Am vergangenen Wochenende wurde über die Medien bekannt, dass die Umstrukturierung des Siemens-Konzern mit einem weiterem massiven Stellanabbau verbunden ist. Mit einem Sparprogramm will Vorstandschef Peter Löscher allein bei den Vertriebs- und Verwaltungskosten pro Jahr 1,2 Milliarden Euro einsparen und weltweit über 17.200 Arbeitsplätze, davon 6.400 in Deutschland, abbauen.
Bereits in den vergangenen Jahren hat Siemens umfangreiche Sparmaßnahmen und Kürzungen durchgeführt. Gegenwärtig beträgt die Zahl der weltweit Beschäftigten noch 435.000, davon arbeiten etwa 130.000 in Deutschland. Seit 2003 wurden in den deutschen Niederlassungen und Werken bereits etwa 40.000 Arbeitsplätze gestrichen.
Wie mehrere Zeitungen am Wochenende mit Berufung auf Unternehmenskreise berichteten, sehen die Pläne mit dem Vermerk "streng vertraulich" einen der radikalsten Einschnitte in der 160-jährigen Konzerngeschichte vor. Die nach Beratungen von verschiedenen Gremien des Managements und der Arbeitnehmerseite durchgesickerten Details sehen vor, dass allein in der Verwaltung weltweit 12.500 Stellen wegfallen sollen.
Betroffen davon sind auch Tausende Führungskräfte des oberen und mittleren Managements sowie zahlreiche andere Jobs in Vertrieb und Verwaltung. In der Verkehrstechniksparte, die bei der Produktion von Zügen und Bahnen wiederholt die vom Vorstand festgelegten Gewinnziele verfehlte, sollen 2.000 von insgesamt 18.900 Stellen entfallen. Das betrifft mehr als jeden zehnten Arbeitsplatz in diesem Bereich. Auch die Schließung einzelner Konzernsparten wird nicht ausgeschlossen.
Laut einem Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 27. Juni 2008, in dem noch vom Wegfall von 15.000 Stellen ausgegangen worden war, heißt es, dass Siemens seine bislang 1.800 Konzerngesellschaften auf unter 1.000 reduzieren werde. Auf diesem Weg sollen Kosten beispielsweise im Rechnungswesen und in den Rechtsabteilungen eingespart werden. Einsparungen von 300 Millionen Euro erhofft man sich durch die Halbierung von externen Beraterverträgen. Weitere 300 Millionen Euro sollen im konzerninternen IT-Bereich eingespart werden, deren Beschäftigte bereits unter zahlreichen Einsparungen und Umstrukturierungen zu leiden hatten. Bisher 70 internationale Landesgesellschaften wurden bereits zu 20 "regionalen Clustern" zusammengelegt.
Von den Stellenstreichungen in der Verwaltung sind unter anderen in München 900, in Erlangen 1.330, in Nürnberg 540 und in Berlin 340 Arbeitsplätze betroffen. In Nordrhein-Westfalen sollen 600 Arbeitsplätze wegfallen. Entsprechend ihrer jeweiligen Größe trifft es auch die Verwaltung in den regionalen Niederlassungen.
Vertreter von IG Metall und Betriebsrat äußerten sich empört und beschwerten sich darüber, dass die konkreten Einsparpläne öffentlich bekannt geworden seien, bevor sie im Aufsichtsrat, dem Wirtschaftsausschuss und dem Konzernbetriebsrat abgesegnet wurden.
So sagte der IG Metall-Bezirksleiter von Bayern, Werner Neugebauer, gegenüber Nachfragen von dpa, es sei eine "hochgradige Zumutung", dass die Informationen über die Pläne an die Öffentlichkeit gekommen seien. Die bekannt gewordenen Zahlen über den geplanten Arbeitsplatzabbau wollte er nicht kommentieren. Er behauptete, dass weder ihm noch dem IG-Metall-Vorsitzenden Berthold Huber, der selbst Mitglied im Aufsichtsrat von Siemens ist, Informationen über das Ausmaß des Arbeitsplatzabbaus vorlägen.
Diese Behauptung ist wenig glaubhaft, nachdem IG Metall und Betriebsräte in den letzten Jahren sämtlichen Angriffen auf die Belegschaft zugestimmt haben: Einsparungen, dem Abbau von Arbeitsplätzen, schlechteren Arbeitsbedingungen, der Ausgliederungen und dem Verkauf von Abteilungen sowie Ergänzungstarifverträgen, die längere Arbeitszeiten und schlechtere Bezahlung zur Folge hatten.
Auch den Plänen für den radikalen Konzernumbau, den der Vorstand dem Aufsichtsrat im November letzten Jahres vorlegte und der mit den jetzt bekannt gewordenen Abbaumaßnahmen konsequent und rücksichtslos umgesetzt wird, haben die Vertreter von IG Metall und Betriebsrat im Aufsichtsrat ohne Ausnahme zugestimmt.
Sollten die Informationen über die genauen Auswirkungen dieser Pläne tatsächlich an Betriebsrat und Gewerkschaft vorbei an die Öffentlichkeit lanciert worden sein, dann würde dies nur bedeuten, dass die Konzernleitung von dieser Seite sowieso keinen ernsthaften Widerstand erwartet.
In einem auch der Presse vorliegenden Schreiben von Siemens-Chef Peter Löscher an die Mitarbeiter fordert er diese zur Unterstützung für die "umfassendste Umstrukturierung der vergangenen 20 Jahre" auf. Sie sei so wichtig, weil "auch die Risiken für die Weltwirtschaft durch hohe Rohstoff- und Energiepreise und die Finanzmarktkrise in den USA deutlich größer geworden sind und wir davon ausgehen müssen, dass wir dies auch bei uns in den kommenden Monaten zunehmend stärker spüren werden."
Löscher verteidigte seine Pläne und sein Vorgehen auch in einem Interview mit der Bild-Zeitung : "Ende letzter Woche haben wir zuerst den Gremien unsere Pläne gegeben. Einige darin enthaltene Angaben haben offenbar gleich danach die Öffentlichkeit erreicht." Während er die bekannt gewordenen Abbauzahlen nicht direkt bestätigte, verteidigte er aber seine Pläne und sagte: "Unser Geschäft wächst. Aber unsere Verwaltungen müssen schlanker werden. Wir fordern von der Führungsebene und der Verwaltung genau das ein, was für die Mitarbeiter in den Fabriken selbstverständlich ist: Produktivität und Effizienz." Das bedeute "weniger Verwaltungen, weniger Bürojobs", so Löscher.
Er schloss betriebsbedingte Kündigungen nicht grundsätzlich aus und sagte, dass er jetzt zügige Verhandlungen mit dem Betriebsrat anstrebe, um konkrete Abbaupläne zu erarbeiten.
Nach allen bisherigen Erfahrungen mit Arbeitsplatzabbau und Einsparmaßnahmen zu Lasten der Beschäftigten, werden sich Betriebsrat und IG Metall bei den Angriffen auf Arbeiter und Angestellte auch diesmal wieder in ihrer Rolle als Co-Manager bewähren. Es sei hier nur beispielhaft auf das Schicksal der ehemaligen Siemens-Beschäftigten bei BenQ, im ehemaligen Kommunikationsbereich oder bei Siemens-VDO verwiesen, von denen viele heute arbeitslos sind oder in den ausgegliederten oder verkauften Unternehmen unmittelbar von Arbeitslosigkeit bedroht sind.
Die geplanten Einsparungen im Bereich Mobility, die bereits erwähnt wurden, sind ein weiteres Beispiel für diese katastrophale Politik der Gewerkschaften. Gemäß einem Bericht in der Zeitung Die Welt soll die Hälfte der 2.000 Stellen, die dort auf der Streichliste stehen, in der Verwaltung wegfallen, die andere Hälfte vor allem in den Fabriken in europäischen "Hochlohnländern". Im Rahmen des Sanierungsprogramms sei auch die Schließung einzelner Standorte nicht ausgeschlossen.
Diesem Bericht zufolge sehen auch Betriebsräte in diesem Sanierungsprogramm die letzte Chance für diesen Bereich. Ihre Argumente unterscheiden sich nicht von denen der Manager. Nur durch Sparmaßnahmen könne die Rentabilität erhalten werden. Sollten die Renditeziele auch dann nicht erreicht werden, drohe der Verkauf oder die vollständige Schließung. Den neuesten Plänen zufolge soll nun auch die Konzerntochter Siemens Industry Montage Services (Sims) mit derzeit noch 1.300 Mitarbeitern an ein Mittelstandsunternehmen verkauft werden.
Das Wehklagen der Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre über unzureichende Informationen und mangelnde Zusammenarbeitet von Seiten des Konzernvorstands kann nicht darüber hinweg täuschen, dass gerade sie eine Schlüsselrolle dabei spielen, den Arbeitsplatzabbau und die Verschlechterung der Sozialstandards durchzusetzen. Die zehn Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat haben allen Sparmaßnahmen zugestimmt.
Auf einer Siemens-Betriebsrätekonferenz im vergangenen Jahr bezeichnete IG Metall-Chef Berthold Huber - selbst Siemens-Aufsichtsratsmitglied - die Betriebsräte als, "wichtigen, wenn nicht sogar wichtigsten stabilisierenden Faktor in den bekannten Turbulenzen, durch die Siemens steuern musste." Und Konzernchef Löscher lobte am vergangenen Freitagabend auf der "Deutschen Corporate Governance Konferenz" in Berlin das deutsche System der Mitbestimmung als "essenziellen Wettbewerbsvorteil".