Partei für Soziale Gleichheit
Historische Grundlagen der Sozialistischen Gleichheitspartei

Der Zentrismus der USPD

27. In Deutschland bildete sich auf Initiative Rosa Luxemburgs noch am Abend des 4. August 1914 die Gruppe Internationale. Sie bezog in Die Internationale und den illegal verbreiteten Spartakusbriefen (daher der Name Spartakusbund) entschieden Stellung gegen den Krieg und verfügte mit Karl Liebknecht, der die Kriegskredite ablehnte, über einen Abgeordneten im Reichstag. Der erste Leitartikel von Die Internationale aus der Feder Rosa Luxemburgs begann mit den Worten: „Am 4. August 1914 hat die deutsche Sozialdemokratie politisch abgedankt, und gleichzeitig ist die sozialistische Internationale zusammengebrochen. Alle Versuche, diese Tatsache zu leugnen, zu verschleiern oder zu beschönigen, haben, gleichviel aus welchen Motiven sie hervorgehen mögen, objektiv nur die Tendenz, jene fatalen Selbsttäuschungen der sozialistischen Parteien, jene inneren Gebrechen der Bewegung, die zum Zusammenbruch geführt hatten, zu verewigen, zum bewussten Normalzustand zu erheben, die sozialistische Internationale auf die Dauer zur Fiktion, zur Heuchelei zu machen.“ Es folgte eine scharfe Abrechnung mit der rechte Parteimehrheit und Karl Kautsky, dem Vertreter des „marxistischen Zentrums“ oder „Theoretiker des Sumpfes“, wie es Luxemburg ausdrückte. [12]

28. Der von Kautsky verkörperte Zentrismus erwies sich als weit größeres Hindernis für die revolutionäre Entwicklung der Arbeiterklasse als die weitgehend diskreditierte Politik der rechten SPD-Führung. Er schwankte zwischen Opposition und Anpassung, passte sich in Worten der radikalen Stimmung der Arbeiter an, während er in der Praxis dem rechten Kurs der SPD-Führung zuneigte. Im April 1917 organisierten sich die Zentristen in der Unabhängigen SPD, nachdem zuvor mehrere Reichstagsabgeordnete aus der SPD ausgeschlossen worden waren, weil sie sich geweigert hatten, die Kriegskredite zu verlängern. Die USPD wurde von den Reichstagsabgeordneten Hugo Haase und Georg Ledebour geführt. In ihren Reihen fanden sich viele führende Köpfe der Vorkriegssozialdemokratie, wie der Revisionist Eduard Bernstein, der Ökonom und spätere Finanzminister Rudolf Hilferding und der Theoretiker Karl Kautsky. Als sich im November 1918 die Arbeiter – und Soldatenräte erhoben und den Kaiser zur Abdankung zwangen, wandte sich die USPD gegen die Errichtung einer Räterepublik und trat der Regierung des Mehrheitssozialdemokraten Friedrich Ebert bei. Während sich Ebert mit der Obersten Heeresleitung verbündete, die Räte entmachtete, Arbeiteraufstände niederschlug und die bürgerliche Ordnung rettete, diente ihm die USPD als linkes Feigenblatt.

29. Programm und Politik der USPD waren von Unentschlossenheit, Kompromissen und Halbheiten geprägt. Sie standen in krassem Gegensatz zur Stimmung der Arbeiter, die in Berlin nur zehn Tage nach dem Gründungsparteitag der USPD erstmals in einen Massenstreik gegen den Krieg traten. Die Gegnerschaft der USPD gegen den Krieg beschränkte sich auf passive Aufrufe zum Frieden. Revolutionäre Initiativen lehnte sie ab. Nach ihrem Eintritt in die Regierung Ebert charakterisierte Rosa Luxemburg die USPD mit den Worten: „Sie trottete stets im Hintertreffen der Ereignisse und der Entwicklung, nie schritt sie an ihrer Spitze. Sie hat es nie vermocht, zwischen sich und den Abhängigen einen grundsätzlichen Grenzrain zu ziehen. Jede schillernde Zweideutigkeit, die zur Verwirrung der Massen führte: Verständigungsfrieden, Völkerbund, Abrüstung, Wilson-Kultus, alle die Phrasen der bürgerlichen Demagogie, die über die nackten, schroffen Tatsachen der revolutionären Alternative während des Krieges verdunkelnde Schleier breiteten, fanden ihre eifrige Unterstützung. Die ganze Haltung der Partei pendelte hilflos um den Kardinalwiderspruch, dass sie einerseits die bürgerlichen Regierungen als die berufenen Mächte fortgesetzt zum Friedensschluss geneigt zu machen suchte, andererseits der Massenaktion des Proletariats das Wort redete. Ein getreuer Spiegel der widerspruchsvollen Praxis ist die eklektische Theorie: ein Sammelsurium radikaler Formeln mit rettungsloser Preisgabe des sozialistischen Geistes. [...] Bis zum Ausbruch der Revolution war es eine Politik von Fall zu Fall, ohne geschlossene Weltanschauung, die Vergangenheit und Zukunft der deutschen Sozialdemokratie aus einer Lichtquelle beleuchtet, die für die großen Linien der Entwicklung einen Blick gehabt hätte.“ [13]

30. Theoretischer Kopf der USPD war Karl Kautsky, der ihre zentristische Politik mit historischen Versatzstücken untermauerte und die russische Oktoberrevolution denunzierte. Er akzeptierte „vom Marxismus alles, ausgenommen die revolutionären Kampfmittel, ihre Propagierung und Vorbereitung, die Erziehung der Massen gerade in dieser Richtung“, wie Lenin spöttisch bemerkte. [14] Im Mittelpunkt von Kautskys Angriff auf den Marxismus stand die Zurückweisung der Diktatur des Proletariats. Zu einem Zeitpunkt, an dem der Krieg den demokratischen Staat überall als brutale Form der bürgerlichen Klassenherrschaft bloßstellte, sprach Kautsky der Arbeiterklasse das Recht ab, mit revolutionären Mitteln die Macht zu erobern und ihre eigene Herrschaft zu errichten. Nach dem Zusammenbruch des offiziellen Sozialpatriotismus war der internationale Kautskyanismus zum wichtigsten Faktor geworden, auf den sich die kapitalistische Gesellschaft stützte, wie Trotzki feststellte. [15]

31. Die Novemberrevolution bestätigte das. Durch den Eintritt in die Regierung Ebert trug die USPD maßgeblich zu ihrer Niederlage bei. Die Novemberrevolution, aus der die Weimarer Republik hervorging, war, wie Trotzki schrieb, „keine demokratische Vollendung der bürgerlichen Revolution“, sondern „eine von der Sozialdemokratie enthauptete proletarische Revolution: richtiger gesagt, es ist die bürgerliche Konterrevolution, die nach dem Siege über das Proletariat gezwungen ist, pseudodemokratische Formen zu bewahren.“ [16] Das hatte tragische Folgen. Alle gesellschaftlichen Kräfte, die 15 Jahre später Hitler an die Macht verhelfen sollten, überlebten die Revolution unbeschadet: Der preußische Großgrundbesitz, der den Bodensatz der politischen Reaktion bildete; die Industriebarone und die Finanzaristokratie, die für die expansiven deutschen Kriegsziele verantwortlich waren; die Heeresleitung, die sich zum Staat im Staat entwickelte; die Richter und Beamten, die die Demokratie ablehnten; nicht zu sprechen von der Soldateska, der die Weimarer Republik keine zivile Perspektive bieten konnte und die zum Fußvolk der Nazis wurde. Die Arbeiterklasse musste für die Politik des Zentrismus einen hohen Preis entrichten. Das ist die bittere historische Lehre aus dem Verhalten der USPD in der Novemberrevolution.


[12]

Rosa Luxemburg, Der Wiederaufbau der Internationale, in: Gesammelte Werke, Band 4, Berlin 1987, S. 20

[13]

Rosa Luxemburg, Parteitag der Unabhängigen SP, in: ebd., S.423-424

[14]

W.I. Lenin, Die proletarische Revolution und der Renegat Kautsky, Berlin 1990, S. 91

[15]

Leo Trotzki, Terrorismus und Kommunismus, Berlin 1990, S. 13-14

[16]

Leo Trotzki, Die permanente Revolution, Essen 1993, S. 58