Zwei Zentralbanken, ein Ziel: Zinskrieg gegen die Arbeiterklasse

Die Bank of England (BoE) und Europäische Zentralbank (EZB) machten letzte Woche erneut deutlich, dass ihre „Inflationsbekämpfung“ in Wirklichkeit auf die Senkung der Reallöhne abzielt.

Beide haben eine Anhebung der Leitzinsen um 50 Basispunkte beschlossen und angekündigt, dass die Zinssteigerungen noch lange nicht zu Ende sind.

Christine Lagarde, die Präsidentin der EZB [AP Photo/Jean-François Badias]

Auf ihrer Pressekonferenz vom 15. Dezember erklärte EZB-Präsidentin Christine Lagarde, die Entscheidung beruhe auf „erheblich nach oben korrigierten Inflationsaussichten“. Die Bank rechne mit weiteren Zinserhöhungen. „Der EZB-Rat ist insbesondere der Auffassung, dass die Zinsen noch deutlich und in einem gleichmäßigen Tempo steigen müssen, um ein ausreichend restriktives Niveau zu erreichen, das eine zeitnahe Rückkehr der Inflation zum mittelfristigen 2%-Ziel gewährleistet“, sagte sie.

Zwar verzeichnete die Inflationsrate im November einen leichten Rückgang von 10,6 % auf 10 %, doch Lagarde erklärte, sie sei immer noch „deutlich zu hoch“ und werde den „Projektionen zufolge zu lange über dem Zielwert bleiben“.

Den Kernpunkt der Zentralbankentscheidung erläuterte sie mit den Worten, „starke Arbeitsmärkte und eine gewisse Aufholdynamik bei den Löhnen zum Ausgleich der gestiegenen Inflation dürften höhere Löhne stützen. Neu verfügbare Lohndaten und die jüngsten Tarifvereinbarungen deuten darauf hin, dass das Lohnwachstum anziehen könnte.“

Da diese Faktoren bestehen bleiben dürften, so Lagarde weiter, rechnen die Experten des Eurosystem in ihren Projektionen damit, „dass sich die Lohnzuwächse deutlich über den historischen Durchschnittswerten befinden und die Inflation über den gesamten Projektionszeitraum hinweg nach oben treiben“.

Der Vorwurf, Löhne wären der Preistreiber, trifft eindeutig nicht zu. Diese Behauptung ist leicht zu widerlegen, denn überall auf der Welt liegen die realen Lohn- und Gehaltserhöhungen weit unterhalb der Teuerungsrate.

Der Grund für die größten Preissteigerungen seit vier Jahrzehnten ist nicht etwa das Lohnniveau, sondern die Weigerung der kapitalistischen Regierungen, die Coronapandemie zu bekämpfen, was wiederum zu Engpässen in den Lieferketten führt. Hinzu kommen die Billionen von Dollar und Euro, die in das Finanzsystem gepumpt werden, die inflationären Konsequenzen des Nato-Kriegs gegen Russland in der Ukraine und die Profitgier der Konzerne, insbesondere im Lebensmittel- und Energiesektor.

Wie jede Lüge dient auch diese einem bestimmten Zweck. Sie soll rechtfertigen, dass die Lohnforderungen der Arbeiter mithilfe einer Verlangsamung der Konjunktur und steigender Arbeitslosigkeit abgewürgt werden. Beide Konsequenzen der Leitzinserhöhungen wurden von Lagarde vorhergesagt.

Überraschend klare Worte fand Lagarde zur weiteren Strategie der EZB. Höhere Löhne würden zwar die „verloren gegangene Kaufkraft“ zum Teil ausgleichen, im „Zuge der Konjunkturabschwächung jedoch dürften weniger neue Arbeitsplätze entstehen, und die Arbeitslosigkeit könnte in den kommenden Quartalen zunehmen“.

Als Antwort auf die Frage eines Journalisten unterstrich Lagarde energisch, dass die EZB die Zinssätze „deutlich“ anheben müsse. Die Zielsetzung der Zentralbank sei „auf lange Sicht“ ausgelegt.

Lagarde fuhr fort: „Es wird nicht ausreichen, einmal kurz zuzuschlagen, nur um dann sofort einen Rückzieher zu machen. Wir müssen den Weg konsequent beschreiten und [die Zinssätze] lange genug auf diesem restriktiven Niveau halten, damit wir am Ende sicher sind, dass die Teuerungsrate auch wirklich wieder unser anvisiertes Ziel erreicht.“

Frederik Ducrozet, Leiter der makroökonomischen Forschung bei Pictet Wealth Management, kommentierte die Stellungnahme der EZB gegenüber der Financial Times als „sehr, sehr strikt“.

Vítor Constâncio, ein ehemaliger EZB-Vizepräsident, war noch deutlicher und twitterte, es handele sich um eine „unverhältnismäßig aggressiv ausgerichtete Geldpolitik, die die kommende Rezession unnötig verschärfen wird“.

Die britische Zentralbank (Bank of England, BoE) beschloss gestern ebenfalls, ihre Leitzinssätze um 50 Basispunkte anzuheben. Zwar fiel die Anhebung im Vergleich zu der im November erfolgten Erhöhung um 75 Basispunkte niedriger aus, doch bedeutet dies keine Lockerung seitens der BoE, welche die Zinssätze bei jeder der letzten neun Sitzungen ihres geldpolitischen Ausschusses (Monetary Policy Committee, MPC) erhöht hat.

Das Votum des MPC fiel mit 6:3 Stimmen aus, wobei zwei Mitglieder gegen eine Zinserhöhung und ein Mitglied für eine Anhebung um 75 Basispunkte stimmten.

Der MPC prognostiziert eine konjunkturelle Verschlechterung mit der Begründung, dass der Haushaltskonsum nach wie vor „niedrig“ sei, die Wohnungsmarktbedingungen sich „verschlechtert“ hätten und die Umfragen zu den Investitionsvorhaben sich „ebenfalls weiter eingetrübt“ haben.

Das Hauptaugenmerk lag jedoch auf der Lohnentwicklung und der Arbeitsmarktsituation.

„Obwohl die Personalnachfrage allmählich abflaut, bleibt der Arbeitsmarkt weiterhin angespannt. Die Zahl der Stellenangebote ist zwar zurückgegangen, aber das Verhältnis von ‚unbesetzten Stellen zu Arbeitslosen‘ ist nach wie vor sehr hoch', hieß es.

Der MPC berichtete, dass die Löhne und Gehälter in der Privatwirtschaft in den drei Monaten bis Ende Oktober um 6,9 % gestiegen sind, wies aber darauf hin, dass selbst dieser Anstieg, der deutlich unter der derzeitigen Inflationsrate von über 10 % liegt, zu hoch sei, da er 0,5 Prozentpunkte über dem in seinem Bericht vom November prognostizierten Niveau liege.

Die Themen Löhne und Arbeitsmarkt standen im Mittelpunkt der Äußerungen von BoE-Gouverneur Andrew Bailey zur jüngsten Entscheidung. Er sagte, es gebe Anzeichen dafür, dass die Inflation nach einem Rekordhoch von 11 % im November allmählich rückläufig werde, aber es sei „noch ein weiter Weg“.

Bailey führte aus: „Wir erwarten, dass die Inflation voraussichtlich ab dem späteren Frühjahr schneller zurückgehen wird. Es besteht jedoch das Risiko, dass dies nicht so eintritt, da der Stellenmarkt und das Arbeitskräfteangebot in diesem Land so angespannt sind.“ In einem Schreiben an den britischen Premierminister Jeremy Hunt zur BoE-Entscheidung verwies er darauf, dass der Arbeitsmarkt nach wie vor unter Druck stehe und es „Anzeichen für einen inflationären Trend bei inländischen Preisen und Löhnen gibt, die auf eine dauerhafte Entwicklung hindeuten könnten“.

Diese Faktoren, so Bailey, rechtfertigen „eine weitere entschlossenere Vorgehensweise“. Diese Reaktion hat nichts mit der Senkung von Preisen an sich zu tun. Eine Erhöhung der Zinssätze wird nicht zu einer Senkung der Kosten für Lebensmittel, Energie oder andere wichtige Güter führen.

Das Hauptaugenmerk der BoE und anderer Zentralbanken liegt auf dem Preis der Arbeit – den Löhnen – die, obwohl sie immer weiter hinter die Inflationsrate zurückfallen, in realen Zahlen noch weiter gedrückt werden müssen.

Zentralbanken, die Interessenwahrer des Kapitals und der Konzernprofite, singen alle das gleiche Lied – die Arbeiterklasse soll für die sich verschärfende Krise der Weltwirtschaft bezahlen.

In Australien wurde berichtet, dass die Zahl der Beschäftigten in diesem Land im November um 64.000 gestiegen ist und damit doppelt so stark wie von Ökonomen erwartet. Diese Zahlen wurden allgemein mit der Erwartung kommentiert, dass auch die australische Zentralbank (Reserve Bank of Australia, RBA) bei ihrer nächsten Sitzung im Februar erneut die Zinsen anheben wird.

Der Chefvolkswirt des Finanzunternehmens KMPG, Brendan Rynne, erklärte, die Arbeitsmarktzahlen ließen darauf schließen, dass die gesamtwirtschaftliche Nachfrage hoch bleiben werde. „Dies wird sicherstellen, dass die RBA zu Beginn des Jahres 2023 ein scharfes Auge auf die Fortführung des geldpolitischen Kontraktionskurses haben wird“, sagte er.

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