Perspektive

Lehren aus dem Wahlerfolg der AfD

Der Wahlerfolg der Alternative für Deutschland und das Wahldebakel der Berliner Regierungsparteien in Thüringen und Sachsen haben eine Flut von Medienkommentaren und politischen Debatten ausgelöst. Doch man sucht vergeblich nach einer plausiblen Erklärung, warum acht Jahrzehnte nach dem Ende der Nazi-Diktatur erstmals wieder eine rechtsextreme Partei stärkste Kraft in einem deutschen Landesparlament werden konnte.

AfD-Wahlplakat in Thüringen [Photo by PantheraLeo1359531 / wikimedia / CC BY 4.0]

Die AfD erzielte am 1. September bei der Landtagswahl in Thüringen ein Ergebnis von 32,8 und in Sachsen von 30,6 Prozent. Das ist nahezu gleich viel, wie die Nazis im November 1932 bei der letzten Reichstagswahl vor ihrer Machtübernahme erhielten, 33,1 Prozent. Die AfD ist damit in Thüringen mit Abstand stärkste Fraktion im neuen Landesparlament und liegt in Sachsen nur einen Sitz hinter der CDU.

Die Parteien der Bundesregierung – SPD, Grüne und FDP – wurden dagegen schwer abgestraft. Sie erhielten in Thüringen zusammen nur noch 10,2 Prozent der Stimmen, weniger als ein Drittel so viel wie die AfD. In Sachsen kamen sie zusammen auf 13,3 Prozent.

Der Grund für diesen politischen Erdrutsch liegt nicht bei der AfD und ihrem lokalen Führer Björn Höcke, der laut Gerichtsbeschluss als „Faschist“ bezeichnet werden darf. Der Grund ist der Rechtsruck aller bürgerlicher Parteien, insbesondere der angeblich „linken“. Sie haben der AfD den roten Teppich ausgerollt und alle Türen für sie weit aufgerissen.

Seit SPD, Grüne und FDP vor knapp drei Jahren die Bundesregierung übernahmen, haben sie einen beispiellosen Rechtsruck vollzogen. Jeder Aspekt ihrer Politik steht im Zeichen des Kriegs und der militärischen Aufrüstung. Sie haben den Militärhaushalt fast verdoppelt und allein die Ukraine im Krieg gegen Russland mit Waffenlieferungen im Wert von 23 Milliarden Euro unterstützt, mehr als jedes andere Land mit Ausnahme der USA.

Sie haben die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen auf deutschem Boden vereinbart, die Moskau erreichen können und Deutschland im Falle einer nuklearen Eskalation zum vorrangigen Schlachtfeld machen würden.

Erstmals seit der Niederlage von Hitlers Wehrmacht rollen wieder deutsche Panzer auf russischem Boden. Dabei arbeitet die Bundesregierung in Kiew mit einem Regime zusammen, dass jede Opposition gegen den Krieg brutal unterdrückt und Nazi-Kollaborateure aus dem Zweiten Weltkrieg, die sich am Holocaust beteiligt haben, als Helden verehrt.

Während die Bundesregierung jedes israelische Kriegsverbrechen unter Hinweis auf die „deutsche Verantwortung für den Holocaust“ rechtfertigt, gilt diese Rücksicht für Russland nicht, obwohl in der Sowjetunion über 25 Millionen Menschen dem deutschen Vernichtungskrieg zum Opfer fielen, einem minutiös geplanten Völkermord. Allein in Leningrad forderte die deutsche Belagerung 1,1 Millionen Opfer – die meisten davon Frauen, Kinder und Zivilisten.

In Gaza unterstützt die deutsche Regierung bedingungslos den Genozid an den Palästinensern, der in seiner Brutalität an die Verbrechen der Nazis erinnert. Wer dagegen protestiert oder ihn auch nur kritisiert, wird verleumdet, eingeschüchtert und verfolgt. Demonstrationen werden untersagt, pro-palästinensische Vereine verboten und Kriegsgegner verhaftet und eigesperrt.

Die Kosten dieser Politik wälzt die Ampel-Koalition rücksichtlos auf die Arbeiterklasse und die Schwächsten der Gesellschaft ab, indem sie die Ausgaben für Sozialhilfe, Kindergrundsicherung, Bildung, Gesundheit, Infrastruktur und Umwelt zusammenstreicht. Während die Aktienkurse und die Vermögen der Reichen dank großzügiger Staatshilfen weiter steigen, sinken die Realeinkommen der Arbeiter dramatisch.

In diesem reaktionären Klima gedeiht die AfD und wird von den Herrschenden gezielt gefördert. Vor allem beim Schüren von Chauvinismus gegen Flüchtlinge versuchen Ampel-Parteien und CDU die AfD rechts zu überholen. Die Wochen vor und nach der Wahl waren von einer pausenlosen öffentlichen Hetze gegen Flüchtlinge geprägt.

Als die SPD 1998 unter Bundeskanzler Gerhard Schröder nach 16 Jahren in der Opposition im Bündnis mit den Grünen die Regierung übernahm, zerstörte sie mit der Agenda 2010 die sozialen Errungenschaften der vorangegangenen Jahrzehnte und schuf einen riesigen Niedriglohnsektor, wie es ihn in Deutschland bisher nicht gegeben hatte.

Unter Kanzler Olaf Scholz führt sie dieses Zerstörungswerk zu Ende. Was immer vom Sozialstaat und demokratischen Rechten übriggeblieben ist, wird dem Moloch Krieg geopfert. Die Politik der Sozialpartnerschaft, die schon immer der Verteidigung des Kapitalismus diente, ist endgültig bankrott.

Die SPD, die schon längst keine Arbeiterpartei mehr ist, vertritt wie alle anderen bürgerlichen Parteien die Interessen der Konzerne, der Banken, des Staatsapparats und des deutschen Imperialismus. Sie ist unfähig, auf die brennenden sozialen Fragen, die Millionen umtreiben, eine Antwort zu geben. Dasselbe gilt für die Grünen, die Partei der wohlhabenden, selbstsüchtigen städtischen Mittelklasse.

Das versetzt die rechten Demagogen der AfD in die Lage, den sozialen Unmut für ihre Zwecke auszuschlachten. Niemand sollte sich aber täuschen lassen, die AfD ist eine rechtsextreme, faschistische Partei, die – wie einst die Nazis – die Interessen der brutalsten Repräsentanten des Kapitals vertritt.

Trotz ihrer Kritik am Ukrainekrieg geht ihr der Militarismus der Bundesregierung nicht weit genug. Sie verlangt noch höhere Militärausgaben und die Wiedereinführung der Wehrpflicht, damit Deutschland unabhängig von den USA Krieg führen kann. Sie fordert die Einschränkung des Streikrechts, Zwangsarbeit für Bürgergeldempfänger, weniger Steuern für Reiche und einen autoritären Polizeistaat. Sie lehnt Schutzmaßnahmen gegen Covid ab, obwohl allein in Deutschland fast 200.000 an der Infektion gestorben sind. Sie schürt Ausländerfeindlichkeit und Rassismus, um die Arbeiterklasse zu spalten und zu schwächen, verharmlost die Verbrechen der Nazis und unterhält enge Verbindungen zu Neonazis und rechten Terrornetzwerken.

Eine zentrale Verantwortung für das Anwachsen der AfD tragen die Gewerkschaften und die Linkspartei. Sie unterdrücken den Klassenkampf und haben bisher verhindert, dass die Empörung über die Politik der Bundesregierung einen linken, fortschrittlichen Ausdruck fand.

Die Gewerkschaften bestehen aus einem riesigen Apparat von gutbezahlten Co-Managern und Betriebspolizisten, die jeden Arbeitskampf unterdrücken oder ausverkaufen und dafür sorgen, dass Entlassungen und Lohnsenkungen reibungslos über die Bühne gehen.

Die Linke und ihre Vorgängerin PDS dienten in den neunziger Jahren als Auffangbecken für die Empörung über die Folgen der deutschen Vereinigung, der 8000 Betriebe und Millionen Arbeitsplätze zum Opfer fielen. Wo sie Regierungsverantwortung übernahm, verfolgten sie eine genauso rechte Politik wie die SPD und die Grünen, mit denen sie eng zusammenarbeiten.

Nun ist auch Die Linke kollabiert. In Sachsen schaffte sie nur mit Mühe den Wiedereinzug in den Landtag. In Thüringen, wo sie mit Bodo Ramelow seit zehn Jahren den Ministerpräsidenten stellte, verlor sie fast zwei Drittel ihrer Stimmen und wurde abgewählt. Ramelow will jetzt alles tun, um Mario Voigt von der CDU zu einer sicheren Mehrheit zu verhelfen.

Der Einfluss der AfD ist im Osten Deutschlands, der sich nie vom industriellen Kahlschlag nach der Wiedervereinigung und den Folgen der Agenda 2010 erholt hat, besonders stark, entwickelt sich aber auch im Westen des Landes. Bundesweit liegt die rechtsextreme Partei in den Umfragen zwischen 16 und 19 Prozent.

Dieselbe Entwicklung findet sich in fast allen kapitalistischen Ländern. Die Unfähigkeit der angeblich „linken“ oder „demokratischen“ Parteien, die elementarsten sozialen und demokratischen Bedürfnisse der Massen anzusprechen, treibt rechten und faschistischen Parteien die Wähler zu.

In den USA profitiert Donald Trump davon, dass die eng mit den Gewerkschaften verbundenen Demokraten die Interessen der Wall Street verfolgen, Streiks unterdrücken und die Kriege in der Ukraine und dem Nahen Osten vorantreiben.

In Italien gingen dem Aufstieg Giorgia Melonis drei Jahrzehnte des Verrats durch die Nachfolger der Kommunistischen Partei voran. In Frankreich profitierte Marine Le Pen von dem rechten Kurs mehrerer sozialistischer Regierungen und Präsidenten und der bankrotten Politik Jean-Luc Mélenchons.

Die faschistische Gefahr kann nicht durch die Unterstützung dieser bankrotten Parteien bekämpft werden. Wo immer sie an die Macht gelangen, verschärfen sie die Kriegspolitik und die Angriffe auf die sozialen und demokratischen Rechte der Arbeiterklasse. Sie werden auch nicht davor zurückschrecken, mit den Faschisten zu paktieren. In der CDU werden die Stimmen bereits lauter, die in Sachsen und Thüringen für eine Koalition mit der AfD eintreten.

Alle etablierten Parteien haben auf das Wahlergebnis reagiert, indem sie ihre Angriffe auf Flüchtlinge verstärken und damit die Politik der AfD verwirklichen. Am Dienstag fand in Berlin ein Flüchtlingsgipfel von Regierungsparteien und CDU, von Bund und Ländern statt, der über eine weitere Abschottung der Grenzen und die Kürzung von Hilfen für Flüchtlinge beriet.

In der breiten Mehrheit der Arbeiterklasse und der Jugend wächst die soziale Unzufriedenheit und die Opposition gegen Militarismus und Krieg. Doch sie brauchen eine klare, politische Perspektive.

Armut, Arbeitslosigkeit, Krieg und Diktatur können nur überwunden werden, indem das kapitalistische System abgeschafft und durch eine sozialistische Gesellschaft ersetzt wird, in der die gesellschaftlichen Bedürfnisse, und nicht die Profite der Reichen, an erster Stelle stehen. Ohne die großen Vermögen und Konzerne zu enteignen und unter demokratische Kontrolle zu stellen, kann kein einziges Problem gelöst werden.

Dieses Ziel kann nur mittels einer globalen Strategie erreicht werden, die die Arbeiterklasse über alle nationalen Grenzen hinweg zusammenschließt und für einen vereinten Kampf gegen das kapitalistische Weltsystem mobilisiert. Dafür treten die Sozialistische Gleichheitspartei und ihre Schwesterorganisationen im Internationalen Komitee der Vierten Internationale ein.

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