Am 6. Mai ist der international renommierte Pianist und Kammermusiker Menahem Pressler im Alter von 99 Jahren in London gestorben. Die Welt der Klassik würdigte in vielen Nachrufen sein Lebenswerk als Mitbegründer des Beaux Arts Trio, dessen führendes Ensemblemitglied er 53 Jahre lang blieb. Der weltberühmte Musiker, der in Deutschland geboren wurde und vor 84 Jahren den Nazis entkam, erlebte den Terror der Novemberpogrome 1938, der sogenannten Reichskristallnacht. Zusammen mit seiner Familie gelang ihm 1939 die Flucht über Triest nach Palästina.
Pressler überlebte den Holocaust, kam 1946 in die Vereinigten Staaten und begann seine Karriere als Pianist. Er gewann den Internationalen Debussy-Klavierwettbewerb, zog nach New York City und debütierte in der Carnegie Hall mit dem Philadelphia Orchestra, wo er Schumanns Klavierkonzert spielte.
Pressler wurde nicht nur fast hundert Jahre alt, sondern blieb auch nahezu bis an sein Lebensende aktiv. Er war fast siebzig Jahre lang mit der Jacobs School of Music der Indiana University verbunden.
Sein langes musikalisches Wirken prägte auch das Beaux Arts Klaviertrio, das er 1955 mit dem Geiger Daniel Guilet und dem Cellisten Bernard Greenhouse gründete. Während auf Guilet und Greenhouse weitere Geiger und Cellisten folgten, war Pressler die Konstante, sein Name und sein Charisma wurden zum Synonym für das Ensemble.
Die häufigste Form der Kammermusik ist das Streichquartett, bestehend aus zwei Violinen, Bratsche und Violoncello, das ab Beginn der Wiener Klassik mit Joseph Haydn ein gleichberechtigtes Spiel der Instrumente entfaltete. Eines der charakteristischen Merkmale der Kammermusik ist die intensive Zusammenarbeit. Dies gilt insbesondere für Klaviertrios (in der Regel ein Klavier mit einer Violine und einem Violoncello), die Instrumente unterschiedlicher Klangfarben kombinieren. Pressler spielte eine entscheidende Rolle in Kommunikation und Zusammenklang des Ensembles.
Das Beaux Arts Trio hat mehr als jedes andere Ensemble zur Popularisierung der Klaviertrio-Literatur beigetragen. Das Trio spielte ein 60-CD-Set ein mit 122 Werken von Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Mendelssohn, Brahms, Dvorak und anderen Komponisten des 19. Jahrhunderts bis hin zu Werken des 20. Jahrhunderts, wie von Ravel, Schostakowitsch und weniger bekannten Komponisten.
Pressler und sein Ensemble – zu dem später auch die Geiger Isidore Cohen, Ida Kavafian, Yung Uck Kim und Daniel Hope sowie die Cellisten Peter Wiley und Antonio Meneses gehörten – hatten eine rege internationale Karriere. Die Lebensdauer des Beaux Arts Trios wurde nur vom Kalichstein-Laredo-Robinson Trio übertroffen, das 1977 gegründet wurde und bis zum Tod des Pianisten Joseph Kalichstein vor einem Jahr bestand.
Pressler erhielt viele Preise, darunter Auszeichnungen für sein Lebenswerk vom Gramophone Magazine und der International Chamber Music Association, den Chamber Music America's Distinguished Service Award und zahlreiche andere Ehrungen und Auszeichnungen.
Die Beaux-Arts-Musiker setzten hohe Maßstäbe und trugen auch dazu bei, den Weg für jüngere Musikensembles zu ebnen, darunter die heute in den Vereinigten Staaten aktiven Trios Claremont, Junction und Horszowski. Pressler stand dem jungen russischen Pianisten Daniil Trifonov nahe und spielte mit dem Cellisten Gautier Capuçon und vielen anderen jüngeren europäischen Musikern, darunter das französische Ensemble Quatuor Ebène, das mit ihm bei einem Konzert zu seinem 90. Geburtstag auftrat.
Pressler unterrichtete auch nach der Auflösung des Trios weiter. Zusammen mit William Brown schrieb er 2008 seine Memoiren „Artistry in Piano Teaching“ (Kunst des Klavierunterrichts) und sagte kürzlich in einem Interview: „Das Unterrichten war mein ganzes Leben lang wichtig für mich. Ich bin seit über 65 Jahren Lehrer. ... Es war für mich etwas ganz Besonderes, herauszufinden, welcher Weg für einen bestimmten Schüler bei einem bestimmten Stück der beste ist. Jeder Schüler ist anders – und das macht es so interessant; nicht nur interessant, sondern es erfordert dein Interesse, von der ersten Minute an für diese bestimmte Person da zu sein.“
Im Laufe seiner Karriere arbeitete Pressler mit vielen berühmten Ensembles zusammen, darunter das Juilliard, Emerson, American und Cleveland Quartett. Auch nach den letzten Auftritten des Beaux Arts Trios spielte er weiterhin als Solopianist. Als er fast 90 Jahre alt war, arbeitete er mit dem Tenor Christoph Prégardien in Schuberts berühmtem Liederzyklus Winterreise zusammen.
Pressler kehrte 2008 zum 70. Jahrestag der Novemberpogrome nach Deutschland zurück und gab 2014 im Alter von 90 Jahren sein Debüt bei den Berliner Philharmonikern. Die WSWS schrieb über diesen historischen Auftritt:
Mitte Januar erlebten Tausende Besucher der Berliner Philharmonie ein bewegendes Konzert: Ein 90 Jahre alter Mann, klein, behende, setzt sich im großen Saal an den Flügel und spielt Mozarts Klavierkonzert KV 453. Während seiner Darbietung wird er zusehends fröhlich, korrespondiert mit dem Orchester, insbesondere mit den Bläsern, und spricht durch Mozarts Musik zum Publikum – eine Aufforderung, sich mit jedem Triller zu freuen.
Der Pianist heißt Menahem Pressler, 1923 als Max Jacob Pressler in Magdeburg geboren. 1939, vor 75 Jahren, war er zusammen mit seiner Familie gerade eben noch dem Nazi-Terror gegen die jüdische Bevölkerung entkommen.
Das Herrenausstatter-Geschäft seiner Eltern wurde am 9. November 1938 in der Reichspogromnacht geplündert und zerstört, Max Jacob des Gymnasiums verwiesen. Klavierunterricht erhielt er im Geheimen. Seine Onkel, Tanten und Großeltern wurden in Auschwitz ermordet. Die Familie flüchtete über Italien nach Palästina und danach in die USA.
Mit 17 Jahren nahm Max Jacob den Namen Menahem (hebräisch: Trost) an. Er studierte Klavier u.a. bei dem ebenfalls emigrierten Leo Kestenberg und bei Eliahu Rudiakov. In den USA gründete er 1955 das berühmte Beaux Arts Trio, das bis zu seiner Auflösung 2008 mit wechselnder Besetzung international, auch in Deutschland, auftrat.
Nach 73 Jahren, am 27. September 2012, erhielt Menahem Pressler die deutsche Staatsbürgerschaft zurück. Bei dem Festakt in Berlin sagte er, Deutschland sei seine kulturelle Heimat geblieben. Zu Hause habe er mit seiner Familie Deutsch gesprochen, Heine und Goethe gelesen und auf dem Klavier Schubert, Mozart und Beethoven gespielt. „Ich verstehe die Menschen, die das nach Auschwitz nicht mehr konnten“, sagte Pressler. „Aber für mich gab es immer dieses Land der Kultur, und ich habe mir das nie nehmen lassen.“
In drei Konzerten vom 10. bis 12. Januar (2014) ist Menahem Pressler erstmals mit den Berliner Philharmonikern aufgetreten, dem Spitzenorchester, das unter der NS-Diktatur bis 1945 als „Reichsorchester“ musiziert hatte. Man gewann den Eindruck, dass er selbst und das Publikum diesen Auftritt als historischen Moment empfunden haben.