„Hölle“, „Alptraum“, eine „biblische Katastrophe – Anwohner und Journalisten suchen nach Worten, um die Bilder zu beschreiben, die sich vor ihren Augen abspielen. Die Waldbrände im ganzen Mittelmeerraum wüten weiter, besonders in Griechenland, wo die Lage in den letzten Tagen völlig außer Kontrolle geraten ist.
Während die Solidarität und Opferbereitschaft riesig ist und Bewohner und Feuerwehrleute Tag und Nacht einen erbitterten Kampf gegen die Brände führen, wächst der Zorn auf die Untätigkeit der griechischen Regierung unter der rechten Nea Dimokratia (ND), die für dieses Verbrechen an Mensch und Natur verantwortlich ist. Auf Social Media fordern immer mehr Stimmen den Rücktritt der Regierung.
Eine gefährliche Hitzewelle von über 40 Grad und mehrere Feuerfronten haben das ganze Land erfasst. Die Brände in Attika nördlich Athens konnten vorerst eingedämmt werden, aber ließen ausgebrannte Häuserskelette, verkohlte Bäume und dystopische Landschaften in Schutt und Asche zurück. Mindestens 300 Häuser und 1.300 Strommasten sind abgebrannt. Ein 38-jähriger freiwilliger Feuerwehrmann wurde von einem Strommast erschlagen.
Zum jetzigen Zeitpunkt kämpfen die Einsatzkräfte weiter gegen die Feuer auf der südlichen Halbinsel Peleponnes, vor allem die Region um das antike Olympia und die Region Mani, wo 56 Häuser abgebrannt sind. Auch auf der Insel Zakynthos im Ionischen Meer brachen am Sonntag zwei Brände aus.
Am schlimmsten sind die Waldbrände aber auf Euböa, der zweitgrößten Insel Griechenlands mit 220.000 Einwohnern. Der Norden, eine idyllische Gegend mit duftenden Pinienwäldern, kleinen Bergdörfern und Strandbuchten, hat sich in ein Inferno verwandelt. Vor einer Woche brach ein erstes Feuer in der Ortschaft Limni aus, rasch breiteten sich die Brände über den Nordteil der Insel aus. „Wenn keine Hilfe geschickt wird, dann werden wir lebendig verbrennen. Von zwei Fronten kommt das Feuer, es gibt keinen Ausweg, nur das Meer. Wir sind Tausende Menschen. Wo sollen wir hin?“, fragte am Samstagabend eine Anwohnerin in Todesangst im Fernsehsender Open TV. Mehr als 2.000 Bewohner des Nordens wurden bislang evakuiert. Viele mussten aus ihren Dörfern in die Stadt Istiaia fliehen, wo etwa 10.000 Menschen ausharren und nur über das Meer evakuiert werden können.
Am Sonntagabend erreichten die Feuer das Dorf Pefki und umliegende Orte. 100-Meter hohe Flammen schießen in den Himmel, fressen sich durch das Gehölz und greifen auf die Häuser über. Da die Orte von der Feuersbrunst umzingelt sind, flohen die Menschen an den Strand. Inmitten einer roten, dichten Rauchwolke retteten sich dort 400 Anwohner auf eine Fähre. Bei den ersten Evakuierungen per Schiff mussten die traumatisierten Menschen sogar Tickets zahlen. Erst nach heftiger Entrüstung auf Social Media hat die Regierung die Reedereien angewiesen, kostenlos zu evakuieren.
Aufgebrachte Anwohner richten im Fernsehen wütende Appelle und verzweifelte Hilferufe an die Regierung. Litsa Efstathia, eine Anwohnerin aus Pefki, erklärte gegenüber Open TV, es habe überhaupt keine Vorsorge, klare Anweisungen oder Luftunterstützung gegen die Brände gegeben. „Wir haben hier kein Flugzeug gesehen. Heute ist der fünfte Tag. Nichts. Gibt es nicht ein Flugzeug, um die Brände zu löschen? Ganz Nordeuböa wird abbrennen. Die Anwohner versuchen sich selbst zu helfen und zu kämpfen. Hier sind alle außer sich vor Wut. Wir bitten, nein, wir fordern, dass Flugzeuge kommen!“
Weil Griechenland nach jahrzehntelanger Sparpolitik zu wenig Einsatzkräfte und Löschflugzeuge hat, ist die Feuerwehr mit den Feuerfronten in mehreren Landesteilen gleichzeitig überfordert. Ein großer Teil der Kräfte wurde am Donnerstag und Freitag gegen die Feuer eingesetzt, die die Hauptstadt bedrohten, so dass in Euböa nur wenige Löschflugzeuge zum Einsatz kamen und die Brände dort freie Bahn hatten.
Überall nehmen Bewohner die Sache selbst in die Hand und versuchen mit allen Mitteln ihre Ortschaften vor den Flammen zu schützen. Sie gehen mit bloßen Wassereimern bewaffnet gegen lodernde Waldstücke vor und verwandeln ihre Pkws in behelfsmäßige Feuerwehrwagen, um beim Löschen zu helfen.
Auch der Bürgermeister von Istiaia, der erst die Lage heruntergespielt hatte, ist jetzt außer sich vor Wut. Gegenüber Open TV warnte er am Sonntag: „Heute erwarten wir die völlige Brandvernichtung bei uns. Wir sind allein! Von der Feuerwehr erhalten wir nur lächerliche Evakuierungsempfehlungen. Die Dörfer brennen und werden von den Dorfbewohnern nur mit eigener Selbstaufopferung gerettet. Es müssen jetzt Löschmittel eingesetzt werden, damit unsere Region gerettet wird! Es ist eine Schande für die Nation, was hier passiert! Wir haben nicht eine einzige Front gelöscht.“
Während aus Ländern wie Frankreich, Ukraine, Zypern, Kroatien, Schweden oder Israel bereits Unterstützung für die griechischen Einsatzkräfte geschickt wurde, hat Deutschland erst mit einer Woche Verzögerung reagiert. Laut Innenministerium bereiteten sich am Samstag Einsatzkräfte des Technischen Hilfswerks und Feuerwehrleute aus Nordrhein-Westfalen und Hessen für die Abreise nach Griechenland vor.
Dass gerade die deutsche Regierung tatenlos zusieht, während Griechenland im Feuersturm steht, ist schockierend, aber nicht verwunderlich. Sie war es, die in den letzten zehn Jahren mit gnadenloser Brutalität die Spardiktate der Europäischen Union gegen die griechische Arbeiterklasse durchgesetzt hat.
Die systematische Vernachlässigung des Katastrophenschutzes und der Infrastruktur sowie die finanzielle Ausblutung der öffentlichen Kassen geht auf das Konto der griechischen ebenso wie der deutschen herrschenden Klasse. Für sie sind die Sorge für die Natur und die Rettung von Menschenleben nur ein lästiger Kostenpunkt, der ihren Profitinteressen zuwiderläuft.
Diese Politik wird von allen Parteien vertreten – ob ND, die sozialdemokratische Kinal (früher Pasok) oder die pseudolinke Syriza – und hat zu unzähligen vermeidbaren Brandkatastrophen geführt. 2007 standen Peloponnes, Attika und Euböa in Flammen. Bei dem höllischen Inferno im Badeort Mati 2018 während der Regierungszeit von Syriza starben über 100 Menschen.
Wo die Prioritäten liegen, zeigt auch der Haushalt für 2021. Der Wehretat steigt im Vergleich zum letzten Jahr um ein Drittel auf 5,5 Milliarden. Der gesamte Aufrüstungsplan der nächsten Jahre umfasst 11,5 Milliarden Euro. Außerdem pumpte die Regierung 30 Millionen zusätzlich in die Polizei, um die Universitäten zu kontrollieren. Große Geldmengen flossen auch an die regierungstreuen Medienunternehmen, die in den Händen griechischer Oligarchen liegen.
Im Gesundheitsbereich und beim Waldbrandschutz hingegen wird gespart. Von den 17,7 Millionen Euro, die die Forstämter in diesem Jahr für Brandschutzprojekte beantragt haben, hat die Regierung nur 1,7 Millionen Euro für ganz Griechenland bereitgestellt. Die Feuerwehr ist hoffnungslos unterbesetzt, auch wenn die Regierung sich jetzt damit brüstet, das Personal sei seit 2018 um 15,6 Prozent gestiegen. Tatsächlich ist das in einem Land wie Griechenland, das jedes Jahr mit Bränden kämpft, ein Tropfen auf den heißen Stein.
Auch der Katastrophenschutz ist völlig unzureichend: Die Mittel sind 2021 zwar auf 616 Millionen Euro gestiegen (gegenüber 400 Millionen 2018), wie die Regierung prahlt. Aber dabei wird verschwiegen, dass der Katastrophenschutz auch für die Durchführung der Corona-Maßnahmen und die Kontaktverfolgung zuständig ist. Gleichzeitig zur Hitzewelle und Brandkatastrophe steigt in Griechenland mit täglich fast 3.000 Neuinfektionen die Corona-Verbreitung wieder dramatisch an.
Der griechische Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis versucht jetzt von der politischen Verantwortung seiner Regierung abzulenken, indem er auf die höhere Gewalt des Klimawandels verweist, der die Ausnahmebedingungen in Griechenland versucht habe. Aber Fakt ist: Es ist ihre kriminelle kapitalistische Politik – ebenso wie die der herrschenden Klasse weltweit – die sowohl die Umweltkrise verursacht als auch das Ausmaß und Leid der Katastrophenereignisse verschärft.
Die Feuerkatastrophe ist nicht auf Griechenland beschränkt, sondern betrifft weite Teile Südeuropas. In Italien verbreiten sich Feuer in Sizilien, Apulien und Kalabrien; auf dem Balkan sind Bulgarien, Albanien und Kosovo betroffen.
In der Türkei wüteten zehn Tage lang Waldbrände, die jetzt teilweise unter Kontrolle gebracht wurden. Allein in der Region Muğla sind bis zum 6. August über 60.000 Hektar abgebrannt. Fast 36.000 Menschen mussten evakuiert werden. Am Freitag protestierten Anwohner in Milas in der Provinz Muğla gegen den Forstminister Bekir Pakdemirli. Die Polizei nahm eine Frau fest, die rief: „Wo waren die staatlichen Hubschrauber? Die Häuser der Leute sind verbrannt. Schande über die Regierung! Die Regierung sollte zurücktreten!“
Ein weiterer Hotspot ist Russland. In vielen Regionen gilt der Ausnahmezustand. Besonders stark betroffen ist Jakutien im Nordosten des Landes. Beobachter bezeichnen die Waldbrände als die schlimmsten, die je registriert wurden. Insgesamt lodern nach Angaben der Behörden über 250 Feuer auf einer Fläche von mehr als drei Millionen Hektar. Mehrere Ortschaften mussten evakuiert werden. In der Stadt Sarow im Oblast Nischni Nowgorod droht eine noch größere Katastrophe: Dort bedrohen die Flammen das nationale Atomforschungszentrum.
Die Brandkatastrophe ist eine direkte Folge des vom kapitalistischen Profitsystem verursachten Klimawandels, der die Zukunft und das Leben von Millionen bedroht.
Am heutigen Montag stellt der Weltklimarat IPCC den ersten Teil eines Berichts vor, der davon ausgeht, dass die gegenwärtigen Hitzewellen und Waldbrände nur der Anfang sind. Der Mittelmeerraum mit rund 500 Millionen Einwohnern gelte als „Hotspot des Klimawandels“. Der IPCC prognostiziert einen schnelleren Anstieg der Temperaturen in dieser Region als im Rest der Welt, wie die Nachrichtenagentur AFP berichtete.
Bis zum Jahr 2050 könnten an den nördlich gelegenen Mittelmeerküsten demnach bis zu 93 Millionen Menschen zusätzlich von Hitzewellen bedroht werden, mit bis zu 20.000 hitzebedingten Todesopfern im Jahr. Die globale Erwärmung wird insgesamt zu mehr Extremereignissen führen: Dürre und Hitze einerseits – wie jetzt am Mittelmeer, Sturzregen und Flutkatastrophen andererseits – wie zuletzt in Deutschland, Belgien und China.