Galeria Karstadt Kaufhof: Abwicklung auf Raten

„Unsicherheit und Wut“ – so haben die Verkäuferinnen und Verkäufer von Galeria Karstadt Kaufhof ihre Stimmung beschrieben, als es letzte Woche zu ersten Protestaktionen in Berlin, Mannheim, Heidelberg und anderswo kam. Die heute noch 17.000 Beschäftigten in 131 Filialen sollen erst im Januar erfahren, welche Entlassungen und Filialschließungen die jüngste Insolvenz für sie bereithält.

Galeria Kaufhof Alexanderplatz, Berlin [Photo by Christian Liebscher / wikimedia / CC BY-SA 3.0]

Gerade läuft das Weihnachtsgeschäft auf Hochtouren; Personal ist knapp und Überstunden häufig. Unmittelbar danach, im Januar, droht einem großen Teil der Verkäuferinnen und Verkäufer von Galeria Karstadt Kaufhof (GKK) zum „Dank“ die Entlassung, es sei denn, sie gehören zu dem Restbestand der Filialen, die als noch-profitträchtig eingestuft werden. Auch ihnen droht Umstrukturierung, weiterer Lohnverzicht und ein ungewisses Schicksal.

Die GKK-Beschäftigten kennen es längst: Seit Jahren verzichten sie auf Lohnbestandteile wie tarifgerechte Bezahlung, Urlaubs- und Weihnachtsgelder, um angeblich ihre Arbeitsplätze zu sichern. Dennoch haben viele Verkäuferinnen und Verkäufer, Logistiker und andere GKK-Mitarbeiter schon mindestens eine Filialschließung miterlebt. Seit Jahren üben sie Verzicht, um den Konzern am Leben zu erhalten. Einer jüngsten Verdi-Einschätzung zufolge verzichtet eine durchschnittliche Galeria-Verkäuferin im Jahr auf rund 5.500 Euro.

Dennoch erleben sie immer neue Pleiten, Filialschließungen und Insolvenzen, die letzte erst vor zwei Jahren, im April 2020. Seither sind nicht weniger als 40 Filialen mit über 3.000 Beschäftigten geschlossen worden; dies trotz zweimaliger staatlicher Unterstützung in Höhe von insgesamt 680 Millionen Euro aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF).

Schritt für Schritt wird der letzte große Warenhauskonzern Deutschlands abgewickelt. In den letzten sieben Jahren wurde die Hälfte der Belegschaft abgebaut. So waren bei der anfänglichen Übernahme durch den Immobilienspekulanten René Benko (45) und seine Signa-Holding noch doppelt so viele, nämlich etwa 35.000 Mitarbeitende, für Galeria Karstadt Kaufhof tätig.

Im Oktober 2022 hat der Konzern ein weiteres Mal Insolvenz angemeldet. René Benko und der deutsche Vorstandschef Miguel Müllenbach (der auch im Management der Signa Retail GmbH sitzt) planen, „mindestens ein Drittel der Filialen“ zu schließen, wie das Handelsblatt berichtet hat, „in Branchenkreisen ist sogar von mehr als der Hälfte die Rede“. Auch in der Zentrale in Essen soll die Hälfte aller Arbeitsplätze abgebaut werden, was fast tausend von insgesamt 1.900 Stellen gleichkommt.

Sich selbst und seinen Mitinvestoren und Spekulanten hat Eigentümer Benko in der Zwischenzeit einen großen Geldsegen verschafft. Nur ein halbes Jahr nach der letzten GKK-Insolvenz, Ende 2020, schüttete die Benko-eigene Signa Prime Selection AG eine Summe von 201 Millionen Euro an Dividenden aus, wie Bloomberg berichtete. Der Holding gehören unter anderem die Kaufhäuser „KaDeWe“ in Berlin, das „Goldene Quartier“ in Wien, das „Oberpollinger“ in München, das Alsterhaus in Hamburg, sowie Anteile am New Yorker Chrysler Building und dem Luxushotel Park Hyatt und vieles mehr.

Das Magazin Forbes schätzt das Privatvermögen René Benkos auf 5,4 Milliarden Dollar. Inzwischen wird gegen Benko einmal mehr wegen Korruption ermittelt, und er wird nun auch in Österreich der Beamtenbestechung angeklagt, nachdem er in einem ähnlichen Verfahren in Italien 2014 schon rechtskräftig verurteilt worden war. In Wien soll er einen hohen Beamten des Finanzministeriums bestochen haben, damit dieser in einem Steuerprüfverfahren im Sinne Benkos Einfluss nimmt.

Im Oktober hat das Management einen mit der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi abgeschlossenen Sanierungstarifvertrag einseitig aufgekündigt. Dieser sollte eine Standortgarantie und den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis Ende 2024 garantieren. Er war mit über 3.000 Entlassungen und 40 Filialschließungen erkauft.

Immer wieder haben die Gewerkschaftsbürokraten und Betriebsräte die Schließungspläne mit ausgearbeitet und den Widerstand der Beschäftigten dagegen ausverkauft und unterdrückt. Das ist auch jetzt ihre Rolle. Nach der einseitigen Kündigung des Vertrags beschwerte sich etwa Stefanie Nutzenberger, das Verdi-Vorstandsmitglied für Handel, darüber, dass sie nicht ausreichend in das „neue Zukunftskonzept“ einbezogen worden sei.

Im Ton eines schmollenden Kindes erklärte Nutzenberger dem Handelsblatt: „Wir akzeptieren nicht, dass das Management die eigenen Entscheidungen und Fehlentscheidungen völlig ausblendet, sich einen schlanken Fuß macht und Beschäftigte auf die Straße setzen will.“ Gleichzeitig laufen aber schon „intensive Gespräche über eine Nachfolgeregelung“ des Sanierungstarifvertrags, wie ein Sprecher des Managements bestätigt hat.

In Berlin haben der Senat und auch die Linkspartei keine Probleme, mit Benkos Signa-Holding eng zusammenzuarbeiten. Vor zwei Jahren hat Kultursenator Klaus Lederer (Die Linke), aktueller Spitzenkandidat der Partei im Wahlkampf, in seiner Eigenschaft als Bürgermeister einen so genannten „Letter of Intent“ mit Signa mitunterzeichnet, der dem Konzern grünes Licht für seine umstrittenen Immobilienprojekte erteilte. Gegenstand der Übereinkunft sind ein Umbau der Karstadt-Filiale am Hermannplatz, ein Hochhausneubau am Alexanderplatz und weitere Hochhauspläne für ein GKK-Areal am Kurfürstendamm.

Jetzt im Wahlkampf ist die Linkspartei bemüht, ihre Spuren etwas zu verwischen. So hat die Linksfraktion (natürlich ohne jede Konsequenz) im Senat einen Antrag gestellt, mit Hinweis auf die drohenden Entlassungen die Zusammenarbeit mit Benko einzustellen.

Die Abwicklung von Galeria Karstadt Kaufhof bedroht nicht nur Existenz und Leben des Verkaufspersonals, sondern auch die Versorgung ganzer Regionen. Denn längst nicht jede und jeder ist in der Lage, sich alles über den Online-Handel zu beschaffen. Die Verkäuferinnen, die letzte Woche vor der Galeria-Filiale am Mannheimer Paradeplatz demonstrierten, berichteten: „Die Kunden fragen uns: ‚Bleibt ihr hier?‘ – doch wir haben keine Antwort.“

Um ihre Löhne und Arbeitsplätze zu verteidigen, müssen sich die Galeria-Beschäftigten in unabhängigen Aktionskomitees organisieren. Diese würden die notwendigen Kampfmaßnahmen diskutieren und organisieren und die Verbindung zu Arbeitern und Beschäftigten in anderen Branchen herstellen, die mit ähnlichen Fragen konfrontiert sind: Massenentlassungen, Betriebsschließungen und ständige Angriffe auf Arbeitsbedingungen und Löhne.

Die Aktionskomitees bilden auch die Grundlage für die notwendige politische Offensive. Tatsächlich können Arbeiter ihre Interessen nicht durchsetzen, ohne dem Kartell aus Gewerkschaften, Regierung und Linkspartei entgegenzutreten und die kapitalistische Profitwirtschaft insgesamt in Frage zu stellen. Dafür müssen die Galeria-Beschäftigten die Unterstützung der ganzen Arbeiterklasse auf der Grundlage eines sozialistischen Programms mobilisieren.

Verdi Vertritt nicht die Interessen der Arbeiter, sondern die des Kapitals. Sie hat den Verkäuferinnen und Verkäufern immer neue sogenannte „Sanierungstarifverträge“ aufs Auge gedrückt. Die Mitarbeitenden haben es mit dem Verlust von tausenden Arbeitsplätzen und immer neuem Lohnverzicht bezahlt, während die Verdi-Funktionäre mit einträglichen Aufsichtsratsmandaten belohnt wurden.

Im GKK-Konzern hat die Gewerkschaft den Beschäftigten mehrmals einen neuen Milliardär als „weißen Retter“ verkauft: Erst Nicolas Berggruen und den Kanadier Richard Baker, schließlich René Benko. Sie haben den Konzern übernommen, die Gewinne abgeschöpft und die Kaufhäuser ihrem Schicksal überlassen. Die lukrativen Immobilien in bester Citylage wurden mit Gewinn vermarktet. Seither müssen die Warenhäuser ihre Verkaufsflächen zu immer höheren Preisen zurückmieten. Und während der Druck auf die Angestellten ständig steigt, überleben nur die exklusivsten und profitabelsten Luxusläden.

Auch jetzt ist ein neuer „weißer Ritter“ aufgetaucht, ein Vermögensverwalter namens Markus Schön. Ihm gehört der Onlinehandel Buero.de, der Ordner, Bleistifte und Hefte für Büros und Schulen vertreibt, und bei dem etwa 200 Angestellte beschäftigt sind. Außerdem vertreibt Schön einen Newsletter mit Börsenberichten und Tipps für die beste Geldanlage.

Über die Medien lässt Markus Schön verbreiten, er habe die Absicht, 47 Warenhäusern der GKK-Kette mit rund 5.500 Beschäftigten zu übernehmen. Sie sollen unter dem neuen Namen „Schön hier“ weitergeführt werden. Vollmundig verspricht Schön, er wolle „das volle Sortiment“ und alle Arbeitsplätze erhalten. „Wir halten die Mitarbeiter für einen, wenn nicht den größten Schatz des Unternehmens,“ wird er von der NZZ zitiert.

Daran darf gezweifelt werden. Laut dem Finanzportal Capital.de plant Schön, aus Galeria Karstadt Kaufhof eine Art deutsches Amazon zu machen. Wie es dort heißt, sollen „digitale und stationäre Vertriebswege zusammengeführt“ werden, um „Amazon und Ebay eine deutsche Alternative“ aufzuzeigen.

„Nehmt uns nicht unsre Arbeitsplätze!“ stand auf den selbstgemalten Schildern, die die Galeria-Beschäftigten bei der Kundgebung am Mannheimer Paradeplatz trugen. Von den Politikern fühlten sie sich im Stich gelassen, sagten sie dem Sender SWR. „Im Prinzip ist es wie bei den Pflegekräften“, so eine Verkäuferin, „was nützen uns gute Worte und Klatschen, wenn am Ende hier doch dicht gemacht wird.“

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