Im Vorfeld des internationalen Webinars gegen Krieg, das die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) am 10. Dezember ausrichten, sprachen IYSSE-Mitglieder in Leipzig mit Arbeitern und Jugendlichen über die Gefahr eines Atomkrieges. Im Rahmen des Webinars werden Sozialisten aus vielen Ländern und verschiedenen Kontinenten eine internationale Strategie diskutieren, um den heraufziehenden Weltkrieg abzuwenden und eine Massenbewegung in der Jugend aufzubauen, die sich auf die Arbeiterklasse stützt. Mitglieder und Unterstützer hängten hunderte Plakate in der Stadt auf.
Die Kampagne der IYSSE stieß auf große Resonanz. Eine US-amerikanische Studentin, die an der Handelshochschule Leipzig studiert, zeigt sich besonders besorgt darüber, dass sich der Krieg in der Ukraine zu einem schrankenlosen Krieg zwischen den Nato-Mächten und Russland ausweitet: „Mein Vater ist bei der US Army und wurde vor Kurzem in Polen stationiert, um polnische Truppen zu trainieren. Warum würden die USA Soldaten nach Polen schicken, wenn es dort nicht auch bald losginge?“
„Ich denke, dass dieses Webinar super sein wird, um den Krieg zu stoppen“, sagt Khalil, der zu uns auf Englisch spricht, vor der Bibliothek Albertina der Universität Leipzig. „Wir als Bevölkerung wollen keinen Krieg, nirgendwo auf der Welt. Aber die Menschen leiden unter dem nationalen Egoismus, wenn immer noch gesagt wird: ‚Das ist mein Land.‘ Das sollte nicht sein. Überall sieht man Doppelmoral: Krieg findet auch in Myanmar und Palästina statt, das kommt in den meisten Medien aber nicht vor.“
Vor der Fakultät für Sportwissenschaften Fakultät sprachen die IYSSE mit zwei jungen Studenten aus Indien, die ebenfalls sehr über die Kriegsentwicklung besorgt sind und am Webinar teilnehmen möchten. Einer von ihnen sagt: „Es ist eine globale Entwicklung und ein globales Problem. Überall wachsen die Spannungen. Wir kommen aus Indien, die Regierung rüstet auch wieder auf und bereitet sich auf einen Krieg gegen China vor.“
Ariana kommt aus Italien und studiert in Leipzig Psychologie. Sie fragt: „Wann hat ein Krieg jemals etwas Gutes hervorgebracht? Jedenfalls nie für uns, richtig? Ich habe das Gefühl, dass es keine gute Zeit ist, am Leben zu sein. Die extreme Rechte wird überall stärker, besonders in Italien...“ Darauf antworteten IYSSE-Mitglieder, dass die Bedingungen für die Machtübernahme der Arbeiterklasse günstiger denn je seien, da sie so zahlreich und vernetzt sei wie nie zuvor.
Paul studiert an der Uni Leipzig Amerikanistik und sagt: „Ich bin dafür, dass der Krieg sofort aufhört. Den Krieg gibt es, weil die Nato immer näher an das russische Staatsgebiet gerückt ist und der russische Apparat das irgendwann nicht mehr hinnehmen wollte. Das globale System ist von den USA dominiert. Es ist Imperialismus, wenn Staaten für ihre Nation auf Kosten anderer eine immer stärkere Position auf dem Weltmarkt haben wollen. Das ganze System beruht meiner Meinung nach auf Gewalt. Ich will, dass der Kapitalismus abtritt und will auch aktiv werden. Eine Massenbewegung hört sich gut an.“ Paul will sich eingehend mit den Prinzipien der IYSSE vertraut machen und am Webinar teilnehmen.
„Die Atomkriegsgefahr sehe ich schon seit Längerem“, sagt Anna, die an der Uni Leipzig Management natürlicher Ressourcen studiert. „Die Atomwaffen gibt es ja nicht ohne Grund. Es ist schon sehr gruselig.“ Anna kritisiert insbesondere die Aufrüstung des deutschen Militärs: „100 Milliarden Euro sind eine unfassbar große Summe, ich kann mir gar nicht vorstellen, wie viel Geld das ist. Es ist schlimm, dass bei Bildung und Gesundheit deswegen gespart wird. In der Nachbarstadt sind schon viele Professuren und ganze Studiengänge gestrichen worden.“
Mehrere Studierende kritisieren, dass sich der deutsche Kapitalismus am Krieg in der Ukraine bereichert und damit seine eigenen Großmachtpläne vorantreibt. „Die Waffenindustrie profitiert von dem Krieg“, sagt Isabelle, die ebenfalls am Webinar der IYSSE teilnehmen möchte. „Über die deutsche Aufrüstung bekommt man kaum etwas mit, das interessiert mich sehr. Woher kommt das Geld? Ich finde eure Aufklärungsarbeit sehr wichtig. Mega gut, dass ihr das macht.“
Geelke sagt: „Man könnte das Geld in so viele andere Dinge investieren, zum Beispiel in Bildung und Klimaschutzmaßnahmen.“ Ihre Freundin Finja fügt hinzu: „Ich versuche, optimistisch zu sein, aber es ist nicht leicht. Wenn einer mit dem Einsatz von Atombomben anfängt, haben wir ganz schnell einen Weltkrieg, der die ganze Menschheit vernichten würde. Die Mehrheit der Bevölkerung hat aber kein Interesse an einem Krieg.“ Svantje, eine dritte Studentin, bezeichnet die Aufrüstung der Bundeswehr im Vorbeigehen als „unverständlich und unmenschlich“.
Oleksandra kommt aus der Ukraine und studiert an der Leipziger Hochschule HTWK International Management. Als sie die Plakate der IYSSE sieht, kommt sie direkt auf unseren Büchertisch zu. „Es gibt russische Propaganda und es gibt ukrainische Propaganda“, stellt sie fest. „Ich glaube nicht, dass die ukrainische Bevölkerung die Nato insgesamt befürwortet oder dass sie die USA und deren Meinung unterstützen.“
Oleksandra berichtet, wie sich ihre Sicht auf den Krieg verändert hat: „Ich wohne gerade mit einer jungen Russin zusammen, sie kommt aus Moskau. Am Anfang habe ich viel Hass für Menschen empfunden. Aber wenn man alles reflektiert… Ich möchte sagen, dass der Kontakt zu dieser Russin mir sehr geholfen hat. Sowohl wir als auch die Menschen in Russland sind davon betroffen. Wirtschaftlich gesehen, leidet ganz Europa unter dem Krieg.“
„Meine Eltern sind im Gegensatz zu mir in der Sowjetunion aufgewachsen. Meine Mutter und meine Großeltern haben immer schöne Sachen über die Sowjetunion erzählt. Aber wir haben in der Schule nur Schlimmes darüber gehört – darüber, wie viele Menschen unter der Zwangskollektivierung und dem ‚Holodomor‘ gelitten haben, wie Minderheiten und andere Sprachen außer Russisch unterdrückt wurden. Da fragt man sich, ob alles so wahr ist, wie es uns in der Schule unterrichtet wurde?“
Seit dem ersten Golfkrieg 1990–1991 führen die Vereinigten Staaten ununterbrochen Krieg. Gestützt auf ein marxistisches Verständnis der Widersprüche des US- und des Weltimperialismus analysiert David North die Militärinterventionen und geopolitischen Krisen der letzten 30 Jahre.
Vertreter der IYSSE erklärten, dass die Oktoberrevolution einen enormen Fortschritt bedeutete. Sie schuf sozialistische Eigentumsverhältnisse und garantierte gerade die Rechte der nationalen Minderheiten. Die stalinistische Bürokratie habe diese Errungenschaften von einem nationalistischen Standpunkt aus angegriffen und schließlich den Kapitalismus restauriert. Das sei die reaktionäre Grundlage der heutigen Oligarchie.
Als die IYSSE-Vertreter die pro-kapitalistische Propaganda von einer neuen Epoche des „Friedens“ und der „Demokratie“ nach der Auflösung der Sowjetunion ansprechen, antwortet Oleksandra: „Ja, nach der Auflösung der Sowjetunion wurden Abkommen geschlossen, dass sich die Ukraine gegen Atomwaffen entscheidet und Russland sich verpflichtet, die Ukraine nie anzugreifen. Aber im Jahr 2014 hat die angebliche Mehrheit für Europa gestimmt, seitdem hat sich vieles geändert.“
„Ich denke nicht, dass Russland ‚das Böseste in der Welt‘ ist. Ich mag russische Kultur und habe nichts gegen russische Menschen. Ich war selbst nie in Russland, würde aber gerne einmal nach St. Petersburg oder nach Moskau gehen.“ Oleksandra verurteilt die heuchlerische Rhetorik des russischen Präsidenten Wladimir Putin, der den Sieg der Roten Armee über den Faschismus für nationalistische Politik missbrauche:
„Putins Regierung spielt mit dem Patriotismus in Russland und stellt sich als Sieger im Zweiten Weltkrieg dar. Sie sagen, die Ukraine sei voller Nazis. Natürlich gibt es solche Leute in der Ukraine, 100 Prozent. Auch im Zweiten Weltkrieg gab es eine Minderheit, die die Ukraine als unabhängiges Land gesehen haben und damals mit Hitler zusammengearbeitet haben. Hitler versprach, ihnen ein bisschen Macht zu geben. Bandera war ein Nazi. Aber wegen dieser Persönlichkeit sollte man nicht denken, dass alle Menschen in der Ukraine Nazis sind.“
Zu den rechtsextremen Milizen im ukrainischen Militär sagt Oleksandra: „Ich glaube der Grund, weshalb man sie braucht, ist um junge Leute zu überzeugen, andere Menschen zu töten.“ Zur Geschichte des ukrainischen Nationalismus fügt sie hinzu: „In der Schule habe ich über die Bandera-Leute gelernt, dass sie ‚für unser Land gekämpft‘ haben und die ‚schöne gute Idee der Unabhängigkeit‘ gehabt hätten. Aber ich denke mir: Die Ukraine war 30 Jahre lang unabhängig und was ist jetzt passiert? Der Krieg. Ist die Politik daran schuld? Der Krieg ist keine gute Perspektive ‚für das Land‘.“
„Das alles ist so gefährlich. Wir sollten zusammenarbeiten, zusammenhalten und uns entwickeln – nicht so, wie es gerade passiert. Es sollte nicht sein, dass alle Länder Abstand zu Russland nehmen und mit Russland nichts machen wollen. Auch russische Studenten sollen jetzt nicht mehr nach Europa gelassen werden. Aber wie sollen Leute ein Land verändern, wenn sie keine Möglichkeit bekommen, eine andere Perspektive zu sehen? Wie sollen wir aus unserer Umwelt etwas Schönes machen, wenn die Leute weiter Kriege führen? Ich glaube, man kann vieles verändern, wenn man miteinander redet. Ich interessiere mich sehr für das Thema und werde an eurer Veranstaltung teilnehmen.“
Am Nachmittag desselben Tages verteilten die IYSSE-Mitglieder am BMW-Werk in Leipzig ein Flugblatt, das auf großes Interesse stieß. Es zeigt auf, dass die Tarifeinigung der IG Metall mit den Arbeitgebern der Metall- und Elektroindustrie für Arbeiter immense Kaufkraftverluste bedeutet, die dazu dienen sollen, den Krieg zu finanzieren. Das Flugblatt fand reißenden Absatz.
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