„Ich habe mich nicht selbst erfunden. Die Welt hat mich erfunden“

Zum Tod des britischen Dramatikers Trevor Griffiths

Trevor Griffiths, der am 29. März im Alter von 88 Jahren starb, war einer der herausragenden linken Dramatiker der letzten 50 Jahre. Es war eine schwierige Zeit für Künstler, vor allem für politisch links stehende. Doch Griffiths schnitt dabei besser ab als viele andere, zum einen, weil seine Werke sich konkret auf wichtige soziale und politische Ereignisse und Prozesse bezogen, zum anderen, weil er sich mit dem echten Marxismus auseinandersetzte.

In seiner Einführung zu einer Diskussion unter dem Motto „The Writer and Revolution“ (Der Schriftsteller und die Revolution) mit Griffiths an der Universität von Manchester im November 2008 bezeichnete der Kulturredakteur der World Socialist Web Site, David Walsh, den Dramatiker als „einen der historisch scharfsinnigsten Schriftsteller unserer Zeit“. Er verwies auf Griffiths' Werk, das unter anderem die Russische, die Amerikanische und die Französische Revolution, die italienische revolutionäre Streikwelle von 1920, den Spanischen Bürgerkrieg, den ersten Golfkrieg, die Labour- und die Konservative Partei, den Neonazismus und nationale Mythen um die Polarforschung thematisierte und sich auch mit der trotzkistischen Bewegung befasste.

Trevor Griffiths und David Walsh 2008 auf einer Veranstaltung in Manchester

(Zwei Videoclips von dieser Veranstaltung sind hier und hier zu sehen.)

In Manchester bezeichnete Walsh Griffiths als „historischen Realisten“ – nicht nur wegen seines dramatischen Stils, sondern auch wegen seiner entschlossenen Suche nach der Wahrheit historischer Prozesse.

Griffiths hatte gesagt: „Ich muss innerhalb der populären, vom Naturalismus geprägten Vorstellungswelt arbeiten.“ Ein Schriftsteller muss „die ganze Karte des Geländes, mit dem wir es zu tun haben, erforschen ... das Gelände enorm gründlich abdecken, so dass man es sich aneignet, sich das Territorium wirklich aneignet“.

Das hieß, sich mit den Realitäten der Klassenexistenz auseinanderzusetzen. Der Dramatiker Griffiths versuchte vorrangig, auch die Bedingungen seines eigenen politischen Lebens und seiner Erfahrungen zu reflektieren. Dazu gehörte vor allem das Eingreifen der britischen Trotzkisten in einer Schicht radikalisierter Künstler und Intellektueller wie ihm selbst.

In seinen Werken befasste er sich mit den Konflikten zwischen revolutionären und reformistischen Perspektiven, und er war sich des demokratischen Zugangs zu kulturellen Ausdrucksformen sehr bewusst. Aus all dem versuchte Griffiths, allgemeine Lehren über die Zeit und ihre Auswirkungen zu ziehen. Es ist ihm hoch anzurechnen, dass er zeitlebens versuchte, diesen gesunden Weg zu beschreiten, auch wenn viele seiner Kollegen ihn längst verlassen hatten.

Patrick Stewart in „Fall of Eagles“ (1974)

Griffiths wurde 1935 in Manchester als drittes Kind eines walisischen Chemiearbeiters und einer irisch-katholischen Busschaffnerin geboren. Im Gegensatz zu seinen Geschwistern wurde er bis zu seinem fünften Lebensjahr von seiner katholischen Großmutter aufgezogen. Er besuchte ein katholisches College, bevor er an der Universität von Manchester (1952-1955) Anglistik studierte. Nach seinem Abschluss leistete er seinen zweijährigen Wehrdienst ab.

Bevor er Schriftsteller wurde, ging er in den Schuldienst, unterrichtete Englisch und Theaterspiel an einer Privatschule in Oldham, auch hielt er Vorlesungen über freie Studien am Stockport Technical College. 1965 wurde er Fortbildungsleiter bei der BBC, wo er bis 1972 tätig war. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Royal Shakespeare Company (RSC) sein erstes abendfüllendes StückOccupations“ (Roter Sonntag in Turin, 1971) angenommen.

Griffiths sagte später zur WSWS: „Ich habe mich nicht selbst erfunden. Die Welt hat mich erfunden. Ich kam aus der Lehre. Ich kam aus den Clubs der Neuen Linken. ... Ich hatte eine aktive Vorgeschichte, die mich vorwärts trieb. Als ich mich also mit Produzenten und Produktionseinheiten und der BBC und all diesen Dingen auseinandersetzen musste, hatte ich nicht das Gefühl, allein zu sein. Ich hatte das Gefühl, dass ich Schulter an Schulter mit verdammt vielen Leuten stand.“ Das ist nicht unwichtig.

In den 1950er Jahren kam es in Osteuropa zu revolutionären Umwälzungen gegen den Stalinismus, die in Großbritannien und anderen Ländern Massenaustritte aus der Kommunistischen Partei auslösten. Angesichts der offensichtlichen Stärke des Stalinismus und anderer Bürokratien hatte sich in der trotzkistischen Bewegung der Pablismus gebildet. An seiner Spitze standen Persönlichkeiten wie Michel Pablo, Ernest Mandel und Pierre Frank, die die Auflösung jeder unabhängigen revolutionären Organisation der Arbeiterklasse in den jeweils vorherrschenden stalinistischen oder sozialdemokratischen Parteien forderten.

Die orthodoxen Trotzkisten des Internationalen Komitees der Vierten Internationale, die in Großbritannien durch die von Gerry Healy geleitete Gruppe vertreten wurden, griffen dagegen energisch und aktiv in die Krise der Stalinisten ein und kämpften dafür, die Arbeiter zu gewinnen, die sich nach links bewegten. Dies war eine Zeit intensiver und breit gefächerter politischer Diskussionen. Unter den Akademikern und Intellektuellen an den Universitäten entstand die Neue Linke, die sich bemühte, dieser Linksbewegung, die sich auch in der Labour Party widerspiegelte, zuvorzukommen.

Griffiths im Jahr 2010

Griffiths war bis 1965 Mitglied der Labour Party (dann trat er aus Unzufriedenheit mit der Regierung von Harold Wilson aus). Er war Redakteur der Parteizeitung Northern Voice, aber auch Vorsitzender des Manchester Left Club, Redakteur der Workers' Northern Publishing Society und eines der ersten Mitglieder der Bewegung gegen nukleare Rüstung (Campaign for Nuclear Disarmament).

Diese politischen Erfahrungen und sein Bildungshintergrund verliehen ihm die Fähigkeit, Ideen mit den Mitteln des Theaters zu erforschen. Auf den Einakter „The Wages of Thin“ (Lohn der Dünnen, 1969) folgte das Stück „Occupations“, das im Turin der 1920 Jahre spielt. Die Arbeiter besetzen Fabriken in ganz Italien, und das Stück dreht sich um den Konflikt zwischen Kabak, einem Komintern-Vertreter, und Antonio Gramsci, der sich für Betriebsräte einsetzt.

„Occupations“ erregte die Aufmerksamkeit der RSC und führte dazu, dass er den Auftrag erhielt, „The Party“ (Die Partei, 1973) zu schreiben. Vorbild für das Stück waren die Freitagabend-Diskussionen, die Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahren in London vor allem von Schriftstellern, Schauspielern und Künstlern veranstaltet wurden und die zunächst von dem Produzenten, Schriftsteller und Regisseur Tony Garnett organisiert und geleitet wurden, der Mitte der 1960er Jahre ebenfalls aus der Labour Party ausgetreten war. Garnett veranstaltete regelmäßig jede Woche offene Treffen „für jeden, der sich als links betrachtete“.

Garnett hatte inzwischen Beziehungen zu den britischen Trotzkisten aufgenommen, die später als Socialist Labour League (SLL) bekannt wurden. Gerry Healy begann, ebenfalls an den Freitagstreffen von Garnett teilzunehmen. 2013 berichtete Garnett darüber der WSWS: „Viele Vertreter der anderen Tendenzen brachen ihre Teilnahme ab. Zweifellos war Healys Position der ihren weit überlegen. Er war ein besserer und unermüdlicherer Diskussionsredner als jeder andere ... Sie wagten einfach nicht mehr wiederzukommen.“

„The Party“ schildert ein solches Treffen, eine Diskussion zwischen einem Dozenten der London School of Economics, der dem Pablisten Robin Blackburn nachempfunden ist, und einem Dramatiker, der nach dem Autor David Mercer, einem Anhänger der SLL, konzipiert ist. Der Höhepunkt ist, wenn der altgediente Trotzkist John Tagg - der Gerry Healy nachempfunden ist (und anfangs von Laurence Olivier gespielt wurde) - dem Pablisten entgegentritt und seine Abwendung von der Arbeiterklasse widerlegt: „Schließlich lernst du, deinen Schmerz zu genießen, du brauchst ihn, und deinen bürgerlichen Kollegen hast du nichts anderes mehr zu bieten als eine Art moralische Erschöpfung. Man kann aber den Sozialismus nicht auf Ermüdung aufbauen.“ Ihre Kompromisse prangert Tagg mit den Worten an: „Die Hand die dich füttert, beißt du gerne, aber abbeißen wirst du sie niemals.“

Jack Nicholson, Diane Keaton und Warren Beatty in „Reds“ (1981)

(Griffiths las diese wichtige 20-minütige Rede aus „The Party“, eine der besten Passagen, die er je geschrieben hat, während der Veranstaltung in Manchester 2008 vor. Siehe den zweiten Clip oben.)

Der Kampf für revolutionäre Ideen unter widrigen politischen Umständen und ihre praktischen Auswirkungen standen im Mittelpunkt von Griffiths' Arbeit. Eine 1974 ausgestrahlte Folge („Absolute Beginners“) der 13-teiligen BBC-Historienserie „Fall of Eagles“ (Sturz der Adler) befasste sich mit der Entstehung der bolschewistischen Partei, die sich 1903 vom Menschewismus abspaltete. Patrick Stewart spielte Lenin und Michael Kitchen stellte Trotzki dar. Eine für „The Edwardians“ geschriebene Folge wurde nicht gedreht, weil es dabei um die Darstellung des Liverpooler Transportstreiks von 1911 ging.

Griffiths erkannte den darauf folgenden Angriff auf diese Art politisch informierter Kultur. „The Party“ schilderte eine Zeit, in der, wie er sagte, „Marxismus alltäglich war“ und Diskussionen über die Bedeutung einer revolutionären Partei regelmäßig ein großes Theaterpublikum anziehen konnten.

„Das war die Gesellschaft, die wir aufbauten, und das war eine Gesellschaft, die die Konservativen und die Labour Party in Stücke reißen musste.“ Das Schicksal seiner eigenen Arbeit, das wusste er, war mit diesem Prozess verbunden.

Die Zeit, in der linke Ideen in den britischen Boulevardmedien und im Fernsehen diskutiert und dargestellt werden konnten, ging 1997 zu Ende, „und ich war der letzte, der gekillt wurde“. In jenem Jahr schrieb und inszenierte er „Food for Ravens“ (Futter für die Raben) für die BBC anlässlich des Geburtstages des walisischen Labour-Party-Führers Aneurin Bevan  (15. 11. 1897 - 6. 7. 1960). Die BBC versuchte zunächst, die Ausstrahlung auf Wales zu beschränken. Die landesweite Ausstrahlung erfolgte dann auf BBC2, kurz vor Mitternacht. „Kein Trailer, kein Eintrag in der Radio Times. Keine DVD“, beschwerte sich Griffiths in der Presse.

Trevor Griffiths

Später erklärte der Dramatiker, die Aufgabe, mit der jeder Mensch aus der Arbeiterklasse konfrontiert ist, sei der Kampf für etwas, das „weniger bankrott“ ist als das, was heute existiert. Er schilderte Konflikte, ohne dabei seine Anteil nehmende Stimme zu verlieren. In „Through the Night“ (1975), ein Stück, das auf den Erfahrungen seiner ersten Frau basiert, spielte Alison Steadman eine junge Frau aus der Arbeiterklasse, die sich für eine Routine-Krebsuntersuchung ins Krankenhaus begibt und nach dem Aufwachen feststellt, dass sie eine Mastektomie hinter sich hat.

Ebenfalls im Fernsehen lief die beliebte Serie „Bill Brand“ (1976), in deren Mittelpunkt ein linker Labour-Abgeordneter steht, der sich dem politischen Druck der Regierung in Westminster stellen muss. Er wird gespielt von Jack Shepherd, der häufig mit Griffiths zusammengearbeitet hat, und den die WSWS interviewt hat.

„Bill Brand“, so Griffiths, „sollte ausdrücken, ... dass die Traditionen der Arbeiterbewegung nicht ausreichen, um den Kampf weiterzuführen, und dass wir neue Traditionen entdecken oder noch ältere wiederbeleben müssten“.

Er hatte begonnen, das Fernsehen als eine Möglichkeit zu sehen, nicht nur die Mittelschicht und das politisch bekehrte Theaterpublikum zu erreichen, sondern den „zentralen Kommunikationskanal strategisch zu durchdringen“. Dazu gehörten nicht nur neue Drehbücher, sondern auch hervorragende Adaptionen wie D.H. Lawrences „Söhne und Liebhaber“ (Sons and Lovers) und Anton Tschechows „Der Kirschgarten“ (beide 1981).

Er arbeitete auch intensiv am Drehbuch für Warren Beattys Film über John Reed und Louise Bryant, „Reds“, den Beatty 1981 fertigstellte. Griffiths schrieb viele Drehbücher, die nie verfilmt wurden, da er sich vehement dagegen wehrte, dass sie „verwässert“ wurden. Griffiths schätzt, dass er von „Reds“ etwa 45 Prozent geschrieben hat.

Griffiths' Arbeit an „A New World“

Die Bühne hat er jedoch nie aufgegeben. „Comedians“ (Kommödianten, 1975) über einen Abendkurs für angehende Stand-up-Komiker war ein bemerkenswerter Triumph, in dem er erneut Fragen der Klasse, der politischen Wirksamkeit, des Kompromisses und des Verrats untersuchte. Auch in den frühen 1990er Jahren setzte er sich mit politischen Themen auseinander, z. B. in „The Gulf Between Us“ (Die Kluft zwischen uns, 1992), das den ersten Golfkrieg zum Thema hatte – ein Jahrzehnt später sagte er, die Intervention des Labour-Premierministers Tony Blair im Irak habe ihn damals „angewidert“ – und in „Thatcher's Children“ (Thatchers Kinder, 1993). Die Zusammenarbeit mit anderen Dramatikern beim Schreiben für die Bühne machte ihm großen Spaß.

Griffiths war in der Lage, Stücke mit einigem Geschick zwischen Bühne und Leinwand hin und her zu schieben, was seiner ständigen Forderung nach „Wirkung und Durchdringung“ entsprach. „Oi for England“ (1982), ein Stück über Jugendarbeitslosigkeit und rechtsextreme Skinheads, wurde später erfolgreich vom Fernsehen auf die Bühne übertragen.

Sein letztes Bühnenstück war die Umarbeitung eines Drehbuchs, das er Jahre zuvor geschrieben hatte. Richard Attenborough konnte für Griffiths' Drehbuch über den Revolutionär Thomas Paine aus dem 18. JahrhundertThese Are the Times“, unter anderem wegen seines Umfangs keine Finanzierung erhalten. Griffiths lobte Attenborough immer dafür, dass er ihm nicht vorschlug, noch einmal anzufangen und den Film zu kürzen.

Als er merkte, dass der Film nicht gedreht werden würde, veröffentlichte Griffiths zunächst das Drehbuch und brachte es dann als „A New World“ auf die Bühne. Wie er der WSWS erzählte, sah er sich mit der politischen Krise nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion konfrontiert, so dass er „sofort auf die vorhergehende Revolution, die Französische Revolution, zurückgriff“.

Dass er immer wieder unter schwierigen Bedingungen Vorstöße für einen neuen künstlerischen und politischen Aufbruch unternahm, verdient Anerkennung und Lob. Das gilt auch für sein Verständnis für die Stellung des Künstlers angesichts des wirtschaftlichen Drucks: „Ich war nie im Geschäft“, sagte Griffiths, „ich lebe außerhalb davon.“ Dass er trotz dieses Drucks so viel erreichen konnte, ist ein Beweis für sein Beharren auf einer historischen Perspektive und sein Engagement für den Sozialismus, was allen Künstlern eine Lehre sein sollte.

Loading