Wie käuflich darf ein Betriebsrat sein?

Auf die Frage, ob Betriebsräte käuflich sind, kann es angesichts zweier derzeit laufender Verfahren gegen VW-Manager vor dem Landgericht Braunschweig nur eine Antwort geben: Ja!

Vor wenigen Tagen begann vor dem Landgericht Braunschweig die „strafrechtliche Aufarbeitung eines der größten deutschen Wirtschaftsskandale“, wie das Handelsblatt den Diesel-Betrug des Volkswagen-Konzerns nennt. Die Anklage wirft vier früheren VW-Managern und -Ingenieuren gewerbsmäßigen Bandenbetrug vor.

Sie sollen – gemeinsam mit Ex-VW-Chef Martin Winterkorn, dessen Verfahren wegen einer Hüftoperation abgetrennt wurde – dafür verantwortlich sein, dass der Konzern sein Geschäftsmodell auf eine Schummelsoftware stützte und Millionen manipulierte Fahrzeuge auf den europäischen Markt warf, die ein Vielfaches des erlaubten Stickoxids ausstießen. Ihnen drohen bis zu zehn Jahre Haft.

Eine ähnliche kriminelle Energie scheinen auch vier weitere Manager des Volkswagen-Konzerns entwickelt zu haben, gegen die vor zwei Wochen ein Strafprozess vor demselben Gericht begann. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig wirft ihnen Untreue vor, weil sie jahrelang einer ganzen Reihe von Betriebsräten zu hohe Gehälter zugeschoben hätten. Es schwinge der Verdacht „erkaufter Loyalität“ mit, wie die Staatsanwaltschaft dies ausdrückte.

Bei den Angeklagten handelt es sich um Horst Neumann (Personalvorstand des Gesamtkonzerns von 2005 bis Ende 2015), seinen Nachfolger Karl-Heinz Blessing (2016 bis 2018), sowie Jochen Schumm (Personalvorstand bei der Kern-Marke VW 2008 bis 2011) und dessen Nachfolger Martin Rosik. Alle vier verdanken ihren Aufstieg zu Einkommensmillionären der IG Metall.

Horst Neumann hatte bis 1994 in der Wirtschaftsabteilung der IG Metall gearbeitet. 2005 wurde er Nachfolger von VW-Personalchef Peter Hartz. 2015 bewilligte ihm der Aufsichtsrat mit den Stimmen der IGM und der SPD-Funktionäre, die im VW-Aufsichtsrat die Mehrheit haben, eine Altersversorgung in Höhe von 23 Millionen Euro.

Sein Nachfolger Blessing hatte seine berufliche Karriere im Vorstand der IG Metall begonnen und ist enger Vertrauter von Ex-IGM-Chef Berthold Huber, der von April bis Oktober 2015 sogar den VW-Aufsichtsrat leitete. Zu dieser Zeit feierte Huber seinen 60. Geburtstag auf Einladung von Angela Merkel gemeinsam mit Spitzenvertretern von Politik und Wirtschaft im Kanzleramt.

Die Staatsanwaltschaft Braunschweig wirft den vier angeklagten VW-Vorständen Untreue vor, weil sie jahrelang mehreren Betriebsräten zu hohe Gehälter zugeschoben haben. Es geht um Gehälter in einer Gesamthöhe von 5 Millionen Euro.

Allein der langjährige VW-Gesamtbetriebsratsvorsitzende Bernd Osterloh erhielt in den fünf Jahren von 2011 bis 2016 über 3 Millionen Euro. Sein Grundgehalt war innerhalb weniger Jahre auf 200.000 Euro gestiegen. Noch höher waren die zusätzlichen Bonuszahlungen. Osterloh selbst hat bereits vor Jahren bestätigt, dass sein Jahresgehalt in Spitzenzeiten über 750.000 Euro betrug.

Laut Spiegel hatte er 2014 so viel verdient. Damals hatte Osterloh dem Vorstand ein 400-Seiten umfassende Sparprogramm überreicht, das das Unternehmen in die Lage versetzen sollte, den Gewinn innerhalb von nur drei Jahren um 5 Milliarden Euro jährlich zu steigern und die Rendite von zwei auf sechs Prozent zu verdreifachen. Nach dem Platzen des Dieselbetrugs arbeitete Osterloh 2016 einen „Zukunftspakt“ aus, dem 30.000 Stellen, davon 23.000 in Deutschland, zum Opfer fielen.

2020 nutzten Osterloh und sein Betriebsrat die Corona-Pandemie für weitere Angriffe auf die Belegschaft, um die Umstellung auf die Elektromobilität zu forcieren. Erneut fallen 25.000 Arbeitsplätze weg, um die notwendigen Milliarden-Investitionen zu finanzieren.

Osterloh war schon immer der Ansicht, dass sein Einsatz für den Konzern und seine Aktionäre die hohen Vergütungen vollkommen rechtfertige. Die Staatsanwaltschaft sieht das anders, da freigestellte Betriebsräte laut Betriebsverfassungsgesetz nicht mehr, aber auch nicht weniger verdienen dürfen als bei einer normalen Laufbahn im Betrieb. Osterloh hatte seine Betriebsratstätigkeit als Arbeiter mit rund 5500 Euro Bruttomonatsgehalt begonnen.

Osterloh verteidigt sein hohes Gehalt unter anderem damit, dass er viele Angebote abgelehnt habe, ins Personalmanagement zu wechseln. Sowohl der damalige Personalvorstand Neumann als auch der damalige Aufsichtsratsvorsitzende Ferdinand Piech hätten ihm 2015 Neumanns Nachfolge angeboten. „Die Angebote waren klar, ich hätte nur ja sagen müssen, dann wäre das umgesetzt worden“, sagte Osterloh. Er hätte dann fünf bis sieben Millionen Euro im Jahr eingestrichen.

Osterloh selbst ist in dem Prozess nicht angeklagt. Die Staatsanwaltschaft wirft den Managern Untreue zu Lasten des VW-Konzerns vor, der im Prozess als Geschädigter gilt, was dieser heftig bestreitet: „Die Volkswagen AG hält an ihrer Rechtsauffassung fest, dass im Zusammenhang mit der Festlegung der Vergütung einzelner Betriebsratsmitglieder kein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten festgestellt werden kann.“

Auch die Angeklagten Blessing und Neumann verteidigten zum Prozessstart die hohen Zahlungen an die Betriebsräte. Ohnehin geht es nur noch um Zahlungen an fünf Betriebsräte. Mit 15 weiteren hatte der Konzern bereits im Mai 2019 einen Vergleich vor dem Arbeitsgericht in Braunschweig geschlossen.

Osterloh ist nur die Spitze des Eisbergs. Eine korrupte und gekaufte Schicht von Betriebsräten und Gewerkschaftsfunktionären gibt es in allen Großkonzernen. Der ausgebildete Industriekaufmann Osterloh war bei VW jahrelang Vertrauensmann und freigestellter Betriebsrat, bevor er 2005 Klaus Volkert an der Spitze des Gesamtbetriebsrats ablöste.

Volkert hatte gehen müssen, als herauskam, dass VW-Personalvorstand Peter Hartz, Mitglied der IGM und der SPD, seine Betriebsräte nicht nur mit viel Geld, sondern auch mit Flugreisen, Luxushotels und Edel-Prostituierten bei Laune gehalten hatte. Hartz, der Autor und Namensgeber der drakonischen Arbeitsmarktgesetze, musste wegen dieser Sex- und Korruptions-Affäre seinen Hut nehmen, Betriebsratschef Volkert wanderte ins Gefängnis.

Seitdem hat Osterloh dem Konzern Milliarden-Einsparungen auf Kosten der Belegschaften verschafft. Als Belohnung wechselte der inzwischen 65-Jährige im Mai dieses Jahres in den Vorstand der VW-Nutzfahrzeugsparte Traton, in der die Marken MAN und Scania zusammengelegt worden sind.

Die IG Metall hatte kurz zuvor, im Januar 2021, der Vernichtung von 3500 Arbeitsplätzen beim LKW- und Bushersteller MAN in Deutschland und Österreich zugestimmt. Als Vorstandsmitglied von Traton übernimmt der Einkommensmillionär Osterloh nun die Aufgabe, diese und weitere Angriffe gegen die Arbeiter durchzusetzen.

Sein Kollege Saki Stimoniaris trat letzten Monat als langjähriger Betriebsratschef von MAN überraschend von seinen Ämtern zurück – darunter seinen Aufsichtsratsmandaten in der Volkswagen AG, für die allein er jährlich fast eine halbe Million Euro erhielt. Nach Recherchen von Business Insider soll Stimoniaris eine Reihe unzulässiger Privilegien erhalten und genutzt haben. Unter anderem habe er einen freigestellten Betriebsratskollegen als seinen persönlichen Chauffeur eingesetzt.

Der Fall erinnert an den ehemaligen Porsche-Betriebsratschef Uwe Hück, der im Februar 2019 ebenfalls plötzlich zurücktrat. Zuvor hatte er 22 Jahre lang den Betriebsrat der VW-Tochter Porsche geführt und dafür bis zu 500.000 Euro im Jahr erhalten.

Auch Hück hatte gut zehn Jahre lang einen von der Belegschaft gewählten, freigestellten Betriebsrat als seinen Fahrer eingesetzt. Der Betriebsratschef hatte zudem zu wenig bezahlt, wenn er Räume und Catering des Unternehmens für „private Empfänge“ (Manager Magazin) nutzte, und die geldwerten Vorteile nicht oder zu gering versteuert.

Erst im Juli hatte die Stuttgarter Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen Hück und Ermittlungen gegen Porsche eingestellt. Hück musste einen mittleren sechsstelligen Betrag an gemeinnützige Einrichtungen zahlen, weil er Betriebsratsgelder für private Zwecke verwendet hatte. Porsche akzeptierte eine Zahlung von insgesamt 40 Millionen Euro.

Die persönliche Korruption und Gier der Funktionäre spielen in der IG Metall wie in allen Gewerkschaften eine wichtige Rolle. Doch dahinter steht das politische Programm der Gewerkschaften. Ihr Konzept der Sozialpartnerschaft geht von einem gemeinsamen Interesse der Beschäftigten mit den Unternehmen aus, in denen sie arbeiten.

Im Rahmen der Mitbestimmung schicken die Arbeitnehmer – sprich die Gewerkschaften – ihre Vertreter wie Neumann und Blessing in der Regel als Personalchefs in die Vorstände und besetzen die Hälfte der Aufsichtsratsposten. Osterloh saß nach eigenen Angaben im VW-Konzern in insgesamt zwölf Aufsichtsräten. Dort arbeiten sie mit den Unternehmens- und Aktionärsvertretern die Angriffe auf die Belegschaften aus, um die internationale „Wettbewerbsfähigkeit“ des Konzerns zu verteidigen.

Osterloh betonte in seiner Zeugenaussage in Braunschweig: „Man kann eine Kuh nur melken, wenn sie Milch gibt.“ Gute Tarifverträge seien nur möglich, wenn ein Unternehmen mehr Geld verdiene.

Unter den Bedingungen der Globalisierung hat dieses politische Programm dazu geführt, dass die Gewerkschaften und ihre Betriebsräte als Betriebspolizei fungieren, die Drecksarbeit übernehmen und die Angriffe auf die Belegschaften durchführen. Dass damit hohe Bestechungsgelder sowie Einschüchterungs- und Erpressungsversuche gegen Arbeiter verbunden sind, ergibt sich zwangsläufig.

Die weltweit 670.000 VW-Arbeiter und alle anderen Arbeiter müssen sich daher unabhängig in Aktionskomitees organisieren und weltweit zusammenarbeiten, um diesen Sumpf auszutrocknen.

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