Partei für Soziale Gleichheit
Historische Grundlagen der Sozialistischen Gleichheitspartei

Die KPD

32. Obwohl der Spartakusbund die SPD und die USPD scharf kritisierte, brach er organisatorisch nicht mit ihnen. Er bestand zwar auf seiner vollen Aktionsfreiheit, blieb aber innerhalb der SPD und schloss sich 1917 der neu gegründeten USPD an. Erst einen Monat nach der Novemberrevolution trennte er sich schließlich von der USPD und gründete am 1. Januar 1919 die Kommunistische Partei Deutschlands. Nur zwei Wochen später wurden deren bekanntesten Führer, Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, von den Mörderbanden des sozialdemokratischen Reichswehrministers Gustav Noske ermordet.

33. Rosa Luxemburg rechtfertigte das Verbleiben in der SPD und der USPD mit dem Argument: „Es genügt nicht, dass eine Handvoll Leute das beste Rezept in der Tasche hat und schon weiß, wie man die Massen führen soll. Die Massen müssen geistig den Traditionen der 50-jährigen Vergangenheit entrissen, von ihnen befreit werden. Und das können sie nur im großen Prozess ständiger innerer Selbstkritik der Bewegung im Ganzen.“ [17] Diese Haltung unterschätzte das Ausmaß der sozialen Kluft, die sich zwischen der SPD und der USPD auf der einen und der Arbeiterklasse auf der anderen Seite aufgetan hatte. Vor dem Krieg hätte der Austritt aus der SPD – einer legalen Massenpartei, die sich offiziell zum Marxismus bekannte und unter den Arbeitern große Autorität genoss – den revolutionären Flügel von den klassenbewussten Arbeitern isoliert. Doch nach der Zustimmung zu den Kriegskrediten stellte sich die Lage anders dar. Die SPD war vollständig ins Lager der herrschenden Klasse übergegangen. Das musste sie unweigerlich in Konflikt mit der Arbeiterklasse bringen. Diesen Konflikt galt es durch das Aufzeigen einer klaren politischen und organisatorischen Alternative vorzubereiten. Hatte in Russland 1917 das Vorhandensein einer Partei, die durch den jahrelangen Kampf gegen den Opportunismus gestählt war, den Sieg der Oktoberrevolution ermöglicht, so war in Deutschland das Fehlen einer solchen Partei 1918/19 die Ursache empfindlicher proletarischer Niederlagen.

34. Aufgrund ihrer späten Gründung und des Verlusts ihrer wichtigsten Führer gestalteten sich die ersten Jahre der KPD äußerst schwierig. Es fehlte ihr an politischer und theoretischer Geschlossenheit und einem erfahrenen Kader. Die Erbitterung über den Verrat der SPD verschaffte zeitweise ultralinken, antiparlamentarischen und anarchistischen Vorstellungen Einfluss und führte im April 1920 zu einer linken Abspaltung in Form der KAPD. Im Dezember desselben Jahres brach die Mehrheit der USPD mit den rechten Führern und schloss sich der KPD an. Das machte die KPD zur Massenpartei, brachte aber auch neue politische Probleme mit sich. Zwischen 1919 und 1921 beteiligte sich die KPD an mehreren verfrühten und schlecht vorbereiteten Aufstandsversuchen. Nur fünf Tage nach ihrer Gründung unterstützte sie den so genannten Spartakusaufstand in Berlin, der blutig unterdrückt wurde. 1921 riefen KPD und KAPD in der so genannten Märzaktion gemeinsam zum Generalstreik und zum Sturz der Reichsregierung auf, nachdem diese bewaffnete Polizeieinheiten gegen Arbeiter in Mitteldeutschland eingesetzt hatte. Die folgende Niederlage kostete rund 2.000 Arbeitern das Leben.

35. Der Dritte Kongress der Kommunistischen Internationale setzte sich 1921 intensiv mit dem linken Radikalismus in der KPD und anderen Sektionen auseinander. Lenin wandte sich in der Schrift Der linke Radikalismus, die Kinderkrankheit im Kommunismus gegen den „kleinbürgerlichen Revolutionarismus“, der politische Kompromisse unter allen Umständen ablehnt, die Legitimität der Teilnahme an Wahlen oder am Parlament leugnet und es für unverzeihlich hält, in den reaktionären Gewerkschaften zu arbeiten. Der Kongress, so Trotzki, „stellte die Parole auf: ‚Heran an die Massen’, d.h. an die Eroberung der Macht durch die vorhergehende Eroberung der Massen in ihrem täglichen Leben und Kampf.“ [18] Er entwickelte ein Programm von Übergangsforderungen, die die Tagesbedürfnisse der Arbeiter mit dem Ziel der proletarischen Machteroberung verbanden, und befürwortete die Taktik der Einheitsfront. Diese Taktik bemühte sich darum, in Tageskämpfen durch praktische, gemeinsame Maßnahmen eine schlagkräftige Einheit herzustellen zwischen den reformistischen, sozialdemokratischen Organisationen und Parteien, in denen noch die große Mehrheit der Arbeiter organisiert war, und den revolutionären kommunistischen Parteien. Die Einheitsfront entsprach einem grundlegendem Bedürfnis und instinktiven Streben der Massen nach Einheit aller Arbeiter im Kampf zur Durchsetzung wichtiger Forderungen, zur Verteidigung von Löhnen und politischen Rechten und zur Abwehr faschistischer Angriffe auf die Organisationen der Arbeiterklasse. Sie bedeutete aber keinen Verzicht auf Kritik am politischen Gegner innerhalb der Arbeiterorganisationen. Sie schuf im Gegenteil die Voraussetzungen, unter denen sich die Massen aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen von der Tatkraft der Kommunisten und der Nutzlosigkeit der Sozialdemokratie überzeugen konnten.

36. Der auf dem Dritten Kongress vollzogene Kurswechsel stärkte und festigte die KPD. Doch 1923 änderte sich die politische Lage dramatisch. Die Besetzung des Ruhrgebiets durch Frankreich löste eine politische und ökonomische Krise aus, die in eine außergewöhnliche revolutionäre Situation mündete. Der Zusammenbruch der deutschen Währung führte zur Verelendung und Radikalisierung breiter Arbeiter – und Mittelschichten. Die SPD verlor rasch an Einfluss, während die Unterstützung für die KPD wuchs. Auf der Rechten erhielten faschistische Gruppen Zulauf. Im August zwang ein von der KPD initiierter Generalstreik die rechte Regierung des Großindustriellen Wilhelm Cuno zum Rücktritt. Der DVU-Politiker Gustav Stresemann bildete eine neue Regierung mit Beteiligung der SPD. Sie übergab die Exekutivgewalt an General von Seeckt, den Oberbefehlshaber der Reichswehr, und beseitigte mithilfe eines Ermächtigungsgesetzes die sozialen Errungenschaften der Novemberrevolution einschließlich des Acht-Stunden-Tags. Das ganze Land polarisierte sich. In Sachsen und Thüringen näherten sich linke SPD-Regierungen der KPD an, während in Bayern faschistische Kräfte im Bündnis mit Militärs einen Staatstreich gegen die Reichsregierung vorbereiteten.

37. Die KPD brauchte lange, bis sie die revolutionäre Lage erkannte. Erst ab August unternahm sie in enger Zusammenarbeit mit der Komintern ernsthafte revolutionäre Vorbereitungen. Doch am 21. Oktober sagte die Parteiführung unter dem Vorsitzenden Heinrich Brandler einen vorbereiteten Aufstand in letzter Sekunde wieder ab, weil linke SPD-Delegierte auf einem Betriebsrätekongress in Chemnitz ihre Zustimmung verweigerten. Statt in einer Revolution endete der deutsche Oktober in einem politischen Fiasko. In Hamburg traf die Entscheidung der Parteiführung, den Kampf um die Macht wieder abzublasen, zu spät ein, der Aufstand brach trotzdem aus, blieb isoliert und wurde gewaltsam niedergeschlagen. In Sachsen und Thüringen setzte die Reichswehr die linken Regierungen ab. Die KPD selbst wurde verboten.

38. Trotzki widmete den Lehren aus dem deutschen Oktober große Aufmerksamkeit. Im Gegensatz zu Stalin und Sinowjew, die die Niederlage auf die angebliche Unreife der Situation zurückführten, bezeichnete er sie als „klassisches Beispiel einer verpassten revolutionären Situation“, deren Ursachen „ausschließlich in der Taktik und nicht in den objektiven Umständen“ lägen. Schon die russische Oktoberrevolution habe gezeigt, dass dem subjektiven Faktor, der Partei, in einer objektiv revolutionären Situation die ausschlaggebende Rolle zufalle. Dasselbe habe nun der deutsche Oktober auf negative Weise bewiesen.

39. „Mit Beginn der Ruhrbesetzung“, bilanzierte Trotzki, „hätte die Kommunistische Partei unbedingt einen festen und entschlossenen Kurs in Richtung Machtergreifung einschlagen müssen. Nur eine mutige taktische Wende hätte das deutsche Proletariat im Kampf um die Macht vereinen können. Haben wir auf dem Dritten und teilweise auf dem Vierten Kongress den deutschen Genossen gesagt: ‚Ihr werdet die Massen nur gewinnen, wenn ihr eine führende Rolle in ihrem Kampf um Übergangsforderungen spielt’, so stellte sich die Frage Mitte 1923 anders: Nach allem, was das deutsche Proletariat in den letzten Jahren durchgemacht hatte, konnte es nur in die entscheidende Schlacht geführt werden, wenn es überzeugt war, dass die Kommunistische Partei diesmal aufs Ganze gehen würde (d.h. dass es nicht um diese oder jene Teilaufgabe, sondern um die Grundaufgabe geht), dass sie bereit sei, in die Schlacht zu ziehen, und fähig, den Sieg zu erringen. Aber die deutsche Kommunistische Partei vollzog diese Wende ohne das nötige Vertrauen und mit extremer Verspätung. Trotz der heftigen gegenseitigen Angriffe legten Rechte wie Linke bis zum September-Oktober eine ziemlich fatalistische Haltung gegenüber der Entwicklung der Revolution an den Tag. Während die gesamte objektive Situation von der Partei einen entscheidenden Schlag verlangte, unternahm die Partei nichts, um die Revolution zu organisieren, sondern wartete darauf.“ [19]

40. In der Broschüre Die Lehren des Oktober unterstrich Trotzki, dass die Führung einer revolutionären Partei imstande sein müsse, abrupte Veränderungen der objektiven Lage rechtzeitig zu erkennen und die Partei neu zu orientieren. Nach den bisherigen Erfahrungen, schrieb er, könne „man es als ein fast allgültiges Gesetz ansehen, dass beim Übergang von der revolutionären Vorbereitungsarbeit zum unmittelbaren Kampf um die Machtergreifung eine Parteikrise ausbricht“. Eine taktische Neuorientierung bedeute immer einen Bruch mit den bisherigen Methoden und Gepflogenheiten. „Kommt der Umsturz sehr plötzlich und hat die vorhergehende Periode viele konservative Elemente in den führenden Organen der Partei angesammelt, so wird sie sich im entscheidenden Moment als unfähig erweisen, ihre Führerrolle zu erfüllen, zu der sie sich im Laufe vieler Jahre und Jahrzehnte vorbereitet hat. ... Die revolutionäre Partei befindet sich unter dem Druck fremder politischer Kräfte; in jeder Periode ihres Bestehens entwickelt sie andere Mittel, diesen Kräften zu widerstehen und sich ihnen entgegenzusetzen. Bei einer taktischen Neuorientierung und den damit verbundenen inneren Reibungen schwindet die Kraft, sich den zerstörenden äußeren Kräften zu widersetzen. Es besteht daher die Gefahr, dass innere Umgestaltungen der Partei, die im Hinblick auf die Notwendigkeit der taktischen Neuorientierung entstehen, über das Ziel hinauswachsen und verschiedenen Klassentendenzen als Stützpunkt dienen. Einfacher ausgedrückt: eine Partei, die mit den historischen Aufgaben ihrer Klasse nicht Schritt hält, läuft Gefahr, zum indirekten Werkzeug anderer Klassen zu werden oder wird es auch tatsächlich.“ [20]


[17]

Rosa Luxemburg, Rückblick auf die Gothaer Konferenz, in: Gesammelte Werke, Band 4, S. 274

[18]

Leo Trotzki, Die Dritte Internationale nach Lenin, S. 100

[19]

Leon Trotsky, The First Five Years of the Communist International, London 1973, S. 2-3

[20]

Leo Trotzki, Die Lehren des Oktober, Dortmund 1978, S. 17-18