischen Drohung von der Hauptstadt fernzuhalten.
Safire veranlasste diese Geschichte zu einer geharnischten Kolumne, in der er einige sehr interessante Fragen stellte. Woher hatten die Terroristen den Code der Air Force One? Befindet sich ein getarnter Terrorist im Weißen Haus?
Die World Socialist Web Site griff Safires Kolumne auf, um eine andere Interpretation vorzustellen. Wenn es, wie Rove sagte, tatsächlich einen solchen Anruf gegeben haben sollte, dann wäre er keine Drohung, sondern eine Warnung gewesen. Vielleicht war der mysteriöse Anrufer in diesem Fall ein US-Agent in den Reihen der Entführer.
Wie dem auch sei, das Weiße Haus vollzog zwei Wochen später, nachdem die Kontroverse über Bushs eigenartiges Verhalten am 11. September aus den Schlagzeilen verschwunden war, eine Kehrtwende und nahm die ganze Geschichte über eine telefonische Drohung gegen Air Force One stillschweigend zurück. Bushs seltsames Verhalten und die noch seltsamere Darstellung samt Dementi von Rove sind aber bis heute nicht erklärt.
Eine einleuchtende Erklärung für diese trüben Umstände wäre, dass Bush nicht nach Washington kam, weil er nicht wusste, wer in der Hauptstadt das Sagen hatte, und dass seine Berater einen Militärputsch für möglich hielten.
Sollte ein solches Szenario als paranoide Wahnvorstellung einer Verschwörungstheorie abgetan werden, möchte ich an Tatsachen erinnern, die im Zusammenhang mit den Anthrax-Anschlägen vom letzten Herbst bekannt geworden sind. Wie Ihr Euch vielleicht erinnert, wurden Anfang Oktober einige Briefumschläge, die Anthrax-Erreger erhielten, per Post verschickt. Einige gelangten nach Florida, und mehrere Menschen starben. Dann ging ein solcher Brief im Büro von Tom Daschle ein, dem Mehrheitsführer der Demokraten im Kongress, und ein weiterer bei Patrick Leahy, dem demokratischen Senator aus Vermont, der auch den Vorsitz des Justizausschusses des Senats innehat. Die Adressaten waren also zwei der ranghöchsten und prominentesten Demokraten im Kongress. Inzwischen wurde nachgewiesen, dass die Anthrax-Erreger so hoch konzentriert waren, dass die Berührung mit ihnen zum Tode geführt hätte, und dass sie aus einem amerikanischen Militärlabor stammten.
Anfangs zogen die Anthrax-Anschläge die konzentrierte Aufmerksamkeit der Medien auf sich. Die Nachrichtensender kümmerten sich kaum noch um den Krieg in Afghanistan und berichteten rund um die Uhr über die neue Gefahr, die als Bedrohung der gesamten Bevölkerung aufgefasst wurde. Den ganzen Tag ging es bei CNN, MSNBC und bei Fox News Network nur noch um Anthrax. Man versuchte mit aller Gewalt, die Anthrax-Briefe mit Osama bin Laden oder mit Saddam Hussein in Zusammenhang zu bringen. Das Wall Street Journal und die wütendsten Befürworter eines Krieges gegen den Irak im Militär und in der Bush-Regierung, deren Sprachrohr diese Zeitung darstellt, bemühten sich nach Kräften, die Anthrax-Hysterie in einen Grund für einen sofortigen Einmarsch im Irak zu verwandeln. Zu ihrem Leidwesen fand sich kein Hinweis auf eine Verbindung zwischen Bagdad und den gefährlichen Briefen.
Sobald feststand, dass die Quelle der Angriffe im Inland lag und dass die politische Orientierung der wichtigsten Opfer auf Urheber unter der faschistischen Rechten hinwies, verloren die Medien plötzlich das Interesse und ließen das Thema so rasch wieder fallen, wie sie es aufgegriffen hatten. Das Schweigen wurde regelrecht ohrenbetäubend, als in forensischen Untersuchungen festgestellt werden konnte, dass die Urheber der Angriffe auf Daschle und Leahy entweder direkt dem Militär entstammten oder sehr enge Verbindungen zu ihm hatten.
Extrem rechte Kräfte, die mit dem US-Militär in Zusammenhang standen, hatten einen Mordanschlag auf den Führer der Demokraten im Kongress verübt. Das war die Meldung, von der die amerikanischen Medien partout nichts wissen wollten. Und die Reaktion der Republikaner zeigte, worin das wichtigste Ziel der Anthrax-Angriffe bestanden hatte. Das Repräsentantenhaus, in dem die Republikaner die Mehrheit haben, vertagte sich auf unbestimmte Zeit und drängte den demokratisch kontrollierten Senat, sich ebenso zu verhalten. Das Repräsentantenhaus stellte auch tatsächlich seine Sitzungen ein, doch der Senat weigerte sich nach einigem Zögern, es ihm nachzutun.
Es wäre den Urhebern der Anthrax-Anschläge folglich um ein Haar gelungen, ihr Ziel zu erreichen - die Auflösung des Kongresses, in deren Gefolge die Bush-Regierung praktisch eine Diktatur des Präsidenten hätte errichten können. Die republikanische Rechte und das Militär hätten dann in noch höherem Maße freie Hand gehabt, ihre Kriegsziele im Ausland und ihre Angriffe auf demokratische Rechte im Inland weiter zu verfolgen.
Jede ernsthafte Untersuchung der Ereignisse des 11. September muss zu einer unbestreitbaren Schlussfolgerung führen: Die Darstellung der Regierung und ihrer Propagandaorgane, der Medien, ist die am wenigsten wahrscheinliche Version. Aus den befremdlichen und tragischen Begleitumständen der Terroranschläge muss man schließen, dass in den obersten Ebenen des amerikanischen Staates die Entscheidung getroffen wurde, gegen einen absehbaren großen Anschlag der Entführer nicht einzuschreiten.
Vielleicht haben die Verantwortlichen die Dimensionen des bevorstehenden Desasters nicht vorhergesehen. Sie hatten jedoch gute politische Gründe - in erster Linie die wachsende wirtschaftliche und soziale Krise in den USA und die ausweglose politische Lage der Bush-Regierung - einen Angriff zuzulassen, der die Bevölkerung traumatisieren sowie einen Vorwand für militärische Aggressionen nach außen und Unterdrückungsmaßnahmen im Innern abgeben würde. Tatsache bleibt: Die Schuldigen waren bekannt, sie wurden überwacht, und Polizei und Geheimdienste der USA verhinderten jedes Einschreiten, das sie hätte aufhalten können.
Die Bush-Regierung verkörpert in konzentrierter Form die Todeskrise des amerikanischen Kapitalismus, die sich gleichermaßen in den Bereichen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft niederschlägt. Ihre wichtigsten Merkmale - politische und ideologische Reaktion, Missachtung demokratischer Rechte, Chauvinismus und Militarismus, Kriminalität und Parasitentum - sind Wesenszüge einer politischen Elite, die sich in den Fängen vielfältiger Widersprüche verstrickt hat, die sie weder versteht noch lösen kann. Ihre einzig mögliche Reaktion besteht darin, die Menschheit in die Abgründe eines Atomkriegs oder der faschistischen Barbarei zu stoßen.
Man kann die Krise des amerikanischen politischen Systems allerdings nicht als rein national bedingtes Phänomen auffassen. Es handelt sich um den konzentrierten Ausdruck einer internationalen Krise. Jede bürgerliche Regierung auf der Welt zeigt mehr oder weniger ausgeprägt dieselben rückwärts gewandten Tendenzen. Ein besonders beunruhigender Aspekt der jüngsten Ereignisse ist die Bereitwilligkeit, mit der die kapitalistischen Regierungen auf jedem Kontinent nach dem Vorbild Washingtons zum Angriff auf demokratische Prinzipien und Traditionen ausholen. In den vergangenen Monaten haben Kanada, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien, Australien - um nur einige der betroffenen Industrienationen zu nennen - allesamt Gesetze verabschiedet oder Verordnungen in Kraft gesetzt, mit denen Bürgerrechte eingeschränkt und die polizeilichen Vollmachten des Staates erweitert wurden.
Das Tempo und die Bedenkenlosigkeit, mit der sich die Regierungen - ob sozialdemokratisch oder konservativ - langjähriger demokratischer Sicherungssysteme entledigen, und das Ausbleiben jeder nennenswerten Opposition von angeblich liberalen oder "linken" Vertretern des politischen Establishments und der Intelligenz sind ein Zeugnis für die weit fortgeschrittene Fäulnis der bürgerlich-demokratischen Institutionen auf der ganzen Welt. Diesem Verfall der bürgerlichen Demokratie liegt ein weiteres Phänomen des heutigen Kapitalismus zugrunde - die beispiellose Zunahme der sozialen Ungleichheit.
In allen genannten Ländern hat die soziale Spaltung zwischen den Klassen unerhört zugenommen. Die Zwischenschichten, die früher als Puffer zwischen den beiden Hauptklassen dienten, sind zusehends verkümmert. Mit der Polarisierung der Gesellschaft mussten unweigerlich auch die bürgerlich-demokratischen Herrschaftsmethoden versagen. Die traditionellen Parteien gingen immer weiter nach rechts und entfremdeten sich von den breiten Bevölkerungsschichten, die früher ihre soziale Basis gebildet hatten. Dabei verfielen sie zusehends. Immer mehr bürgerliche Regierungen rund um die Welt nehmen eine bonapartistische Form an, d. h. sie stützen sich immer direkter und offener auf die Polizei und das Militär.
Nicht nur die Regierung der USA macht sich offener Rechtsbrüche schuldig. Es genügt, zwei der engsten Verbündeten Bushs in der Weltpolitik anzusehen - die Regierung Scharon in Israel und die Regierung Berlusconi in Italien - um zu erkennen, dass die Regierungskriminalität ein allgemeiner Trend ist.
Soziale Ungleichheit, Angriffe auf die Demokratie, die Zunahme von Konflikten zwischen den Imperialisten, das Aufflammen des Militarismus - alle diese Merkmale des heutigen Kapitalismus zeigen, dass sich eine Krise von historischen Ausmaßen zusammenbraut. In vieler Hinsicht ähnelt die heutige Weltpolitik der unheilschwangeren Lage vor dem Ersten Weltkrieg.
Wie die größten Marxisten jener Zeit - in erster Linie Lenin, Luxemburg und Trotzki - damals erkannten, bedeutete der Ausbruch eines imperialistischen Krieges zwischen den Großmächten nicht nur eine Katastrophe für die Menschheit, sondern zeigte auch, dass die objektiven Voraussetzungen für die sozialistische Weltrevolution herangereift waren.
Wie Trotzki im Jahr 1915 unerhört glänzend und vorausschauend darlegte, entsprang der imperialistische Krieg dem Widerspruch zwischen der Weltwirtschaft und den unerträglich engen Grenzen des Nationalstaatensystems, an das der Kapitalismus gebunden war. Lenin erbrachte in seinem monumentalen Werk über den Imperialismus von 1916 den theoretischen Nachweis, dass der imperialistische Krieg, wenn man seine objektive historische Bedeutung wertete, den Anbruch einer Epoche von Kriegen und Revolutionen anzeigte. Auf dieser Grundlage traf er die politischen, theoretischen und organisatorischen Vorbereitungen auf die Revolution in Russland, die er als ein Glied in der Kette der sozialistischen Weltrevolution auffasste. Beide, sowohl Lenin als auch Trotzki, führten auf etwas unterschiedlichen Wegen den Zusammenbruch der Zweiten Internationalen und deren Verrat an der Arbeiterklasse auf die objektiven Bedingungen des imperialistischen Kapitalismus und auf die Krise des kapitalistischen Systems auf Weltebene zurück.
Die russische Revolution von 1917 war die praktische Bestätigung dieser großartigen und tiefgründigen historischen Perspektive. Ungeachtet des tragischen Schicksals der Sowjetunion war sie der historische Antipode zur kapitalistischen Barbarei und ein Zeichen der Hoffnung für künftige Generationen.
Wer die Welt heute mit denselben Augen sieht wie die Menschewiki vor nahezu neunzig Jahren, vermag nur den Triumph der Reaktion auf der ganzen Linie wahrzunehmen. Wir hingegen erkennen, dass erneut die objektiven Voraussetzungen entstehen, unter denen die sozialistische Arbeiterbewegung zu neuem Leben erstehen und eine neue Offensive der internationalen Arbeiterklasse einsetzen kann. Das Wachstum von Leserschaft und Einfluss der World Socialist Web Site ist ganz ohne Zweifel eine objektive Bestätigung dieser Perspektive. Wir sind überzeugt davon, dass die WSWS eine entscheidende Rolle spielt. Sie wird die Führung einer neuen, revolutionären internationalen Bewegung der Arbeiterklasse zusammenbringen und politisch ausbilden.
Siehe auch:
Die weltgeschichtliche Bedeutung der politischen Krise in den Vereinigten Staaten
( 16. Februar 2001)