Jeremy Corbyn hat eine Medienoffensive initiiert, um deutlich zu machen, dass er jeden politischen Kampf gegen Sir Keir Starmers Labour-Regierung ablehnt.
Im Guardian und anderen, kleineren Publikationen betonte er wiederholt, er habe nicht die Absicht, die Gründung einer „linken“ Antikriegspartei anzuführen, obwohl seine Unterstützer in den britischen pseudolinken Gruppen ständig darauf drängen.
Stattdessen wird er sich in den kommenden Jahren für verschiedene lokale Initiativen einsetzen, um angeblich eine „Politik der Hoffnung“ an der „Basis“ wiederherzustellen. Gleichzeitig wird er im Parlament manövrieren, um in improvisierten Bündnissen mit anderen Abgeordneten gegen die schlimmsten Maßnahmen von Labour zu protestieren, mit dem erklärten Ziel, die Regierung nach links zu drücken.
Corbyn, der in den Parlamentswahlen als parteiloser Kandidat für Islington North angetreten ist, setzte sich mit 24.120 zu 16.873 Stimmen, d.h. etwa 50 Prozent, gegen Labour durch. In anderen, überwiegend muslimischen Wahlkreisen gewannen die vier pro-palästinensischen Parteilosen Iqbal Mohamed, Adnan Hussein, Shockat Adam und Ayoub Khan gegen Labour-Kandidaten.
Auch in anderen Wahlkreisen erlitt Labour herbe Rückschläge. So konnte sich der jetzige Gesundheitsminister Wes Streeting mit nur 500 Stimmen gegen Leanne Mohamed durchsetzen. Jess Phillips’ Vorsprung ging von 13.000 auf 693 Stimmen zurück, und Starmer verlor die Hälfte seines Stimmenanteils, während der ehemalige Abgeordnete des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC), Andrew Feinstein, mit 19 Prozent den zweiten Platz belegte.
Labour konnte zwar eine massive Mehrheit von 170 der insgesamt 412 Sitze erzielen, erhielt aber nur 33,8 Prozent der landesweiten Stimmen – das niedrigste Ergebnis für eine neue Regierung in der Geschichte Großbritanniens.
Trotz dieses schwachen Fundaments ist die Regierung entschlossen, eine Politik von Krieg und brutalen Sparmaßnahmen umzusetzen. Angesichts dieser Lage betrachtet es Corbyn als seine dringlichste Aufgabe, alle Erwartungen zunichte zu machen, dass er einen Kampf gegen seine ehemalige Partei führt. Am 12. Juli veröffentlichte er im Guardian eine Kolumne mit dem Titel „Die Macht des Volks hat zu meiner Wiederwahl geführt. Es ist der Beginn einer neuen Politik.“ Darin betonte er, Stärke werde „von unten aufgebaut“, und erst danach können wir „diejenigen an der Spitze herausfordern“.
Er erklärte: „Hier in Islington pflanzen wir die Saat für eine neue Art, Politik zu machen. Das beginnt mit unserem ersten Volksforum. Es wird den Einwohnern einmal im Monat die Gelegenheit bieten, mich als ihren gewählten Vertreter zur Rechenschaft zu ziehen.“ Darauf würden weitere formlose lokale Kampagnen für eine zeitlich unbefristete, aber längere Periode folgen, um den Widerstand der Arbeiterklasse zu „kanalisieren“, d.h. kontrollieren:
„Die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit einem kaputten politischen System wird nur zunehmen, wenn die Regierung es nicht schafft, die wirklichen Veränderungen herbeizuführen, die die Bevölkerung erwartet. Diese Energie braucht ein Ziel. Sie muss kanalisiert, mobilisiert werden... Sobald unser Basismodell an anderen Orten kopiert wurde, kann es die Grundlage für eine neue Bewegung bilden, die in der Lage ist, das alte staatliche Zwei-Parteien-System herauszufordern.“
Direkt an die Adresse seiner Bewunderer, Schmeichler und Apologeten gewandt, fügte Corbyn hinzu: „Ich habe keinen Zweifel daran, dass diese Bewegung früher oder später zur Wahl antreten wird ... doch eine neue, zentralisierte Partei zu gründen, die sich auf die Persönlichkeit einer einzelnen Person stützt, würde das Pferd von hinten aufzäumen.“
Dies könnte allem Anschein anch als Zurückweisung von Tendenzen wie die Socialist Workers Party (SWP) oder die Socialist Party (SP) interpretiert werden, die ihn spätestens seit seiner Absetzung als Labour-Parteichef nach den Wahlen von 2019 als Führer einer „breiten linken“ alternativen Partei nach dem Vorbild der griechischen Syriza oder der spanischen Podemos in Erwägung gezogen haben.
Doch Corbyn wendet sich an Kräfte, die ebenso entschlossen sind wie er, zu verhindern, dass die zunehmende Feindschaft der Arbeiter gegenüber der Labour Party zu einem revolutionären Bruch mit dem Reformismus führt.
Befürworter eines „progressiven Bündnisses“
Die Socialist Equality Party veröffentlichte am 2. Juni einen Artikel mit dem Titel „Britische Pseudolinke rufen zur Wahl von Starmers Labour Party auf“, in dem sie detailliert auf die Position der SWP einging, die von ihr unterstützten Protestkandidaten sollten „Starmer und der ganzen herrschenden Klasse deutlich machen, dass sie ihren internationalen und innenpolitischen Kurs nicht unangefochten fortsetzen können“.
Die SP argumentierte ihrerseits, sich auch nach dem 4. Juli weiter auf die Labour Party zu orientieren und betonte, sie könne „wie jede pro-kapitalistische Regierung durch massenhaften Druck der Arbeiterklasse gezwungen werden, Zugeständnisse zu machen“. Als politische Vertreter dieser Strategie nannte sie „einen Block von Arbeiter-Abgeordneten, darunter Jeremy Corbyn und andere“, die „gewählt werden könnten und Starmer vom ersten Tag an zwingen würden, zumindest über seine linke Schulter zu schauen“.
Tatsächlich wusste die gesamte Pseudolinke bereits sehr wohl, was von Corbyn zu erwarten war, und dass er sicherlich nur rein symbolische Beschwerden vorbringen würde.
Auf dem Höhepunkt des Wahlkampfs wurde Corbyn am 26. Juni von Oliver Eagleton für den New Statesman interviewt. Eagleton fragte höflich, ob Corbyn „angesichts der Art, wie Labour mit seinen aufstrebenden linken Kandidaten umgegangen ist“, nicht der Meinung sei, andere hätten „schon früher austreten sollen“.
Eagleton berichtete: „Corbyn verstand das Argument, erklärte aber, er verstehe, warum viele seiner Genossen zögerten, die Partei zu verlassen: ,Die Labour Party hat immer einen besonderen kulturellen Platz eingenommen. Ich war seit meiner Jugend Mitglied, und ich hatte meine Höhen und Tiefen. Aber man findet dort viele Freunde, und sie wird zu deinem sozialen Milieu. Das wird jetzt zerstört, was langfristig kontraproduktiv ist.‘“
Corbyn akzeptiert zwar, dass die Labour-Linke fest in Starmers Partei verankert ist, schlägt aber trotzdem vor, einige „Labour-Abgeordnete, auch wenn sie anfangs nervös sind“ als Verbündete im Kampf gegen Themen wie „die Begrenzung des Kindergelds auf zwei Kinder und Gaza“ zu gewinnen. Als weitere Verbündete stellt er sich die Scottish National Party, Plaid Cymru, George Galloway und die Liberaldemokraten vor.
Eine Woche bevor Corbyn seine Kolumne im Guardian veröffentlichte, trat er bei der SWP-Veranstaltung „Marxismus 2024“ auf, wo er unter stürmischem Applaus als „unser Premierminister“ vorgestellt wurde.
Der führende SWP-Vertreter, Charlie Kimber, hatte vor der Veranstaltung geschrieben, Corbyn hätte „innerhalb von drei Monaten eine nationale Bewegung“ aufbauen können, wenn er dazu aufgerufen hätte. Dann bot er jedoch die passende Ausstiegsklausel an: „Lasst uns sehen, wie sich die Labour Party im Amt bewährt, was sie liefert. Lasst uns verstehen, dass sie nicht für die arbeitende Bevölkerung Politik macht, und wenn das passiert, sollten wir dafür sorgen, dass statt der Rechten die Linke gewinnt.“
Diese Bedingungen der Zusammenarbeit hatte Corbyn am 6. Juli in einem Interview festgelegt, das am gleichen Tag unter dem Titel „Wie geht es weiter? Das denkt Corbyn“ in der Socialist Worker veröffentlicht wurde. Auf die Frage: „Wird es eine größere Herausforderung bei den Wahlen geben?“ antwortete Corbyn, er und die anderen vier Parteilosen würden „bereits miteinander reden“, bevor sie sich auf „die Sorge vor der extremen Rechten“ statt auf die Starmer-Regierung konzentrieren.
Der Socialist Worker musste seine Lesern beruhigen: „Es wird Diskussionen über künftige Herausforderung bei den Wahlen geben.“
Am 14. Juli veröffentlichte die separatistische schottische Zeitschrift The National ein eigenes Interview mit Corbyn, in dem er aufschlussreich schilderte, wie er eine „linke Koalition zusammenstellen wird... um Starmers Regierung zur Verantwortung zu ziehen“.
„Er erklärte: ,Natürlich sind wir fünf parteilosen Abgeordneten auf uns allein gestellt in unseren Möglichkeiten ziemlich eingeschränkt... Aber wenn man dazu noch in vielen Fragen die Grünen, die SNP und Plaid Cymru und einen beträchtlichen Teil der Labour-Abgeordneten hinzunimmt, glaube ich, dass schnell ein progressives Bündnis entstehen wird. Ich werde das unterstützen.‘“
Corbyn erklärte: „Ich setze mich in der Teestube gelegentlich an den Tisch der SNP. Wir trinken gemeinsam Tee und unterhalten uns. Und ja, ich habe mich auch mit mehreren Kollegen unterhalten, die von der SNP und Plaid Cymru gewählt wurden.“
Er betonte, sein „Volksforen“-Projekt sei „nur der Beginn einer Bewegung, die mit – und für – Gemeinden im ganzen Land gewinnen kann“. Aber dies müsse „nicht unbedingt eine Partei sein“.
Corbyn bleibt der Labour Party treu
In einem Videointerview mit Novara Media vom 17. Juli betonte Corbyn, bei seiner „Politik der Hoffnung“ gehe es „nicht um Parteien, sondern um die Stimmen der Gemeinden“. Seine Initiative für ein monatliches Forum in Islington North sollte bis zu diesem Zeitpunkt nicht einmal ein „Prototyp“ zur Nachahmung sein, sondern nur das „was ich in meiner Gemeinde sehen möchte“.
Dann machte Corbyn die außergewöhnliche Aussage, dass die Hinwendung zur Vertretung von „Gemeinden“ das sei, „wozu ich die Labour Party bringen wollte, denn mein größter Kampf mit der Labour Party bestand darin, das Wort ,Gemeindeorganisatoren‘ auch nur auszusprechen“.
Der Mann, der das als seinen größten Kampf innerhalb der Labour Party bezeichnet, hat untätig zugesehen, wie hunderte seiner Anhänger als „Antisemiten“ aus der Partei ausgeschlossen wurden, und der angeblich gegen das Engagement der Partei für Sparmaßnahmen und Krieg gekämpft hat.
Corbyns Begeisterung für Gemeindepolitik sollte im Kontext seiner Weigerung gesehen werden, gegen das Krebsgeschwür der Blairisten in der „breiten Kirche“ der Labour Party zu kämpfen. Sie wüteten gegen ihn, obwohl er in allen zentralen Fragen, mit denen er die Unterstützung der Massen gewonnen hatte, immer wieder kapitulierte – vor allem in Bezug auf den Widerstand gegen die Nato und Atomwaffen.
Doch das war das Ergebnis von Entscheidungen, die Jahrzehnte zuvor von jemandem getroffen wurden, der seit seiner Schulzeit in der Labour Party und 42 Jahre lang seit 1982 Labour-Abgeordneter war. Zudem hat er seit 1985 jeden Bruch mit Labour abgelehnt.
Das Magazin Jacobin veröffentlichte am 17. Juli ein Interview mit Corbyn, in dem er nach seiner Teilnahme an den Veranstaltungen der Independent Left Corresponding Society in den 1980ern, zusammen mit Tony Benn, dem Soziologen Ralph Miliband und dem Pablisten Tariq Ali befragt wurde. Corbyn erklärte, Miliband habe sich „eine skeptische und teilweise betont pessimistische Haltung gegenüber Labours möglichem Potenzial als zuverlässiges Werkzeug für eine sozialistische Umgestaltung bewahrt“. Er wurde gefragt, ob er diese „pessimistische“ Haltung mittlerweile teilt, und ob Labour noch immer „ein Mittel für die Verfolgung sozialistischer Politik“ sei.
Darauf antwortete er: „Damals, nach dem Bergarbeiterstreik von1984–85, wurde darüber debattiert, was Sozialisten in Großbritannien tun sollten, weil die Arbeiterbewegung durch den Streik eine massive Niederlage erlitten hatte. Tony [Benn] hat sehr stark die Ansicht vertreten, dass die Labour Party noch immer ein Werkzeug für sozialistische Umgestaltung sein könnte...“
Corbyn unterstützte Benns Position, und die letzten vier Jahrzehnte haben dem heute 75-Jährigen kein Bekehrungserlebnis beschert, selbst jetzt nicht, wo Labour sich selbst als Führung der „wirtschaftsfreundlichsten“ Regierung in der Geschichte und als zionistischer Verteidiger des Völkermords und die „Partei der Nato“ und des Atomkriegs inszeniert.
Er erklärt lediglich: „Weder Tony Benn noch ich haben es jemals als ein Entweder/Oder gesehen... es ist unnötig, diese Frage als binäre Entscheidung zu stellen, denn das ist sie nicht. Man kämpft für gewählte Positionen und versucht, dort Veränderungen zu erreichen, und wenn einem der Weg versperrt wird, mobilisiert man die Leute, um diese Blockaden zu überwinden.“
Corbyn beendete sein Interview mit freundlichen Ratschlägen an Labour. Er beschrieb die Massenproteste wegen Gaza „als eine formlose, aber dennoch vereinte Stimme für Frieden und soziale Gerechtigkeit“ und schlug vor, Labour solle im eigenen Interesse auf diese Stimme hören. „Labour hat mit dem niedrigsten Stimmenanteil für eine Regierungspartei eine riesige Mehrheit an Parlamentssitzen gewonnen... Da ist tatsächlich eine sehr fragile Lage, auch wenn sie von der riesigen Parlamentsmehrheit verdeckt wird. Ich glaube, darüber sollten aufmerksame Leute in der Labour Party nachdenken.“
Die Kritik der SEP an Corbyn während der Parlamentswahlen
Die Socialist Equality Party übte in ihrem Wahlkampf umfassende Kritik an Corbyns Rolle als Vorsitzender der Labour Party und identifizierte den tieferen Grund für seine Kandidatur gegen Labour in Islington North und die Bildung einer losen Koalition von Gleichgesinnten in anderen Bezirken, vor allem Andrew Feinstein im benachbarten Wahlkreis Holborn und St. Pancras.
Wir erklärten, dass Corbyn für die pseudolinken Gruppen eine zentrale Position in dem komplexen politischen Betrug einnimmt, der angeblich die Opposition gegen Labour in der Gaza-Frage mit der Unterstützung für einen Sieg Labours in Einklang bringt.
In dem am 28. Juni veröffentlichten Artikel „Warum tritt die Socialist Equality Party gegen Andrew Feinstein an?“ wird erklärt, dass die zentrale Forderung der pseudolinken Gruppen „,No Ceasefire, No Vote‘ [darauf hinausläuft] dass einige Protestkandidaten unterstützt werden, während in allen anderen Fällen zur Abstimmung für Labour aufgerufen wird. Am Ende steht dann die Bildung einer Regierung, die Israel weiterhin unterstützt und die Kriege der Nato weiterführt…“
Über Corbyns politische Rolle hieß es in dem Artikel: „Wenn Starmer am Ende in die Downing Street 10 einziehen kann, dann nur deshalb, weil Corbyn und seine Unterstützer, die 2015 mit überwältigender Mehrheit an die Spitze der Labour Party gewählt worden waren, die Forderungen nach dem Hinauswurf der rechten Blair-Anhänger zurückgewiesen haben. Corbyn kapitulierte in allen grundlegenden Fragen, einschließlich der Nato-Mitgliedschaft und der Atomwaffen, und trat die Parteiführung anschließend huldvoll an Starmer ab.“
Wir wiesen darauf hin, dass Collective, das lockere Wahlbündnis, dem Corbyn und Feinstein angehörten „erst im Mai gegründet [wurde], nachdem Corbyn erklärt hatte, er werde im Wahlbezirk Islington North gegen Labour antreten. Die Organisation fordert Corbyn auf, eine neue Partei anzuführen. Doch vorerst handelt es sich dabei um einen frommen Wunsch für die Zukunft. Denn selbst nach seinem Parteiausschluss weigert sich Corbyn, die Labour Party auf nationaler Ebene herauszufordern – er inszeniert sich selbst als historischer Kandidat für Islington North, während er gleichzeitig die Wahl einer Labour-Regierung unter Starmer unterstützt.“
Über Feinsteins eigene Unterstützung für die Art von lokalen Initiativen, die Corbyn jetzt als seine eigene Politik propagiert, schrieben wir:
„Sein [Feinsteins] Wahlprogramm, das ,Volks-Manifest für Camden‘, sieht vor, die lokal bestimmte Politik eines ,kommunalen Abgeordneten‘ zur Grundlage eines neuen Systems der ,repräsentativen Demokratie‘ zu machen, die ,der Bevölkerung vor Ort dienen sollte, nicht Parteiapparaten oder den Interessen der Wirtschaft‘. Das ist die abgedroschene Rhetorik so vieler populistischer und pro-kapitalistischer Tendenzen, die sich auf die weit verbreitete Feindschaft gegenüber den Parteien des Großkapitals stützen, um dem Kampf für eine sozialistische politische Vertretung der Arbeiter entgegenzutreten...“
Letzten Endes will er, „dass die Arbeiter im Vereinigten Königreich unter einer Neuauflage von Corbyns katastrophaler Führung der Labour Party die bitteren Erfahrungen wiederholen, die beim Aufbau ,breiter linker‘ Organisationen wie der griechischen Syriza schon gemacht wurden. Mit Syriza wurde eine solche Organisation geschaffen, die dann den Kampf gegen das Spardiktat des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Europäischen Union sabotierte.“
Noch mehr kann über Feinsteins und Corbyns Konzept lokaler „Volksversammlungen“ als Weg vorwärts gesagt werden. In seinen Memoiren After the Party macht Feinstein deutlich, welche Aufgabe die Volksforen, die nach den Wahlen von 1994 und dem Ende der Apartheid gegründet wurden, wirklich hatten. Sie sollten die Forderungen der Arbeiter nach echten sozialen Veränderungen „managen“, d.h. unterdrücken:
„Auf diesen Foren sprach Mandela zu einem Publikum, das nach materiellen Veränderungen verlangte, in dem Ausmaß der Aufgabe, die vor der demokratischen Regierung in Südafrika stand. Er bekundete die Bereitschaft des ANC, die Ungleichheiten der Vergangenheit zu beseitigen, erklärte jedoch, dass echte materielle Verbesserungen langsam kommen würden und dass die Menschen viele Jahre Geduld bräuchten.“
Feinstein kommentierte beiläufig: „Ich war zwar erfreut, dass die Nation in so vertrauenswürdigen Händen war, betete aber im Stillen für eine demagogischere Inszenierung, um meine eigene politische Zukunft sicherzustellen.“
Das Konzept, das Feinstein und Corbyn propagieren, erinnert an eines, das vor kurzem auch von Martin Wolf in der etablierten kapitalistischen Institution Financial Times vertreten wurde. Er schrieb: „Die Bürger sollten aufgefordert werden, sich mehr in der britischen Politik zu engagieren, um die soziale und politische Unzufriedenheit zu kontrollieren.“ Denn das „Vereinigte Königreich hat eine neue Regierung mit einer riesigen Mehrheit. Aber nur knapp ein Drittel der Wähler hat für sie gestimmt.“ Und Starmer hat „die Macht in einem Land errungen, das das Vertrauen in demokratische Politik verloren hat...“
Wolf warnt, dass die „Krise der demokratischen Politik“ bedeutet, dass Starmer „es schwer haben wird, das Ruder herumzureißen, was die Unzufriedenheit angeht“. Er lobt ein „exzellentes ,Bürger-Weißbuch‘“, das die öffentliche Beratungsfirma Demos zusammen mit der Wohltätigkeitsorganisation Involve ausgearbeitet hat. Es spricht sich für „Gremien, Versammlungen, Jurys, Workshops und breitere Diskussionen in den Gemeinden“ aus, um „auszuhandeln, was die Öffentlichkeit tolerieren wird“ und „das Vertrauen in die Politiker wieder aufzubauen“.
Der Corbynismus und die Krise der Führung der Arbeiterklasse
Es sind neun Jahre vergangen, seit der „Corbyn-Aufstand“ von den britischen Pseudolinken als Grundlage dafür proklamiert wurde, dass Labour sich zu einer „neuen Arbeiterpartei“ (SP) entwickelt und zur „Wiedergeburt der Sozialdemokratie“ (SWP) wird. Heute ist der linke Flügel der Labour Party eine verbrauchte Kraft, die nur sieben Stimmen gegen eine Regierung mobilisieren konnte, die die Begrenzung des Kindergelds auf zwei Kinder beibehält. Genau diese Frage hatte Corbyn als eines der Schlüsselthemen für die Organisation gemeinsamer Aktionen vorgeschlagen.
Corbyn wird keine Bewegung gegen die Labour-Regierung anführen. Er wird sie unterstützen und nur gelegentlich Kritik üben, angeblich um sie nach links zu drücken. Doch die Labour Party ist für solchen Druck unempfindlich, da sie als reiner Vertreter der Finanzoligarchie und des britischen Imperialismus fungiert.
Das machte Starmer einmal mehr deutlich, als er auf die Mini-Revolte gegen die Deckelung der sozialen Leistungen reagierte, indem er den sieben Rebellen für sechs Monate bis zu einer Überprüfung die Fraktionsführung entzog.
Corbyn und die anderen vier Parteilosen schickten den sieben Rebellen daraufhin einen offenen Brief, in dem sie erklärten, sie „freuen sich darauf, eng mit Ihnen zusammenzuarbeiten, wenn Sie Ihre Wahlkreise als parteilose Abgeordnete effektiver denn je vertreten“.
Er erklärte nicht, warum er die sieben nicht zum Austritt aus der Labour Party aufgerufen hat, wenn sie als Parteilose ihre Wahlkreise „effizienter vertreten“ können, und warum er selbst es nicht tut. Sein Ziel ist lediglich, als loyale Opposition zu Seiner Majestät Sir Keir zu agieren.
Corbyn und seine pseudolinken Anhänger sind nicht die Antwort auf die Krise der Führung der Arbeiterklasse. Sie sind der schärfste Ausdruck dieser Krise. Die Antwort ist woanders zu finden.
Die SEP erklärte die wesentliche Grundlage ihrer Kritik am Corbynismus und wies die einfache Erklärung zurück, Corbyns unbestrittene politische Feigheit sei das Problem. Es geht um viel mehr als nur um schlechte Führung:
„Die Entstehung der transnationalen Produktion und die globale Integration von Finanzwelt und Industrie hat den alten Gewerkschaften und stalinistischen und sozialdemokratischen Parteien, die in das nationalstaatliche System eingebettet waren, auf dramatische Weise den Boden entzogen. Darauf reagierten sie geschlossen, indem sie ihre früheren reformistischen Programme aufgaben.
Die Labour-,Linke‘ teilt das nationalistische und prokapitalistische Programm des rechten Flügels und unterscheidet sich von ihm nur durch ihr Eintreten für einige Reformen, welche der ehemalige Labour-Premier Tony Blair und seine Anhänger aufgegeben haben.
Heute bietet nur ein sozialistisches und internationalistisches Programm der Arbeiterklasse einen fortschrittlichen Weg.
Jedes grundlegende Problem, vor dem die Arbeiter stehen, hat seine Ursache in der sich vertiefenden Krise des Weltkapitalismus. Vor allem die Gefahr eines neuen Weltkriegs ergibt sich aus den grundlegenden Widersprüchen des Kapitalismus – zwischen der Entwicklung eines global vernetzten Produktionssystems einerseits und der Aufteilung der Welt in antagonistische Nationalstaaten andererseits, die auf der Aufrechterhaltung des Privateigentums an den Produktionsmitteln basieren.“
Die internationale Arbeiterklasse ist die einzige gesellschaftliche Kraft, die den Ausbruch eines globalen Kriegs verhindern kann:
„Die gleichen Widersprüche, die den Imperialismus zu globalen Eroberungskriegen treiben, liefern auch die objektive Grundlage für die soziale Revolution, indem sie die Arbeiter, die den gesamten gesellschaftlichen Wohlstand schaffen, in einem globalen Produktionssystem vereinen. Dabei steht ihnen ein gemeinsamer Feind in Form der riesigen transnationalen Konzerne und Banken gegenüber, die die Politik aller nationalen Regierungen diktieren.“
Dies erfordert den Aufbau der Socialist Equality Party als neue sozialistische und internationalistische Führung der Arbeiterklasse, die sich den Aufbau einer Massenbewegung gegen Völkermord und Krieg zum Ziel gesetzt hat und dies mit allen Kämpfen gegen Ungleichheit, Armut, Angriffe auf Löhne, Arbeitsplätze, Gesundheitsversorgung, Bildung und alle sozialen und demokratischen Rechte der Arbeiterklasse verbindet.
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