Der ehemalige US-Präsident Donald Trump wurde in der vergangenen Woche in vier Punkten angeklagt und vor Gericht gestellt. Die Anklagepunkte stehen im Zusammenhang mit seinen Versuchen, das Ergebnis der Wahl 2020 zu kippen, die in dem Angriff eines Mobs auf das US-Kapitol am 6. Januar 2021 gipfelten.
Die Verfolgung, Verurteilung und Inhaftierung des ehemaligen Präsidenten wegen des Versuchs, die Verfassung zu stürzen und eine Diktatur zu errichten, ist völlig gerechtfertigt. Aber selbst wenn Trump ins Gefängnis gehen sollte, anstatt 2024 ins Weiße Haus zurückzukehren, wäre die wachsende Gefahr faschistischer Gewalt, eines Weltkriegs und autoritärer Herrschaft damit nicht gebannt.
Diese Gefahren ergeben sich nicht aus dem gestörten Ego des milliardenschweren Immobilienbetrügers, sondern aus den unlösbaren historischen Widersprüchen des amerikanischen und weltweiten Kapitalismus.
Die führenden Medien versuchen, Selbstzufriedenheit über die Anklage gegen Trump – das dritte Strafverfahren gegen den ehemaligen Präsidenten – zu verbreiten und feiern sie als Beweis dafür, dass die politischen Institutionen des kapitalistischen Amerika seinen Ansturm überlebt haben.
Die New York Times, die den Ton vorgibt, schrieb am Mittwoch in einem Leitartikel, dass die Strafverfolgung von Trump „einmal mehr zeigt, dass der Rechtsstaat in Amerika für jeden gilt, selbst wenn der Angeklagte der höchste Politiker des Landes ist“.
Der Artikel endete: „Ein ehemaliger Präsident wird nun wegen schweren Amtsmissbrauchs angeklagt und wird schließlich von einer Jury verurteilt werden. Mr. Trump hat versucht, das Verfassungssystem und die Rechtsstaatlichkeit des Landes auszuhebeln. Dieses System hat seine Angriffe überlebt und wird ihn nun für diesen Schaden zur Rechenschaft ziehen.“
Es handelt sich um einen Versuch, die öffentliche Meinung mit einer Überdosis Illusionen auf niedrigsten Niveau über die amerikanische Demokratie zu betäuben, um sowohl den Klassencharakter der amerikanischen Regierung als auch die Verschärfung der sozialen, wirtschaftlichen und politischen Krise des amerikanischen Kapitalismus zu verschleiern.
Zunächst einmal ist der Ausgang des Gerichtsverfahrens gegen Trump trotz aller selbstgefälligen Häme keineswegs klar. MSNBC widmete eine ganze Podiumsdiskussion den Spekulationen darüber, welche Haftregelungen für Trump getroffen werden könnten, die nicht mit dem lebenslangen Schutz durch den Secret Service kollidieren würden, den alle Ex-Präsidenten genießen.
Trump bleibt Spitzenkandidat der Republikaner, und sollte er die Präsidentschaftswahlen gewinnen – was dank der bankrotten, reaktionären und militaristischen Politik der Biden-Regierung durchaus möglich ist –, würde er wieder ins Weiße Haus einziehen und erneut die Kontrolle über das Justizministerium und alle gegen ihn gerichteten Verfahren übernehmen.
Sollte Trump auf der Strecke bleiben, gibt es in der republikanischen Partei genügend Personen als Ersatz, die ebenso bösartig und antidemokratisch sind, wie er selbst. Sein führender Herausforderer, der Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, hat bereits einen Frontalangriff auf demokratische Rechte, die öffentliche Bildung und die Bemühungen zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie in seinem eigenen Staat begonnen. Am Mittwoch prahlte er damit, dass er, sollte er die Präsidentschaft gewinnen, „vom ersten Tag an Kehlen aufschlitzen“ würde. Dies war nicht nur eine Metapher, sondern eine grausame Drohung.
Auch eine Wiederwahl von Präsident Joe Biden würde keine Atempause von den anhaltenden Angriffen auf Arbeitsplätze, Lebensstandards und demokratische Rechte bieten. Biden gehört zu jener Fraktion der herrschenden Elite in den USA, die sich auf die Gewerkschaften stützt, um den Klassenkampf zu unterdrücken und ihre Angriffe auf die arbeitende Bevölkerung durchzusetzen. Dieses korporatistische Programm ist Teil der Bemühungen, die amerikanische Gesellschaft dem imperialistischen Kriegstreiben unterzuordnen, das sich derzeit auf den Stellvertreterkrieg gegen Russland in der Ukraine konzentriert. Gleichzeitig gehen die Vorbereitungen für einen Krieg gegen China um Taiwan, das Südchinesische Meer oder einem anderen Krisenherd weiter.
Die Art und Weise, wie die Anklage gegen Trump sowohl in der 45-seitigen Anklageschrift des Sonderermittlers als auch in den Medien dargestellt wird, kommt einer Vertuschung der wahren Gefahren gleich. Der Leitartikel der Times argumentiert in ähnlichen Worten wie die Anklageschrift, dass das „kriminelle Komplott“ am 14. November 2020 begann, „als Mr. Trump sich an Rudy Giuliani wandte (der von seinem Anwalt als ‚Mitverschwörer Nr. 1‘ bezeichnet wurde), um die Wahlergebnisse im Swing State Arizona anzufechten, den Mr. Trump verloren hatte.“
Dies ist eine Beschönigung sowohl Trumps als auch seiner mächtigsten „Mitverschwörern“, die in der Anklageschrift nicht erwähnt werden – führende Vertreter innerhalb des Komplexes aus Militär und Geheimdiensten, auf die sich Trump bei der Umsetzung seiner Pläne zur Errichtung eines diktatorischen Regimes stützte. Bereits im Oktober 2019 hatte Trump erklärt, er wolle jeder Wahlniederlage trotzen, und dies wurde im Sommer und Herbst des Wahlkampfs 2020 zu einem ständigen Paukenschlag. Sogar der demokratische Kandidat Biden gab im Juni 2020 nebenbei zu, dass seine größte Befürchtung sei, dass Trump sich weigern würde, das Wahlergebnis zu akzeptieren.
Im selben Monat unternahm Trump seinen ersten Vorstoß in Richtung Diktatur, als er vorschlug, das Aufstandsgesetz (Insurrection Act) von 1807 gegen die Massenproteste gegen Polizeigewalt anzuwenden, die nach dem Polizeimord an George Floyd in Minneapolis das Land erschütterten.
Ein weiterer Indikator für die Gefahr politischer Gewalt war die Verhaftung von 14 Faschisten im Oktober 2020. Diese hatten die Entführung und Ermordung der demokratischen Gouverneurin von Michigan, Gretchen Whitmer, geplant und ihr Ferienhaus überwacht, Bomben getestet und Fluchtrouten geplant. Die Gruppe entstand als Reaktion auf die von Trump geschürten Proteste gegen begrenzte Corona-Lockdowns Anfang des Jahres. (Er rief seine Anhänger dazu auf, Michigan von Whitmers angeblicher Tyrannei zu „befreien“.)
In den Wochen vor dem Wahltag, als die Umfragen auf einen Sieg Bidens hindeuteten, war klar, dass Trump seine Niederlage nicht akzeptieren würde. Die World Socialist Web Site veröffentlichte wiederholt Warnungen vor den Vorbereitungen auf einen Putsch nach den Wahlen. Am 24. September 2020 warnte die WSWS zum Beispiel:
Trump führt keinen Wahlkampf. Er betreibt ein Komplott zur Errichtung einer Präsidialdiktatur. Damit setzt er die Verschwörung fort, die am 1. Juni mit seiner Drohung begann, sich auf das Aufstandsgesetz zu berufen und das Militär gegen Proteste im Inland einzusetzen.
Die Skrupellosigkeit, mit der Trump und seine Mitverschwörer ihre Pläne umsetzen, steht in schreiendem Gegensatz zur Schwäche und Feigheit der Demokratischen Partei und ihres Präsidentschaftskandidaten Joe Biden. Während Trump durch eine auf ihn zugeschnittene Besetzung des Obersten Gerichtshof eine illegale Machtergreifung vorbereitet, erklären die Demokraten, dass man nichts tun könne, um die Einsetzung eines neuen Richters vor den Wahlen im November zu verhindern. (Trumps Staatsstreich, von David North und Joseph Kishore)
Während des gesamten Prozesses tat die Demokratische Partei, was sie konnte, um die Bedeutung der Ereignisse zu vertuschen – selbst dann noch, als führende Mitglieder der Partei, wie Whitmer, zur Zielscheibe von Attentaten wurden. Es wurden keine Anstrengungen unternommen, um die amerikanische Bevölkerung vor einem Staatsstreich zu warnen, geschweige denn die Opposition dagegen zu mobilisieren. Am Tag des Staatsstreichs sahen die Demokraten tatenlos zu, und Biden forderte sogar den Putschisten Donald Trump selbst auf, sich im nationalen Fernsehen an das Land zu wenden.
In den vergangenen zweieinhalb Jahren haben die Demokraten jede ernsthafte Anstrengung zur Aufdeckung der Ereignisse vom 6. Januar und der dahinter stehenden sozialen und politischen Kräfte vermieden. Die Hauptpriorität der Regierung unter Joe Biden bestand darin, mit jenen Kräften, die Biden stets als seine „Kollegen“ in der republikanischen Partei bezeichnet und die den Putschversuch unterstützten, eine überparteiliche Einigung auf der Grundlage von Krieg zu erzielen.
Biden selbst hat sich so wenig wie möglich zu dem Staatsstreich geäußert und auch die Anklage nicht erwähnt, seit sie erhoben wurde. Trump plant, seinen gesamten Wahlkampf zu einem Referendum über die gegen ihn erhobenen Vorwürfe zu machen, während Biden darum bemüht ist, dass das nicht zu einem Thema wird.
Die Times schrieb in einem am Donnerstag veröffentlichten Artikel: „Vertreter der Wahlkampagne von Biden und deren Verbündete glauben, dass sie sich auf Themen konzentrieren können, die einen direkteren Einfluss auf das Leben der Wähler haben – wirtschaftliche Fragen, Zugang zu Abtreibungen und extremes Wetter, – ohne ausdrücklich auf die Themen von Trump einzugehen.“
Das heißt, die Demokraten planen eine Kampagne, die auf ihren üblichen und fadenscheinigen Lügen basiert, während 'Mr. Trumps Themen', d. h. die enorme Krise der amerikanischen Demokratie, so weit wie möglich ignoriert werden sollen. Die wesentliche Ursache dafür ist, dass die Demokraten, die Teil der Wall Street und des Militär- und Geheimdienstapparats sind, um die Verteidigung des kapitalistischen Staates, die Fortsetzung des Krieges und die Unterdrückung der Opposition der Arbeiterklasse weit mehr besorgt sind als um das Anwachsen des Faschismus.
1929 schrieb Leo Trotzki über den Verfall der kapitalistischen Demokratie unter dem Eindruck der sich zuspitzenden Wirtschaftskrise und der stürmischen Klassenkämpfe:
In Analogie zur Elektrotechnik kann Demokratie definiert werden als ein System von Schaltern und Sicherungen gegen zu starke Ströme des nationalen oder sozialen Kampfes. Keine andere Epoche der Menschheitsgeschichte war auch im entferntesten Grade so voller Gegensätze wie die unsere. … Unter zu hoher Spannung der Klassen- und internationalen Widersprüche schmelzen oder explodieren die Schalter der Demokratie. Das ist das Wesen des Kurzschlusses der Diktatur.
Die Gefahr einer Diktatur geht nicht von der verkommenen Persönlichkeit Donald Trumps aus. Sie entsteht aus den die sozialen und Klassenspannungen, die die amerikanische Gesellschaft auseinanderreißen. Nur das Eingreifen der Arbeiterklasse auf der Grundlage eines revolutionären sozialistischen Programms kann eine Alternative bieten.
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