Bei einem Brandanschlag im nordrhein-westfälischen Solingen ist am vergangenen Montag eine vierköpfige Familie ums Leben gekommen. 21 weitere Personen wurden teils schwer verletzt. Obgleich die Ermittlungen noch andauern, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass der Anschlag einen rechtsextremistischen Hintergrund hat.
Die Tat ereignete sich in den Nachtstunden des vergangenen Montags im Solinger Stadtteil Höhscheid. Bis auf eine Person waren alle Hausbewohner türkischstämmige Muslime aus der Türkei und Bulgarien. Bei den Getöteten handelt es sich um junge Eltern, ein dreijähriges Kind und einen Säugling mit bulgarischer Staatsangehörigkeit.
Ausgangspunkt des Feuers war das Treppenhaus des Altbaus. Von hier aus hatte es sich innerhalb weniger Minuten bis zum Dach ausgebreitet. Laut Gutachten wurden im hölzernen Treppenhaus „deutlich Reste eines Brandbeschleunigers“ nachgewiesen. Aufgrund dieser Erkenntnis müsse von einer „vorsätzlichen Brandstiftung“ ausgegangen werden.
Als die Feuerwehr eintraf, stand das Treppenhaus bereits vollständig in Brand, so dass der Fluchtweg versperrt war. Mehrere Bewohner sprangen in Panik aus den Fenstern und verletzten sich dabei erheblich. 120 Feuerwehrleute wurden eingesetzt, um den Brand unter Kontrolle zu bringen.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen Mordes und versuchten Mordes. Bemerkenswert dabei ist, dass die Staatsanwaltschaft unmittelbar nach der Tat erklärt hatte, es lägen keine Anhaltspunkte vor, die auf ein fremdenfeindliches Motiv deuten.
Am Donnerstagabend erklärte der Sprecher der Staatsanwaltschaft dem WDR, es handle sich um eine Tat im „zwischenmenschlichen Bereich“. Einen Tag später teilte die Staatsanwaltschaft mit, ein vorläufig festgenommener Mann sei nach längerer Vernehmung entlassen worden, nachdem sein Alibi überprüft worden sei. Nun werde „ergebnisoffen in alle Richtungen“ weiter ermittelt.
Tatsächlich ist ein fremdenfeindlicher Hintergrund der Tat mehr als wahrscheinlich. „Leider müssen wir davon ausgehen, dass hinter dem feigen Anschlag rassistische Hintergründe stecken“, erklärte der Vorsitzende des Landesintegrationsrats NRW, Tayfun Keltek, am Mittwochabend in Düsseldorf. „Die aktuell gesellschaftlich aufgeheizte Lage lässt mich zu diesem Ergebnis kommen.“
Nachdem am Donnerstag mehr als 150 Menschen am Brandort zu einer Trauerkundgebung gekommen waren, versammelten sich am Samstag rund 1000 Menschen zu einem Trauermarsch für die Opfer der Brandstiftung. Die Teilnehmer zogen von der Innenstadt zu dem ausgebrannten Haus und riefen „Aufklärung“ sowie auf Türkisch „Gerechtigkeit für alle“. Kaum jemand zweifelte am rechtsextremen Hintergrund der Tat.
Der Anschlag fand nur wenige Wochen vor dem Jahrestag des rassistischen Brandanschlags statt, dem in Solingen im Mai 1993 fünf türkischstämmige Frauen und Mädchen zum Opfer gefallen waren. Vier junge Männer im Alter von 16 bis 23 Jahren, die der rechtsradikalen Szene angehörten, wurden deshalb wegen fünffachen Mordes verurteilt.
Der Anschlag war der Höhepunkt einer Serie von gewaltsamen Angriffen auf Asylbewerber und Ausländer in ganz Deutschland. In Hoyerswerda, Rostock, Lübeck und Mölln zeigte der rechtsradikale Terror seine Fratze. Doch die Hauptverantwortlichen saßen in der Regierung und in den Parlamentsparteien.
Nach der Vereinigung Deutschlands 1991 hatte die Treuhand im Osten über 2,5 Millionen Arbeitsplätze vernichtet und Hunderttausende Existenzen zerstört. Der Kahlschlag machte auch vor dem Westen nicht halt. So schloss 1993 das Stahlwerk von Krupp in Duisburg-Rheinhausen. Die Arbeiter hatten sich jahrelang erbittert dagegen gewehrt, waren aber von der IG Metall und der SPD ausverkauft worden.
Um der wachsenden Kampfbereitschaft entgegenzutreten, trat die Regierung eine ausländerfeindliche Kampagne los. Politiker und Medien hetzten pausenlos gegen die „Asylantenflut“, so wie sie heute gegen die „Flüchtlingswelle“ hetzen. Nur drei Tage vor dem Anschlag in Solingen schränkte der Bundestag mit einer Verfassungsänderung das Asylrecht ein. Die SPD verschaffte der CDU-FDP-Koalition unter Kanzler Helmut Kohl die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit dafür. Neonazis verstanden das als Signal, gegen Migranten und Flüchtlinge zu wüten.
In den vergangenen Jahren hat sich die Situation weiter verschärft. Die offizielle Hetze gegen Flüchtlinge und Migranten hat zu einer massiven Zunahme von rechtsextremen Angriffen und Anschlägen geführt.
2016 tötete der Rechtsextremist David Sonboly neun Menschen mit Migrationshintergrund in München. Später erschoss ein polizeibekannter Neonazi den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Im Oktober 2019 entgingen über 70 Teilnehmer einer Jom-Kippur-Feier in der Synagoge von Halle nur knapp einem Massaker des Rechtsextremen Stephan Balliet. 2020 tötete ein Neonazi in Hanau neun Menschen. Die Verstrickung von Polizei und Geheimdiensten ist ungeklärt und wird von Seite der Behörden mit allen Mitteln vertuscht.
Diese Taten, wie auch der jüngste Anschlag in Solingen, fanden vor dem Hintergrund verstärkter Angriffe auf Flüchtlinge und Migranten durch die Bundesregierung und sämtliche Oppositionsparteien statt. Sie haben alle das Programm der rechtsextremen AfD übernommen und setzten es in die Tat um.
Im letzten Oktober verkündete Bundeskanzler Olaf Scholz auf dem Titelbild des Spiegels: „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben.“ Seither überschlagen sich alle Parteien mit Angriffen auf die Schwächsten der Gesellschaft.
So verabschiedete der Bundestag im Januar mit den Stimmen der Ampel-Parteien und inmitten der Massenproteste gegen die rechtsextreme AfD das sogenannte „Rückführungsverbesserungsgesetz“, das die Rechte von Flüchtlingen drastisch einschränkt. Asylbewerber ohne Bleiberecht, die seit Jahren hier leben und arbeiten, können nun ohne Vorwarnung abgeholt, fast einen Monat inhaftiert und gewaltsam abgeschoben werden. Die Polizei darf nicht nur ihre Unterkunft und ihre Handys, sondern auch die Unterkunft von Nachbarn ohne Genehmigung durchsuchen.
Das Gesetz kriminalisiert zudem jeden, der Flüchtlingen hilft. So könnten künftig auch Seenotretter wegen Beihilfe zur illegalen Einreise direkt in Deutschland juristisch belangt werden – sogar, wenn es um die Rettung Minderjähriger geht.
Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil hat die Landesregierungen aufgerufen, die Deportation von Flüchtlingen zu beschleunigen. „Die Bundesländer haben jetzt die Möglichkeiten und sie müssen diese auch nutzen“, forderte Klingbeil im Gespräch mit der Neuen Osnabrücker Zeitung. „Der Staat muss funktionieren, wenn es darum geht, Menschen, die nicht bei uns bleiben können, zurückzuführen.“
Diente die ausländerfeindliche Kampagne der 1990er Jahren dazu, dem Widerstand gegen Arbeitsplatz- und Sozialabbau entgegenzutreten, kommt heute die Opposition gegen Krieg und Militarismus hinzu. Die Bundesregierung ist dabei, die Militärausgaben zu verdoppeln und zu vervierfachen und die Sozialausgaben entsprechend zu kürzen. Sie führt in der Ukraine einen Stellvertreterkrieg gegen die Atommacht Russland und unterstützt im Gazastreifen den Genozid an den Palästinensern. Wer dagegen protestiert, wird als „Antisemit“ verfolgt, während die wirklichen Antisemiten von der AfD Beifall klatschen.
Dieser Kurs ist nicht mit Demokratie vereinbar. Er erfordert faschistische Methoden. Das ist der Grund, weshalb Regierung, Parteien und Medien gegen Flüchtlinge und Migranten hetzen und den braunen Bodensatz der Gesellschaft aufwühlen.
Der Widerstand gegen Arbeitsplatz- und Sozialabbau, die Verteidigung von Migranten und demokratischen Rechten und der Kampf gegen Militarismus und Krieg fallen unter diesen Umständen untrennbar zusammen. Sie erfordern die Mobilisierung der Arbeiterklasse gegen das bankrotte kapitalistische System, das diese Übel hervorbringt.