Am Mittwoch sprach sich das Studierendenparlament (StuPa) der Humboldt-Universität mit großer Mehrheit gegen die Wiedereinführung des Ordnungsrechts an den Berliner Universitäten aus. Der angenommene Antrag stellt fest, dass der Gesetzentwurf des Berliner Senats „in der Tradition von Exmatrikulationen politisch unliebsamer Studierender steht“ und darauf abzielt, „legitime demokratische Protestkultur an den Universitäten“ zu kriminalisieren. Das StuPa bestärke daher den RefRat (gesetzlich AStA), „gegen die Wiedereinführung des Ordnungsrechts zu agitieren“.
Die International Youth and Students for Social Equality (IYSSE) haben das Ordnungsrecht als Versuch bezeichnet, die Universitäten gleichzuschalten und das Prinzip der Gesinnungsjustiz wieder einzuführen. Vor einer Woche hatten in Berlin rund 500 Studierende gegen die Exmatrikulationsklausel demonstriert. Dass nun auch das StuPa der HU diesen Angriff zurückgewiesen und damit das Recht von Studierenden verteidigt hat, gegen Krieg, Völkermord und Kapitalismus auch auf dem Campus zu protestieren, ist von großer Bedeutung.
HU-Präsidentin Julia von Blumenthal hatte die Initiative des Senats im Vorfeld hingegen öffentlich unterstützt und die Wiedereinführung des Ordnungsrechts in verschärfter Form befürwortet. Am Mittwoch trat sie vor dem Studierendenparlament auf, um ihre antidemokratische Position gegenüber kritischen Nachfragen zu bekräftigen.
In ihrer Rede stellte Blumenthal explizit klar, dass Exmatrikulation und andere Ordnungsmaßnahmen Anwendung finden könnten, um gegen Hörsaalbesetzungen und politische Versammlungen vorzugehen, die nicht mit der Universitätsleitung abgestimmt seien. Als Beispiel nannte sie die Besetzung des Instituts für Sozialwissenschaften anlässlich der Kündigung des populären Soziologie-Dozenten Andrej Holm im Jahr 2017. Gegen solche und andere „Proteste, die die Grenze der Strafbarkeit überschreiten“, wolle man unabhängig von den Gerichten ordnungsrechtlich vorgehen. Diese Befugnisse seien dabei „rechtsstaatlich einzurahmen“ und „verhältnismäßig anzuwenden“, behauptete sie absurderweise.
Im Anschluss antwortete der StuPa-Abgeordnete Gregor Kahl für die IYSSE-Fraktion in einer Wortmeldung auf die Rede der Präsidentin:
Sehr geehrte Frau von Blumenthal, Sie haben öffentlich mitgeteilt und eben auch noch einmal bestätigt, dass Sie das Ordnungsrecht über die Studierenden wieder einführen möchten, einschließlich der Möglichkeit, Studierende unter bestimmten Vorwänden zu exmatrikulieren. Die Formulierungen, die sich im Gesetzentwurf finden, sind derart schwammig, dass Studierende schon aufgrund von Formen politischen Protests wie nicht genehmigten Hörsaalbesetzungen oder untersagten Slogans exmatrikuliert werden können.
Das ist kein Versehen, sondern dezidierte politische Stoßrichtung dieser Maßnahme. Sie zielt unmittelbar darauf ab, die weitverbreitete Opposition gegen den Genozid in Gaza an den Universitäten zum Schweigen zu bringen. Darüber hinaus soll das Gesetz die Voraussetzungen schaffen, jegliche studentische Opposition gegen Krieg und die rechte Politik der Regierung zu kriminalisieren.
Wer Zweifel an dieser Einschätzung hat oder sie für übertrieben hält, sollte einen Blick auf die Ereignisse in den Vereinigten Staaten werfen. Dort finden gerade an vielen der angesehensten Universitäten des Landes Massenproteste gegen das Massaker in Gaza statt, an denen sich Zehntausende beteiligen. Hunderte friedlich protestierende Studierende wurden festgenommen und dutzende wurden exmatrikuliert. Alleine an der NYU hat die Polizei 130 Studierende und Unterstützer verhaftet. Führende Vertreter der Demokraten und Republikaner fordern gegen unsere Kommilitoninnen und Kommilitonen jetzt sogar den Einsatz der Nationalgarde – dieselbe Nationalgarde, die im Jahr 1970 bei Protesten gegen die US-Invasion Kambodschas 13 Studierende der Kent State University mit Schusswaffen verwundet und vier von ihnen getötet hat.
Frau von Blumenthal, als Sie im Februar letzten Jahres das letzte Mal vor dem Studierendenparlament gesprochen haben, bin ich auf die entscheidende Rolle eingegangen, die die Humboldt-Universität seit Jahren für die deutsche Kriegspropaganda spielt. Ich habe Sie gefragt, was Sie tun werden, um kritische Studierende vor rechter Gewalt zu schützen. Sie haben darauf nie geantwortet. Inzwischen hat sich die Sicherheit für Studierende nicht verbessert, sondern verschlechtert. Rechte Gruppen und Individuen können an dieser Universität unbehelligt studentisches Material zerstören und ein Klima der Einschüchterung schüren.
Und nun, ein Jahr später, muss man feststellen, dass Sie nicht nur weiterhin nichts tun, um Studierende gegen rechte Angriffe zu verteidigen, sondern mit der Wiedereinführung des Ordnungsrechts selbst den bisher schärfsten Angriff auf die demokratischen Rechte der Studierenden vorantreiben. Während man als Professor an dieser Uni erklären kann, dass „Hitler nicht grausam' gewesen sei und der Holocaust „im Grunde das gleiche“ wie „Erschießungen während des russischen Bürgerkriegs“, sollen Studierende künftig exmatrikuliert werden können, wenn sie der Politik von Krieg und Völkermord entgegentreten.
Sie sprechen hier im Studierendenparlament von Dialog und Austausch, aber Sie verweigern sich jedem ernsthaften Dialog. Stattdessen drohen Sie damit, kritische Studierende von der Universität zu werfen. Eine Dienstaufsichtsbeschwerde, die seit Jahren gegen Herrn Baberowski vorliegt, weil er einen unserer Abgeordneten geschlagen hat und andere wüst beschimpft und bedroht hat, haben Sie noch nicht einmal beschieden, obwohl Sie rechtlich dazu verpflichtet sind.
Ich gehe bei dieser Bilanz nicht davon aus, dass Sie auf diese Punkte eingehen werden. Deshalb gilt mein Appell allen Abgeordneten, die heute hier im Saal sind, heute gegen das Ordnungsrecht zu stimmen. Dieser Versuch, die Berliner Universitäten zu gehorsamen Kaderschmieden umzuwandeln, muss unbedingt gestoppt werden. Und ich rufe alle Kommilitoninnen und Kommilitonen auf, dagegen zu protestieren. Wir müssen uns an die internationale Arbeiterklasse wenden, die große Mehrheit der Bevölkerung, um diese Angriffe zurückzuschlagen – in den USA, in Deutschland und auf der ganzen Welt.
Während der Debatte über die Positionierung des Studierendenparlaments, der die Präsidentin nicht mehr beiwohnte, betonte Kahl, dass sich das Gesetz gegen jede Form studentischer Opposition gegen die rechte Regierungspolitik richte. Der Vorstoß müsse im Zusammenhang mit den Reaktionen auf die Massenproteste in den Vereinigten Staaten und der Rückkehr Deutschlands zu einer Politik von Krieg und Völkermord gesehen werden.
Der Versuch der Präsidentin, das Ordnungsrecht in ihrer Rede als Instrument im Kampf gegen Gewalt und sexualisierte Übergriffe zu verbrämen, wurde von mehreren Rednerinnen und Rednern entschieden zurückgewiesen. Mit Ausnahme von RCDS und Jusos, den Jugendorganisationen der Senatsparteien CDU und SPD, stimmten am Ende der Debatte alle studentischen Listen für eine Positionierung gegen das Ordnungsrecht.