Am 23. März verstarb Maurizio Pollini, einer der bedeutendsten Pianisten und Künstlerpersönlichkeiten der zweiten Hälfte des 20. und des frühen 21. Jahrhunderts, im Alter von 82 Jahren. Seit einem halben Jahrhundert galt er als feste Größe im Musikleben, geliebt und verehrt vom Konzertpublikum, besonders in Europa und Japan.
Pollinis Klavierspiel zeichnete sich durch einen klaren, warmen Ton und eine große Sensibilität und Tiefe aus, die umso berührender und kraftvoller waren, als sie nicht aufdringlich waren. Der hochkultivierte, stille und bescheidene Pollini hatte etwas Edles, ja Reines, sowohl in seinem Spiel als auch in seiner Persönlichkeit. Pollini war nie bestrebt, mit seiner phänomenalen Technik hervorzustechen oder originell zu klingen, doch seine Darbietungen vermittelten eine Aura der Frische und waren einzigartig, selbst wenn er sehr bekannte Werke spielte.
Der nie sentimentale Pollini war vor allem für seine Interpretationen der romantischen Werke von Chopin, Franz Schubert und Robert Schumann sowie der großen klassischen Werke von Ludwig van Beethoven, Bach und Mozart bekannt. Mehr als die meisten seiner Kollegen brachte Pollini auch regelmäßig und mit großer Begeisterung die Werke zeitgenössischer Komponisten wie Pierre Boulez und Luigi Nono sowie Anton Webern, Alban Berg, Arnold Schönberg und Karl-Heinz Stockhausen zur Aufführung.
Pollini wurde 1942, während des Zweiten Weltkriegs, in Mailand geboren. Sein Vater, Gino Pollini, war ein erfolgreicher moderner Architekt. Seine Eltern waren beide leidenschaftliche Amateurmusiker. In Interviews beschrieb er später einen Haushalt, der von Musik und intellektuellen und künstlerischen Gesprächen erfüllt war.
Die Atmosphäre war zweifellos von den schrecklichen Erfahrungen des Krieges und dem Streben nach einer besseren Zukunft ohne Faschismus und Blutvergießen geprägt. In den Jahren vor Pollinis Geburt hatte sich in Italien eine antifaschistische Widerstandsbewegung herausgebildet, und in den Jahren 1943–1945 war Italien Schauplatz von Massenwiderstand und – auch in Mailand – mehreren Generalstreiks.
Bei den Wahlen von 1946 erhielt die Kommunistische Partei Italiens (KPI) 19 Prozent der Stimmen, 1948 waren es 31 Prozent. Nur der Verrat des Stalinismus verhinderte eine soziale Revolution, und so konnte die Arbeiterklasse nicht vollständig mit dem Faschismus und der kapitalistischen Ordnung abrechnen. Die KPI trat unmittelbar nach dem Krieg in die bürgerliche Regierung ein, und ihr langjähriger Führer Palmiro Togliatti setzte in seiner Eigenschaft als Justizminister eine umfassende Amnestie für die Verbrechen der faschistischen Mussolini-Diktatur durch.
Die Stadt Mailand, in der Pollini sein ganzes Leben verbrachte, war in der Nachkriegszeit die Heimat einer weltweit außergewöhnlichen Musikszene. In einem Gespräch mit dem Filmemacher Bruno Monsaingeon erinnerte sich Pollini im Jahr 2014: „Alle großen Pianisten kamen nach Mailand, um hier zu spielen.“ Zu ihnen gehörten Arthur Rubinstein, Arturo Benedetti Michelangeli, Clara Haskil, Wilhelm Backhaus und Alfred Cortot. An der berühmten Scala trat Arturo Toscanini, obwohl er nicht mehr Chefdirigent war, nach der Wiedereröffnung 1946 regelmäßig und oft zusammen mit Stars wie Maria Callas auf.
Pollini begann schon als Kind mit dem Klavierspiel und trat schon in jungen Jahren öffentlich auf. Im Jahr 1960, im Alter von nur 18 Jahren, wurde er der erste italienische Gewinner des Internationalen Chopin-Wettbewerbs in Warschau. Rubinstein, der damals die Jury der Endrunde leitete, sagte zu seinen Jurykollegen: „Er spielt technisch schon besser als wir alle.“ In der Tat sollte das außergewöhnliche technische Niveau von Pollinis Darbietungen neue Maßstäbe für die Einspielung der Werke von Chopin, Schubert und vielen anderen Komponisten setzen.
Pollinis Reaktion auf seinen Sieg bei dem Wettbewerb zeigte schon seine Ernsthaftigkeit und völlige Hingabe an seine Entwicklung als Musiker, was ein wichtiges Merkmal seiner Karriere werden sollte. Anstatt mit seinem Chopin–Repertoire durch die Konzertsäle der Welt zu touren, beschloss Pollini, eine Pause von der Konzerttätigkeit einzulegen, um sein Repertoire zu erweitern, seine Studien bei Michelangeli fortzusetzen und als Musiker zu reifen.
Er betrat die großen Konzertbühnen erneut in einer Zeit der massiven Radikalisierung und Politisierung der 1960er Jahre. Europa und die Vereinigten Staaten standen unter dem Eindruck des Vietnamkriegs und der Massenkämpfe der Arbeiterklasse.
Pollini gab in einem Interview an, dass er bis Mitte der 1960er Jahre „politisch neutral“ war, und dass seine eigenen politischen Vorstellungen nicht sehr klar waren, als er später in diesem Jahrzehnt der KPI beitrat. Später erinnerte er sich: „In Italien ein Linker zu sein, war damals eine Form des Protests gegen die schreckliche Rechte. Sie [die italienische Rechte] ist so schrecklich geblieben, wenn sie nicht sogar noch schlimmer geworden ist.“ Pollini sprach sich auch lautstark gegen den Vietnamkrieg aus. Zumindest einmal führte dies zu einem Skandal, als er ein Chopin-Konzert mit einer politischen Erklärung begann, in der er die ständigen Bombenangriffe auf Zivilisten durch das US-Militär anprangerte. Trotz lautstarker Proteste aus dem Publikum bestand Pollini darauf, seine Erklärung bis zum Schluss zu verlesen, und schließlich wurde das Konzert abgebrochen.
Pollini erinnerte sich an die Atmosphäre im Italien der späten 1960er und frühen 1970er Jahre und erklärte später: „Die Vorstellung, dass Musik ein Recht für alle ist, war damals sehr stark.“ Paolo Grassi, der damalige künstlerische Leiter der Scala, organisierte kostenlose Konzerte für Studenten und Arbeiter. Pollini und sein enger Freund und musikalischer Partner Claudio Abbado traten bei diesen Konzerten regelmäßig auf. Sie organisierten auch Konzerte in Fabriken, Stadtvierteln und Universitäten, die immer kostenlos waren. Auf ihren Programmen standen die großen Werke der klassischen Musik, aber auch zeitgenössische Werke ihres gemeinsamen Freundes, des Komponisten Nono, sowie von Schönberg, Webern und anderen. 2014 meinte Pollini: „Diese waren wegen der Ideale, die sie inspirierten, ebenso wichtig wie wegen ihrer musikalischen Qualität.“
Pollinis Hinwendung zur KPI spiegelte den Linksruck bedeutender Teile der damaligen Intelligenz wider, die einen Weg suchten, sich gegen die Rechte und den imperialistischen Krieg zu stellen. Gleichzeitig ist er ein Beispiel für den letztlich politisch destruktiven und desorientierenden Einfluss des Stalinismus auf das soziale und kulturelle Leben.
Der Stalinismus spielte eine Schlüsselrolle bei der Stabilisierung des Kapitalismus in Europa. Dies galt insbesondere für die KPI im Nachkriegsitalien. Sie unterstützte die stalinistische Niederschlagung der ungarischen Revolution von 1956. Allerdings verurteilte sie Jahr 1968 die sowjetische Invasion in der Tschechoslowakei, die den Prager Frühling niederschlug, eine Tatsache, die nach Pollinis späteren Aussage zu seiner Entscheidung beitrug, der Partei beizutreten.
Allerdings kritisierte die KPI die Politik der sowjetischen Bürokratie nicht wegen ihres konterrevolutionären und nationalistischen Charakters. Sie passte sich einfach der Stimmung in Teilen der Mittelschicht an. Sie beschränkte die Kritik am Stalinismus auf demokratische Fragen und stellte die Rolle des Kremls nur als eine besondere diktatorische Entgleisung der „sowjetischen“ Kommunistischen Partei dar. Gleichzeitig verfolgte die KPI ebenso wie die Kreml-Bürokratie eine grundlegend nationalistische Orientierung und lehnte eine revolutionäre Mobilisierung der Arbeiterklasse in den kapitalistischen Ländern wie Italien oder Chile gegen imperialistischen Krieg und Faschismus ab. In den kommenden Jahren rückte die KPI, wie die stalinistische Bürokratie und die Parteien insgesamt, immer weiter nach rechts. Der „Eurokommunismus“ und die darauf folgenden Parteien Rifondazione und PD haben in Italien wesentlich dazu beigetragen, die sozialen und demokratischen Rechte der Arbeiterklasse massiv anzugreifen und den Wiederaufstieg der Faschisten zu ermöglichen.
Wie viele seiner Generation hat sich Pollini nie mit dem konterrevolutionären Charakter und den Ursprüngen des Stalinismus auseinandergesetzt. Er war schließlich desillusioniert von der Politik, die die Linke dominierte. Nichtsdestotrotz blieb er in seiner Arbeit seinen zutiefst demokratischen und humanistischen Ansichten treu. Pollini war sichtlich enttäuscht, dass die „musikalischen Experimente“ mit Gratiskonzerten für Arbeiter und Studenten keine spürbaren und nachhaltigen Auswirkungen auf das italienische Musikleben hatten. „Unser Ideal“, so schloss er, „hat sich nicht verwirklicht.“ Aber er gab die zugrunde liegenden Vorstellungen nicht auf und blieb ein erbitterter Gegner der italienischen Rechten. So prangerte er die Kürzungen bei Kultur und Sozialprogrammen unter Silvio Berlusconi an.
Eine ähnliche stille Hartnäckigkeit und Prinzipientreue zeichnete Pollinis Umgang mit dem musikalischen Repertoire aus. Er war äußerst wählerisch bei der Auswahl der Werke, die er spielte, und der Musiker, mit denen er zusammenarbeitete. Pollini war entschlossen, nur Werke zu spielen, zu denen er eine besondere Beziehung hatte und die er – wie er es ausdrückte – „vor sich selbst verteidigen konnte“. Das bedeutete, dass er große Teile des Klavierrepertoires mied, wie zum Beispiel die Werke von Rachmaninow und Tschaikowsky. Er sei sehr froh, wenn diese Werke von anderen gespielt würden, erklärte er. Aber er habe nicht das Gefühl, dass sie für ihn bestimmt seien. Auch seine Auftritte mit Sängern waren relativ selten, aber es gab bemerkenswerte Aufnahmen von Schuberts Winterreise mit dem legendären Bariton Dietrich Fischer-Dieskau und Konzerte mit der jungen Sopranistin Anna Prohaska.
Die Werke, die er spielte, begleiteten ihn oft über Jahrzehnte. Er stellte fest: „Je stärker die Beziehung zur Musik wird, desto stärker wird auch die Motivation, sie zu spielen und andere Klänge zu finden. Wenn man die Vorstellung hat, dass man eine Farbe finden kann, die für den einen oder anderen Komponisten besser ist, auch wenn es eine Illusion ist, schafft das große Freude.“
Seine Chopin-Interpretationen sind ein gutes Beispiel dafür. Während er für seinen Perfektionismus und (wie einige behaupteten) seine „kühlen“ Interpretationen der Werke der großen romantischen Komponisten berühmt wurde, hat sich Pollinis Chopin-Spiel im Laufe der Jahrzehnte sichtlich verändert und ist gereift. Zum Zeitpunkt seiner Aufnahmen in den 2000er Jahren war sein Klang wärmer geworden, und sein Spiel war, wie er selbst bemerkte, „freier“ geworden, ohne dass er etwas von seiner früheren Präzision und seinem Bemühen um Struktur und einen unsentimentalen Ansatz verloren hätte.
Pollinis Karriere zeichnete sich auch durch seine Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Abbado aus, die ein halbes Jahrhundert lang bis zu dessen Tod im Jahr 2014 währte. Die beiden nahmen große Teile des Klavierkonzertrepertoires, darunter alle fünf Klavierkonzerte von Beethoven und die beiden Klavierkonzerte von Brahms, gemeinsam auf. Eine enge Zusammenarbeit entwickelte sich auch mit Boulez und Nono, zwei Komponisten, die mehrere Werke für Pollini komponierten. Enttäuscht darüber, dass ihre Werke heute nur noch relativ selten in den Konzertsälen aufgeführt werden, nahm Pollini sie immer wieder in seine eigenen Konzerte auf.
Trotz zunehmender gesundheitlicher Probleme und Gebrechlichkeit führte Pollini bis ins hohe Alter einige der körperlich und emotional anspruchsvollsten Werke der Musikgeschichte auf. In den letzten 15 Jahren seines Lebens produzierte er eine erstaunliche Einspielung der Klavierkonzerte von Brahms unter der Leitung von Christian Thielemann, mehrere neue Aufnahmen von wichtigen und schwierigen Sonaten Beethovens sowie neue Aufnahmen der Werke Chopins. Auch mit seinem Sohn, dem Pianisten und Dirigenten Daniele Pollini, trat er mehrfach auf.
Wie groß sein Ansehen war, zeigte sich daran, dass innerhalb weniger Stunden nach der Nachricht von Pollinis Tod Musiker aus der ganzen Welt Erklärungen zu Ehren seines Vermächtnisses abgaben. Unabhängig von Pollinis eigener Enttäuschung über die seiner Meinung nach begrenzte Wirkung seiner Ansichten auf die zeitgenössische Musik und die Notwendigkeit, den Zugang zur Kunst zu demokratisieren, haben sein Spiel sowie seine künstlerische, intellektuelle und politische Integrität einen bleibenden Einfluss auf Generationen von Musikern und Konzertbesuchern. Sie werden in einer neuen Zeit der Radikalisierung und des sozialen Umbruchs zunehmend Anerkennung finden.
Hier eine Auswahl bemerkenswerter Aufführungen und Aufnahmen von Maurizio Pollini:
Johann Sebastian Bach: „Das Wohltemperierte Klavier“
Wolfgang A. Mozart: Klavierkonzert Nr. 23 in A-Dur (Dirigent: Karl Böhm)
Franz Schubert: Klaviersonate B-dur, D. 960 (op. post.)
Frédéric Chopin: Nocturne no. 8 op. 27 no. 2
Luigi Nono: „... sofferte onde serene ...“
Musikalisches Portrait von Maurizio Pollini mit vielen musikalischen Ausschnitten aus seinem Leben