Starke Regenfälle führten Mitte Oktober zu verheerenden Überschwemmungen in ganz Griechenland. Gestützt auf die Anzahl der Notrufe schätzt die Feuerwehr, dass während des Unwetters „Ballos“ landesweit fast 2000 Häuser überflutet wurden, davon die meisten in der Region Attika und der Hauptstadt Athen.
Die Wassermassen verwandelten die Straßen in Flüsse, rissen Hunderte Autos mit und sorgten in mehreren Bezirken für Stromausfälle. Auch Gebiete der Insel Euböa waren betroffen, wo bereits im Sommer katastrophale Feuer gewütet hatten. Dort starb ein 70-jähriger Tierzüchter in den Fluten. Am letzten Wochenende kam es nach Regenfällen auf der Insel Korfu erneut zu Überschwemmungen, wo in mehreren Dörfern Häuser, Geschäfte und Felder überflutet wurden.
Trotz vorheriger Warnungen von Wissenschaftlern unternahm die Regierung nichts, um die Bevölkerung vor den Überschwemmungen zu schützen. Sie reagierte mit derselben kriminellen Fahrlässigkeit und Ignoranz wie bei der Pandemie und den Waldbränden. Die Folgen des Unwetters enthüllten erneut die eklatanten Mängel im Hochwasser- und Katastrophenschutz, die unsichere und enge Bebauung und die marode Infrastruktur in Griechenland – ein Ergebnis der jahrzehntelangen Sparpolitik.
Auf Social Media schockierten besonders Szenen aus dem Nordathener Bezirk Nea Philadelphia, wo sich Schüler über eine behelfsmäßige Brücke aus Schreibtischen und Stühlen aus ihrer überfluteten Schule retteten. Die Bilder erinnerten an Naturkatastrophen in Entwicklungsländern. „Willkommen im Mittelalter oder in Griechenland 2021“, kommentierte ein Twitter-User:
Viele Tweets stellten die Überflutung der Schule auch in Zusammenhang zu den jüngsten Angriffen der Regierung auf die öffentliche Bildung, gegen die wenige Tage vor dem Unwetter Zehntausende Lehrer und Schüler gestreikt hatten.
In dem betroffenen Schulkomplex sind eine Grundschule, ein Kindergarten, ein Gymnasium und ein Lyzeum untergebracht. Während die Schüler sich im Wesentlichen selbst halfen, rückte später die Feuerwehr an, um das Wasser abzupumpen. „Wir können unmöglich in unseren eigenen Schulen ertrinken!“, erklärte das Schülerkomitee von Nea Philadelphia in einem wütenden Proteststatement an die Regierung. Die Schüler des Lyzeums würden seit 10 Jahren in Containern unterrichtet.
„Sie tragen eine große Verantwortung! Sie, die Vorgängerregierungen und natürlich alle kommunalen Behörden bis heute. Sie haben über Jahre hinweg keine Maßnahmen ergriffen, weil unsere Sicherheit und Gesundheit Geld kosten. Die heutigen Bilder aus einer Schule, die nur wenige Kilometer vom Zentrum Athens entfernt ist, beweisen, dass dies keine zufälligen Ereignisse sind. Es sind die kriminellen Entscheidungen, die uns ungeschützt lassen.“
Am Montag nach dem Unwetter protestierten die Schüler zusammen mit der Elternvertretung vor dem lokalen Bürgeramt und forderten sofortige Maßnahmen und Finanzmittel, um die Schäden in der Schule zu beseitigen und sie künftig vor Flutkatastrophen und Erdbeben besser zu schützen.
Die Schüler verlangten auch die Rücknahme der angekündigten Zusammenlegung Hunderter Klassen im ganzen Land, die dazu führen wird, dass noch mehr Schüler in kleine, oft marode Klassenräume gepfercht werden. Damit steigt nicht nur die Corona-Ausbreitung, sondern auch die Gefährdung durch Überschwemmungen und Erdbeben, weil Rettungsmaßnahmen erschwert werden.
Wie Videos der Studierendenzeitung Foititikos Kosmos zeigen, lief auch in der Hochschule der Bildenden Künste Athen das Erdgeschoss mit Wasser voll, so dass sich Studierende aus dem überfluteten Gebäude retten mussten. In der Fakultät für Philosophie an der Nationalen und Kapodistrias Universität Athen begann während der Vorlesung der Regen durch die Decke zu tropfen. In der Universität Westattikas und der Universität Kreta kam es ebenfalls zu Überschwemmungen.
Ιn der nordgriechischen Stadt Thessaloniki brach eine Straße ein, so dass ein Bus mit 15 Ölarbeitern in ein Loch stürzte. Glücklicherweise blieben alle Passagiere unverletzt. Im Süden Athens, nahe dem Stavros-Niarchos-Park, retteten sich Dutzende Menschen selbst aus einem Bus, der in einer überfluteten Straßenunterführung steckengeblieben war und im Schlammwasser versank.
Die Katastrophe war völlig absehbar. Meteorologen und Wissenschaftler hatten vorausgesagt, dass es im Herbst zu starken Niederschlägen und Überflutungsgefahr kommen würde, die durch die heftigen Waldbrände während der Rekordhitze im Sommer noch verschärft werden.
„Bei Bränden wissen wir immer, dass es danach zu Überschwemmungen kommt. Das ist die Norm“, betont Nikos Belavilas, Professor an der Nationalen Technischen Universität Athen und Leiter des Labors für städtische Umwelt, gegenüber dem Fernsehsender Open TV. Es sei ein Glück gewesen, dass nicht so viel Regen auf die abgebrannten Gebiete gefallen ist. Sonst wären die Schäden noch größer.
Das jüngste Unwetter war aus Sicht der Experten von mittlerer Stärke – sie erwarten in naher Zukunft noch größere Erschütterungen, auf die Griechenland völlig unvorbereitet ist. Forscher warnen seit langem davor, dass sich mit dem Klimawandel auch Extremwetterereignisse häufen werden.
Dimitris Pirounakis, der Vorsitzende des griechischen Umweltbunds, erklärt im Interview mit der Nachrichtenwebsite News247: „Eine der Auswirkungen des Klimawandels in Griechenland besteht darin, dass wir in Zukunft mehr Dürreperioden haben werden, die aus langen regenlosen Zeiten resultieren. Aber wenn es regnet, wird die Intensität immer größer, was zu mehr Überschwemmungen führen wird.“
Vor allem in den abgebrannten Gebieten wie auf Nordeuböa sei die Gefahr hoch. „Würde es einen Wald geben, könnte dieser eine Menge Wasser davon abhalten, in die Städte zu fließen. Durch die Brände in den Wäldern sind die Städte nicht mehr vor Regenwasser geschützt. In Verbindung mit der Abholzung von Waldgebieten und der anarchischen und nicht nachhaltigen Bauweise in den Städten (Bebauung an Wasserläufen) kam es zu diesen Ergebnissen. Und das war erst der Anfang. Wenn nicht die notwendigen Maßnahmen zur Wiederherstellung und zur Vorsorge für Hochwasser ergriffen werden, wird es sehr große Probleme geben.“
Zugebaute und teils ausgetrocknete Flüsse wie der Kifissos in Athen, verstopfte Abflüsse und Kanalisationsschächte, mangelhafte Straßenreinigung und insgesamt die fehlende Infrastruktur für Regenwasser haben schnell dazu geführt, dass Schlammlawinen die Straßen fluten, so Pirounakis.
In den letzten Jahren und Jahrzehnten kam es immer wieder zu Flutkatastrophen in Griechenland, die aufgrund der Sparpolitik der Regierungen unter dem Diktat der Europäischen Union und des Internationalen Währungsfonds fatale Auswirkungen auf das Leben der Arbeiterklasse hatten. 2017, als die pseudolinke Partei Syriza (Koalition der Radikalen Linken) im Amt war, starben 23 Menschen bei Überschwemmungen in Mandra, einem Ort in Westattika.
Damals zeigte die WSWS auf, dass essentielle öffentliche Bereiche wie Stadtplanung und Hochwasserschutz systematisch ausgehöhlt wurden. Dazu zählten die Auflösung der Öffentlichen Gesellschaft für Stadtplanung und Wohnungsbau (DEPOS), die Lockerung von Bauvorschriften im Rahmen der Privatisierungspolitik ab 2011 und die Abschaffung der Organisationen für Regulierungsplanung und Umweltschutz in den Städten Athen, Thessaloniki und Ioannina 2014.
Auf die Folgen verweist auch Aris Kalantidis, Professor für Stadtplanung an der Manchester Metropolitan University, der gegenüber News247 erklärt, dass mit der Ersetzung der unabhängigen Regulierungsagentur in Athen durch eine ans Ministerium angegliederte und undurchsichtig agierende Behörde de facto keine Planung und Aufsicht mehr existiere.
Während die griechischen Politiker oft mit allgemeinen Worten auf den globalen Klimawandel wie ein reines Naturphänomen verweisen, um sich selbst aus der Verantwortung zu stehlen, macht in Wirklichkeit die rasant fortschreitende Zerstörung des Planeten sofortiges Handeln umso dringender.
Es müssen umgehend riesige finanzielle, technische und personelle Ressourcen in die öffentliche Infrastruktur, den Katastrophenschutz, die wissenschaftliche Forschung und den Kampf gegen den Klimawandel investiert werden. Familien, die von den Waldbränden und Überschwemmungen betroffen sind, brauchen umfassende Entschädigung und Unterstützung.
Doch die Umsetzung dieser Maßnahmen sind unvereinbar mit dem kapitalistischen Profitsystem und der Agenda seiner politischen Vertreter. Die herrschende Klasse in Griechenland und auf der ganzen Welt handelt im Interesse der Banken und Konzerne, pumpt Milliarden in die Militäraufrüstung und treibt Privatisierungen und Kürzungen in wichtigen öffentlichen Bereichen weiter voran.
Wer Waldbrände und Überschwemmungen verhindern und den Klimawandel stoppen will, braucht eine internationale, gesellschaftliche Antwort. Arbeiter und Jugendliche müssen sich in einer sozialistischen Bewegung zusammenschließen, die die Banken und Konzerne enteignet und unter die demokratische Kontrolle der Bevölkerung stellt. Die Enteignung der großen Vermögen und die Reorganisation der Wirtschaft auf der Grundlage eines wissenschaftlichen Plans ist die Voraussetzung für die Lösung der Klimakrise.